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Wie helfen? Im Pfiff-Kurs zeigen Profis pflegenden Angehörigen, wie Pflege praktisch geht. Zum Beispiel, wie man jemandem in den Rollstuhl hilft.

© Andreas Klaer

Pflegenotstand in Potsdam: Selbst pflegen, solange es geht

In Potsdam herrscht Pflegenotstand. Das Interesse an einem Kurs für pflegende Angehörige im Bergmann-Klinikum ist vermutlich auch deswegen groß.

Potsdam - Wie ziehe ich einer bettlägerigen Person einen Pullover an? Wie helfe ich jemandem in den Rollstuhl? Was tun, wenn ein Angehöriger sich gegen Pflege wehrt? Alles Fragen, die sich niemand gerne stellt, aber die schlagartig an Bedeutung gewinnen, sobald ein Mitglied der Familie zum Pflegefall wird. Bei den „Pfiff“-Kursen – Pfiff steht für Pflege in Familien fördern – werden sie beantwortet: Seit 2015 bietet das Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ einmal im Monat einen kostenlosen, zweitägigen Kurs für Privatpersonen an, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen. Ein Angebot, das vor dem Hintergrund des Pflegenotstands in Potsdam deutlich an Wichtigkeit gewinnen könnte (PNN berichteten).

„Wenn die Haut sehr blass ist, was könnte die Ursache dafür sein?“, fragt Krankenschwester Diana Lorentz in die Runde. „Schlechte Durchblutung“, meldet sich einer der acht Teilnehmer. „Richtig, es könnte aber auch ein Hinweis auf eine Magen-Darm-Erkrankung sein“, sagt Lorentz. Krankenbeobachtung heißt dieser Teil des Theorietags, bei dem Kursteilnehmer in ihrer Wahrnehmung geschult werden und Tipps zu prophylaktischen Maßnahmen erhalten, zum Beispiel gegen das Wundliegen oder Stürze. Darauf folgt der Praxistag, dann werden alltägliche Handgriffe mit bettlägerigen Personen geübt.

73-Jähriger pflegt seine krebskranke Frau: "Solange ich das noch schaffe, mache ich das auch"

„Ich nehme hier viele gute Hinweise mit“, sagt Karl-Heinz Kraft. Der 73-Jährige pflegt seine Frau, die schwer an Krebs erkrankt ist. „Sie will keinen Fremden um sich haben, und solange ich die Pflege noch selber schaffe, mache ich das auch“, sagt Kraft. So wie ihm geht es vielen im Kurs: Die meisten wollen die Verantwortung für ihre Angehörigen nicht komplett an einen Pflegedienst abgeben. Zum Teil notgedrungen: „Haben Sie schon einmal versucht, in Potsdam einen Pflegedienst zu bekommen?“, fragt ein Kursteilnehmer in die Runde. „Dann kommt oft die Frage: ‚Wo wohnen Sie?’ ‚In Bornim.’ ‚Nein, das ist viel zu weit weg für uns!’“

Tatsächlich bleiben immer wieder Pflegebedürftige in Potsdam unversorgt, weil die ambulanten Pflegedienste unterbesetzt sind. Ursache sind unter anderem die Tarifbedingungen in Brandenburg, die dazu führen, dass viele Pflegekräfte nach Berlin abwandern, wo zum Teil bis zu 70 Prozent mehr für die gleichen Leistungen gezahlt wird. „Wir hören immer wieder von unseren Kursteilnehmern, dass oft keine Hauskrankenpflege zu erreichen ist“, bestätigt Lorentz.

