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Untreue-Verdacht bei den Stadtwerken Potsdam: Stadt verteidigt Kurs in SWP-Skandal

In der neuen Stadtwerke-Affäre werden weitere Details aus vertraulichen Prüfberichten bekannt, die Stadtpolitik reagiert auf die PNN-Recherchen zurückhaltend. Ein Überblick über die wichtigen Fragen in dem Skandal.

Potsdam - Die einzige offizielle Reaktion aus der Potsdamer Stadtpolitik zum neuen Skandal beim kommunalen Konzern Stadtwerke Potsdam (SWP) kam am Montag von den Grünen. In einer Erklärung formulierten Fraktionschef Peter Schüler und Kreisvorsitzender Nils Naber vor allem Fragen zu den Vorgängen bei der SWP und ihren Töchtern Energie und Wasser Potsdam (EWP) und Stadtentsorgung (Step).

„Warum wurde der Vertrag des EWP-Geschäftsführers Wilfried Böhme verlängert, dessen Verantwortung in dieser Affäre nicht geklärt ist?“, heißt es dort. Oder auch: „Welcher Schaden ist den Stadtwerken entstanden?“ Die Stadtwerke hätten sich einen Verhaltenskodex gegeben, in dem ethisches und gesetzestreues Handeln betont wird. „Dessen Einhaltung muss nun auch von der Stadtpolitik überprüft werden“, forderte Naber.

Andere Fraktionen im Stadtparlament äußerten sich defensiver. So wollte etwa Linke-Fraktionschef und EWP-Aufsichtsrat Hans-Jürgen Scharfenberg keine Stellungnahme abgeben. Solche Vorgänge gehörten in die dafür zuständigen Gremien. Auch SPD-Chef und EWP-Aufsichtsrat Mike Schubert warnte in einem RBB-Interview vor pauschalen Schuldzuweisungen und verwies auf den noch abzuwartenden Schlussbericht.

Am Montag hatten die PNN aus vertraulichen, umfangreichen Zwischenberichten der Berliner Anwaltskanzleien Raue und Ignor & Partner vom 25. Mai 2016 berichtet; sie sollten im Auftrag der Stadtwerke die zivil-, arbeits- und strafrechtliche Relevanz des Falls der üppig besoldeteten Prokuristin Petra V. sowie weiterer Vorkommnisse untersuchen. Dabei geht es vor allem um die Rolle des beurlaubten EWP- und früheren Step-Chefs Holger Neumann und des technischen Step-Geschäftsführers Enrico Munder.

Wer hat die Untersuchung des Falls Petra V. veranlasst?

Der jetzt bei der Stadtentsorgung vor der Abberufung stehende Geschäftsführer Enrico Munder hat die Prüfung der Vorgänge selbst mit initiiert – und zwar mit einem den PNN vorliegenden Schreiben vom 24. September 2015, aufgesetzt gemeinsam mit dem damals neu ins Unternehmen gekommenen zweiten Step-Chef Burkhardt Greiff, der vom Step-Minderheitsgesellschafter Remondis nach Potsdam gewechselt war. In dem Brief heißt es, in der Zeit der Geschäftsführung von Neumann seien Unregelmäßigkeiten aufgefallen, die untersucht werden müssten.

Das Schreiben stützt die Auffassung der von den Stadtwerken beauftragten Anwaltskanzleien. Munder habe „maßgeblich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen“, sogar „proaktiv“, heißt es in dem Raue-Papier. Daher wird von einer Kündigung abgeraten – auch weil dadurch im Konzern der Eindruck entstehen könnte, „dass sich Offenheit und Kooperation im Unternehmensinteresse nicht lohnt, sondern im Gegenteil bestraft wird“. Die Stadt verteidigte ihr Vorgehen, wonach dennoch Munder abberufen wird: Es hätten sich „weitere Verfahrensschritte“ ergeben, die dazu führten, dem Aufsichtsrat die Abberufung zu empfehlen. Im Hintergrund hieß es am Montag, Munder habe die Gehaltssteigerungen für Petra V. seit 2004 mit unterschrieben – da sei Neumann noch gar nicht bei der Step gewesen. Nunmehr müsse er dafür geradestehen. Laut Bezügebericht der Step erhielt Munder, Stand 2012, insgesamt rund 190 000 Euro jährlich. Munder werde fristgemäß gekündigt, hieß es weiter. Diese Frist liegt bei einem Jahr. Auch er ist, wie Neumann, in der Zeit freigestellt.

