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Mehr als 100 Mitarbeiter versammelten sich vor dem Betriebsgelände der ViP in der Fritz-Zubeil-Strasse Strasse in Potsdam.

© Andreas Klaer

Stillstand im öffentlichen Nahverkehr: So läuft der Warnstreik in Potsdam und Brandenburg

Kaum Fahrgäste in den Bussen + 110 Streikende vor den Toren der ViP + der Verkehr läuft an vielen Stellen in der Stadt bisher flüssig + Regiobus bietet Streikbrechern 100 Euro Prämie + Linke stellt sich hinter Gewerkschaft + Kritik aus der Wirtschaft

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Potsdam - Am Platz der Einheit herrscht am Dienstagmorgen Leere - und vor allem Stille. Es fehlt das Klappern und Quietschen der Bahnen und Brummen der Busse, die ganze Stadt klingt, als hätte jemand den Lautstärkeregler heruntergedreht. 

Auf den Straßen sind viele Radfahrer unterwegs, teilweise sind in der Innenstadt weniger Autos zu sehen als sonst. Möglicherweise aus Sorge vor Staus scheinen viele zuhause geblieben zu sein. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch an anderen Stellen in der Stadt. Nutzer auf Facebook berichten indes von vollen Straßen, auf der Heinrich-Mann-Allee wurde für eine zwei Kilometer lange Strecke 25 Minuten gebraucht, berichtet ein Autofahrer. 

Der Warnstreik trifft die Landeshauptstadt wie auch andere deutsche Städte mit Wucht - jedoch haben sich viele Fahrgäste im Vorhinein vorbereitet: Die Gewerkschaft Verdi hat auch in Potsdam und im Landkreis Potsdam-Mittelmark zu einem ganztägigen Warnstreik im öffentlichen Nahverkehr aufgerufen. Die PNN geben einen Überblick zur aktuellen Lage - dieser Text wird laufend aktualisiert. 

Was fährt noch, was nicht?

Die gesamte Flotte der Potsdamer Verkehrsbetriebe (ViP) steht still. Rund 180 von insgesamt 323 Mitarbeitern im Fahrdienst der ViP wären heute eigentlich im Dienst gewesen, sollten Busse und Bahnen durch die Stadt lenken, sagte ViP-Sprecher Stefan Klotz. Etwa 95 Prozent des Fahrpersonals beteiligen sich seit dem frühen Morgen an dem Streik, sagte Verdi-Verhandlungsführer Jens Gröger auf PNN-Anfrage. Vor dem Hauptquartier der Verkehrsbetriebe in der Fritz-Zubeil-Straße in Babelsberg stehen seinen Angaben zufolge rund 110 streikende Mitarbeiter, aus der Spätschicht werden weitere 30 bis 40 Kollegen dazukommen, so Gröger. 

Warnstreik: Beschäftigte vor dem ViP Hauptquartier.
Warnstreik: Beschäftigte vor dem ViP Hauptquartier.

© privat

Einzig einige Buslinien könnten in Potsdam durch Subunternehmer wie die Firma Anger bedient werden - so die Linie 692 von Bornim in die Innenstadt und zurück, wo allerdings auch einzelne Fahrten entfallen. Die Busse, die am Dienstag noch unterwegs sind, sind fast leer, sagte ViP-Sprecher Klotz auf Anfrage. Auch im ViP-Kundenservice gibt es am Dienstag kaum Anrufe oder Beschwerden: Die Kunden hätten sich auf den Stillstand eingestellt, so Klotz.  

Folgende Tabelle veröffentlichte der ViP:

Für detaillierte Fahrpläne verwies der ViP auf seine Seite: www.vip-potsdam.de

Am Bahnhof Medienstadt Babelsberg ist am Vormittag alles leer, auch die Züge sind keinesfalls voller als sonst. Auch im Süden Potsdams wirkt das akustische Leben der Stadt seit dem Morgen wie in Watte verpackt. Allerdings sind die Parkplätze vor den Mehrfamilienhäusern in Drewitz und Am Stern leerer als sonst, wer konnte, nutzte im Gegensatz zu sonst den eigenen fahrbaren Untersatz.

Zehntausende Menschen nutzen täglich die Angebote des Potsdamer Verkehrsbetriebs (ViP) und des für Mittelmark zuständigen Regiobus-Unternehmens, gerade in den Morgenstunden und am Nachmittag. Diese müssen sich laut ViP darauf einstellen, dass "alle Fahrten der Tram, der Fähre und ein Großteil der Fahrten mit dem Bus" entfallen, wie das Unternehmen am Montagmittag erklärte. Fahrgäste sollten sich "alternative Verbindungen suchen". 