Munder selbst hatte laut der Prüfberichte erklärt, er habe nur auf Vorschläge – erst von dem vor fünf Jahren geschassten Stadtwerke-Chef Peter Paffhausen, später von Neumann – reagiert.

Welche Rolle spielt Müller-Preinesberger?

Die Beigeordnete für Soziales, Jugend, Gesundheit und Ordnung, die keiner Partei angehört, aber offenkundig der SPD nahesteht, ist seit Jahren Aufsichtsratsvorsitzende der Step und der EWP. Elona Müller-Preinesberger galt bislang als integer, für ihre Flüchtlingspolitik gab es viel Lob. Anfang Januar 2016 verkündete sie nach fast 13 Jahren überraschend ihren vorzeitigen Abschied aus dem Amt. Zu ihrem 63. Geburtstag im August will sie aufhören. Als Grund gab sie an, sie wolle mehr Zeit für ihre Familie haben. Ein Nachfolger wird gesucht, das Auswahlverfahren in den Fraktionen des Stadtparlaments startete am Montag.

Nach PNN-Recherchen hat sich Müller-Preinesberger im Stadtwerke-Skandal bei Aufsichtsräten nicht für eine Kündigung von EWP-Chef Holger Neumann stark gemacht. Sie sah auch keine Notwendigkeit, dem EWP-Aufsichtsrat die Zwischenberichte der Juristen zur Kenntnis zu geben – obwohl darin wie berichtet explizit davon die Rede ist, dass Neumanns mutmaßliche Fehlleistungen bei der Step auf seine Tätigkeit als EWP-Chef durchschlagen. Auch hat sie den EWP-Aufsichtsrat mit der Möglichkeit einer fristlosen Kündigung Neumanns nicht konfrontiert. Eine solche sehen die Juristen in ihren Zwischenberichten jedoch als durchaus möglich an – allerdings nur bis zum morgigen 8. Juni, danach läuft die zweiwöchige Frist seit Bekanntwerden von Vorwürfen gegenüber dem „zur Kündigung berechtigten Organ“ ab. Dafür sei die „Kenntnis des Aufsichtsrats“ maßgeblich, die Kenntnis der Vorsitzenden allein reiche nicht.

Die Kanzlei Raue erklärt zwar, es könne „vertretbar erscheinen“, Neumann schlicht nicht mehr zum EWP-Chef zu bestellen und seinen Vertrag unter Freistellung auslaufen zu lassen – so wie es jetzt passiert. Auch gebe es ein „Unwirksamkeitsrisiko“ bei einer außerordentlichen und fristlosen Kündigung. Weiter heißt es allerdings: „Gleichwohl sollte hierüber eine bewusste Entscheidung des Aufsichtsrats herbeigeführt werden.“ Genau dies ist nicht geschehen.

Müller-Preinesberger antwortete auf PNN-Anfrage, es gehe bei den Vorwürfen um die Cheftätigkeit von Neumann bei der Step, nicht aber der EWP. Daher habe sich der Aufsichtsrat der EWP mit diesen Fragen auch nicht befasst. Dagegen seien den Step-Aufsichtsratsmitgliedern die Zwischenberichte der Anwaltskanzleien und der Konzerninnenrevision zur Einsicht zur Verfügung gestellt worden. Zudem sei im Aufsichtsrat der Step seitens der beauftragten Anwälte mündlich über die Inhalte des Zwischenberichtes und bereits erfolgte weitere Verfahrensschritte informiert worden. Auf Anfrage erklärte sie auch, als Aufsichtsratsvorsitzende bis in den April dieses Jahres hinein keine Kenntnis von der Höhe der Lohnzahlungen an Petra V. gehabt zu haben – erst im April sei sie von der Innenrevision der Stadtwerke informiert worden. Die seit 2012 jedes Jahr erstellten Bezügeberichte zur Gehaltsentwicklung bei der Step habe sie nicht erhalten und zur Kenntnis genommen.

Kann die gut bezahlte Ex-Step-Prokuristin Petra V. noch belangt werden?