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Regiobus warnte vor Fahrtausfällen und Anschlussverlusten im
gesamten Gebiet des Unternehmens. Konkrete Aussagen, ob und welche Linien am Dienstag noch bedient werden können, seien nicht möglich, so Regiobus-Sprecherin Anette Lang. Man wisse nicht, wer von den Busfahrern streikt und wer nicht. Ähnlich betroffen von dem Arbeitskampf ist auch das Unternehmen Havelbus. Regiobus hat unterdessen Streikbrechern eine Prämie von 100 Euro angeboten. Das sei vom Bundesarbeitsgericht in einem Beschluss von 2018 als konform angesehen worden. Mittelmarks Landrat Wolfgang Blasig (SPD) hat das gestern genehmigt, so Regiobus-Chef Hans-Jürgen Hennig. Bei Verdi hat das für Ärger gesorgt, vor den Werktoren von Regiobus in Bad Belzig seien am frühen Morgen nach Verdi-Angaben nur 25 Mitarbeiter gestanden.  

Von wann bis wann wird gestreikt?

Verdi hat als Beginn des 24-Stunden-Ausstands 3 Uhr angegeben und erklärt: "Fahrgäste müssen sich darauf einstellen, dass in den genannten Zeiträumen weder die Busse oder Bahnen der bestreikten Unternehmen fahren." 

Der Platz der Einheit am Dienstagmorgen um 8 Uhr. 
Der Platz der Einheit am Dienstagmorgen um 8 Uhr. 

© Sabine Schicketanz

Die Gewerkschaft Verdi will am Dienstag auch die Berliner BVG bestreiken. Von 3 bis 12 Uhr sollen alle Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen stillstehen. Danach dauert es erfahrungsgemäß noch mehrere Stunden, bis alles wieder nach Plan rollt.

Fahren S-Bahn und Deutsche Bahn?

Ja. Die S-Bahnen und die Regionalexpresszüge zwischen Berlin und Potsdam sind im Einsatz, wie die Deutsche Bahn mitteilte. Man werde sogar mehr S-Bahnen fahren lassen. Am Dienstagmorgen teilte die S-Bahn auf Twitter mit, welche Linien verstärkt werden. Unter anderem verkehren zusätzliche Züge im 20-Minuten-Takt auf der S1 zwischen Zehlendorf und Potsdamer Platz.

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Vom Streik betroffen sei die DB Regio Bus Region Ost, die in anderen Teilen Brandenburgs  den Busverkehr abwickelt, so das Unternehmen. Die Berliner S-Bahn kam bei früheren Streiks freilich regelmäßig an ihre Kapazitätsgrenzen. Und ganz problemlos verläuft es in Potsdam auch nicht beim S-Bahn-Verkehr: Gegen 11 Uhr gab es eine Signalstörung bei der S-Bahn, die neben dem Regionalbahnen als einzige noch fährt. Der S-Bahnverkehr Richtung Potsdam ist derzeit unregelmäßig. Nach Angaben der S-Bahn soll die Signalstörung mittlerweile wieder behoben sein. 

Signalstörung bei der S-Bahn am Streiktag. 
Signalstörung bei der S-Bahn am Streiktag. 

© Kay Grimmer

Wie ist die Situation auf den Straßen? 

Etliche Straßen in Potsdam, so zum Beispiel im Potsdamer Norden, sind am Dienstagmorgen leerer als sonst. Viele Fahrgäste sind aus Angst vor langen Staus vermutlich heute einfach zuhause geblieben. Aktuell wird von den 130 Staumeldestellen der Stadtverwaltung nur ein Stau auf der Großbeerenstraße zwischen Horstweg und Fritz-Zubeil-Straße gemeldet. 

Ein ähnliches Bild zeigt sich auf den Autobahnen rund um Potsdam: Anders als man annehmen könnte, ist auf der A115 aus dem Süden Richtung Potsdam nicht mehr Verkehr als sonst. Es gibt aktuell kein Stau, von zusätzlichen Pendlern, die aufgrund der Streiks auf das Auto umgestiegen wären, ist nichts zu merken. Die aktuelle Verkehrslage in Potsdam können Sie hier nachlesen. 

Um was geht es bei dem Streik?