Zwar bestehen laut dem Raue-Bericht Anhaltspunkte dafür, dass Petra V. im „Zusammenwirken mit Herrn Paffhausen und Herrn Neumann die überhöhte Festsetzung einer Vergütung für sich herbeiführte und damit die Step geschädigt hat“. Allerdings sei es kaum aussichtsreich, ihr erfolgreich eine Pflichtverletzung nachzuweisen – da speziell die Beurteilung über eine angemessene Vergütung eben der Geschäftsführung obliege. Inzwischen ist sie nicht mehr bei der Step beschäftigt – laut Raue-Bericht endet ihr aufgehobener Vertrag aber erst im Dezember diesen Jahres. Sie erhielt eine Abfindung von 169 000 Euro. In den Jahren zuvor seien ihre Entgelte schon „in ganz ungewöhnlichem Umfang“ angestiegen – auf ein Niveau „nahe den Vergütungen der Geschäftsführung“ – und zwar laut Raue-Papier ohne sachliche Rechtfertigung. Demnach summierten sich die Bezüge für Petra V. allein für das Jahr 2012 auf 152 900,62 Euro – inklusive privater Dienstwagennutzung. Nach Auskunft von Greiff, dem zweitem aktuellen Step-Chef, gegenüber den Prüfern, werde „für vergleichbare Positionen“ im Verantwortungsbereich von Remondis ein Jahresgehalt bis zu 50 000 Euro inklusive variabler Bestandteile gezahlt.

Petra V. hatte unter dem früheren Stadtwerke-Chef Peter Paffhausen Karriere gemacht und war speziell in der Gehaltsleiter schnell gestiegen. Zu den möglichen Hintergründen heißt es im Raue-Bericht: „Soweit in der Presse über ein persönliches Näheverhältnis von Frau V. gegenüber Herrn Paffhausen berichtet wird, sind zumindest uns keine klaren Tatsachen bekannt, die den gerichtsfesten Schluss auf eine aus unsachlichen Gründen erschlichene Gehaltsentwicklung zulassen.“ Gleichwohl habe Paffhausen seine Stellung möglicherweise missbraucht, um Frau V. unangemessene Vorteile zu verschaffen. Hier sei zu klären, ob noch Ansprüche gegen Paffhausen geltend gemacht werden könnten oder ob die Stadt sich mit ihm per Vergleich und Aufhebungsvertrag darüber geeinigt hat, dass damit auch alle wechselseitigen Ansprüche erledigt sind. Falls die Untersuchung des Sachverhalts gewünscht sei, benötige man dazu aber noch Unterlagen, so die Raue-Kanzlei.

Welche Rolle spielen die Wirtschaftsprüfer der KPMG AG?

Die international tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hat seit 2012 den sogenannten Bezügebericht für die Step erstellt. Darin sind die Vergütungen der Aufsichtsräte, Geschäftführer und leitenden Mitarbeiter – in diesem Fall ist dies nur Frau V. – aufgeführt. Den Angaben der Kanzlei Raue nach habe die KPMG immer bestätigt, dass „die Entgelte der Beschlusslage der Gesellschafterversammlung entsprachen“. Dies sei aber „nach derzeitigem Stand unrichtig“ gewesen, so der Raue-Bericht. Zum Zeitpunkt des Berichts, dem 25. Mai 2016, stand die angeforderte Stellungnahme von KPMG dazu noch aus.

Gibt es weitere Vorwürfe?

Wie schwierig die Lage für Stadtwerke-Chef Wilfried Böhme ist, zeigt eine den PNN vorliegende anonym zusammengestellte Liste, in der vier mutmaßliche Familienmitglieder des Geschäftsführers mit Anstellung im Stadtwerke-Verbund aufgeführt werden – und auch zwei Angehörige von Petra V. Auf Anfrage äußerten sich die Stadtwerke dazu aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht. Es gebe aber Ausschreibungen, die besagten Arbeitsverträge seien auch standardisiert und tarifgebunden. Ebenso gebe es von den Geschäftsführungen des Verbunds jährlich einen „Bericht zu nahestehenden Personen“ an die Wirtschaftsprüfer des Unternehmens. „Beanstandungen gab es nicht“, betonte ein Sprecher.

Heute ist eine Sondersitzung des Aufsichtsrats der Stadtwerke angesetzt. Dort ist Kämmerer Burkhard Exner (SPD) der Chef des Aufsichtsrats. Er hatte zuletzt Spekulationen von sich gewiesen, er wolle auch Chef der Stadtwerke werden.

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