Wie berichtet, hatte die Gewerkschaft Verdi auch für die Landeshauptstadt zu einem Warnstreik im öffentlichen Nahverkehr aufgerufen. Sie will die Arbeitsbedingungen für die Fahrer verbessern und fordert einen Rahmentarifvertrag, der bestimmte manteltarfliche Themen bundesweit einheitlich regelt. Etwa bei der Anzahl der Urlaubstage, Sonderzahlungen, dem Ausgleich von Überstunden oder bei den Zulagen für Schichtdienste.

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Jens Gröger, Verdi-Geschäftsführer für Nordbrandenburg und dort Verhandlungsführer bei den Tarifverhandlungen, ist zufrieden: "In Potsdam ist kein Bus und keine Bahn vom Hof gerollt. Wir hoffen, dass das Signal an die Arbeitgeber deutlich war." Auch bei Regiobus, dem Verkehrsunternehmen in Potsdam-Mittelmark, standen die Busse weitestgehend still. Nur wenige Fahrer seien gefahren, so Gröger. Und dass obwohl das Unternehmen nach Angaben von Gröger eine Streikbrecherprämie von 100 Euro denjenigen geboten haben soll, die sich trotz des Streiks ans Steuer setzen.

Ein Dorn im Auge ist Gröger aber auch die schlechtere Bezahlung der Bus- und Tramfahrer in Potsdam und Brandenburg. Sie verdienen beim Einstieg rund 300 Euro weniger brutto als ihre Kollegen in Berlin. Doch das sei ein anderes Thema. 

Corona und der Warnstreik

Vor vollgestopften Regionalzügen, S-Bahnen und Bussen haben sich im Vorfeld des Streiks sicherlich viele Fahrgäste gefürchtet - zumal die Infektionszahlen steigen. Dass es problematisch ist, inmitten der Coronakrise, in der bereits Fahrgäste ausbleiben, zu streiken ist auch dem Verdi-Verhandlungsführer Gröger bewusst. 

"Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände hat aber beschlossen, mit uns nicht verhandeln zu wollen - wir mussten jetzt ein Signal setzen." 

Brandenburger Linke unterstützt Warnstreiks im Nahverkehr

Die Brandenburger Linke hat sich hinter die Warnstreiks bei den Brandenburger Verkehrsbetrieben gestellt. „Wir unterstützen ausdrücklich die Forderungen von Verdi zu einem neuen Rahmentarifvertrag für den Öffentlichen Personennahverkehr“, erklärten die Landesvorsitzenden Anja Mayer und Katharina Slanina am Dienstag nach einem Besuch bei den Teilnehmern des Warnstreiks in den Potsdamer Verkehrsbetrieben. „Eine Entlastung der Beschäftigung und eine systematische Förderung des Nachwuchses ist bitter nötig.“ Darüber hinaus müssten die Tarife für die Brandenburger Bus- und Bahnfahrer endlich an das Berliner Niveau angeglichen werden, erklärten die Parteivorsitzenden. „Es ist nicht nur absurd, dass innerhalb des Verkehrsverbundes Gehaltsunterschiede von mehr als 200 Euro bestehen - es schadet auch den Brandenburger Verkehrsunternehmen nachhaltig“, meinten sie. Für die großen Herausforderungen im Rahmen der Verkehrswende seien viele neue Beschäftigte und gute Arbeitsbedingungen notwendig, betonten Mayer und Slanina.

Wirtschaft kritisiert Warnstreik

Der heutige Warnstreik im öffentlichen Nahverkehr stößt auf Kritik bei Interessenvertretern der Brandenburger Wirtschaft. „Die Streiks in Bussen und Bahnen waren eine Zumutung für die Unternehmen und ihre Beschäftigten. Viele tausend Menschen haben es damit nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen zur Arbeit geschafft", sagte Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg.  „Der Wirtschaft, die sich mühsam aus dem Pandemie-Tal hocharbeitet, hat die Gewerkschaft damit einen Knüppel zwischen die Beine geworfen. In Anbetracht eines deutlich erhöhten Ansteckungsrisikos in S-Bahnen und Nahverkehrszügen hätte sich Verdi diesen Warnstreik sparen können." Ohnehin sei es unverständlich, dass gerade die Beschäftigten streiken, deren Arbeitsplätze die sichersten überhaupt sind. „In der aktuell schwierigen Lage hätten wir von der Gewerkschaft mehr Unterstützung und Gemeinsinn erwartet.“ 

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