Zwei Drittel der Kursteilnehmer kommen aus dem Umland

Dennoch habe es seit dem Start der Pfiff-Kurse nur einen leichten Anstieg bei den Teilnehmerzahlen gegeben, sagt Klinikumssprecherin Theresa Decker. Anfangs nahmen rund acht Interessierte teil, nun seien es meist zwischen zehn und 14 pro Monat. Wartelisten gebe es nicht, so Decker. Rund ein Drittel der Teilnehmer komme aus Potsdam, zwei Drittel aus dem Umland. Seit Kurzem gibt es die Pfiff-Kurse, die von der AOK bezahlt werden, auch im „Ernst von Bergmann“-Klinikum in Bad Belzig, wo sie vierteljährlich stattfinden. Auch das Evangelische Zentrum für Altersmedizin in Potsdam bietet Pfiff-Kurse an.

Oft funktionieren die Kurse zugleich wie Selbsthilfegruppen, bei denen sich die Teilnehmer untereinander austauschen: „Was für Argumente kann ich benutzen, um jemanden zu einem Arztbesuch zu bewegen?“, fragt eine Frau, deren Mutter sich dagegen wehrt, zum Arzt zu gehen. „Am besten den Angehörigen mit ins Boot nehmen, auf den sie am meisten hört“, rät ein Kursteilnehmer. „Oder sagen: Ich habe auch einen Termin beim Arzt, begleite mich doch bitte!“, schlägt eine andere Teilnehmerin vor. Aber auch Fragen wie diese werden häufig diskutiert: Wie kann man die Angehörigen respektvoll pflegen, ohne sie dabei zu entmündigen?

„Ich finde es ganz wichtig, den Menschen trotz allem ihre Selbstständigkeit zu lassen“, betont die 60-jährige Gabriele Hubrich, die ihre Mutter pflegt. Sie besucht den Kurs vor allem, um praktische Techniken zu lernen und auf schwierige Situationen vorbereitet zu sein: „Ich wollte im Ernstfall nicht mit Unwissenheit glänzen.“

Scham und Solz spielen problematische Rolle in der Pflege

Tatsächlich spielen Scham und Stolz oft eine problematische Rolle in der Pflege: „Viele Betroffene wollen sich nicht eingestehen, dass sie bestimmte Dinge nicht mehr können“, sagt Manuela Brockmeier vom Pflegestützpunkt Potsdam, der als Beratungsbüro zum Thema Pflege dient. „Und die Angehörigen wollen ihre Eltern natürlich nicht bloßstellen oder entmündigen.“ Dadurch komme dringend nötige Hilfe oft nicht bei den Betroffenen an: „Aus diesen Gründen werden Pflegestufen oft viel zu spät beantragt“, sagt Brockmeier. Auch schlichtes Unwissen über Leistungen, auf die man eigentlich Anspruch hat, seien ein Problem, so Brockmeier: „Viele wissen zum Beispiel gar nicht, dass sie ab einer gewissen Einschränkung der Sehleistung Anspruch auf Blindengeld haben.“

Die zweitägigen Pfiff-Kurse sind nicht das einzige Angebot des Bergmann-Klinikums: Bei Bedarf machen die Kursleiterinnen auch Hausbesuche, leiten am Krankenbett an und organisieren Gesprächsrunden für pflegende Angehörige. Um die Informationslage über Hilfe und Anlaufstellen zu verbessern, soll der Pflegestützpunkt Potsdam demnächst von zwei auf drei Stellen aufgestockt werden. Das hatte Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) angekündigt. Das Beratungsbüro hat seit Anfang des Jahres mehrere Hundert Anfragen beantwortet. Aufgrund neuer gesetzlicher Bestimmungen in der Pflege hatte sich deren Zahl nahezu verdoppelt.

Pflegestützpunkt Potsdam, Jägerallee 2 (Haus 2), 14467 Potsdam, Tel.: (0331) 289 22 10 (Pflegeberatung) oder 289 22 11 (Sozialberatung). Informationen zu den Pfiff-Kursen online unter >>

Hintergrund: Erste Maßnahmen gegen den Pflegenotstand

Im Kampf gegen den Pflegenotstand in Potsdam hatte Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) zuletzt bereits mehrere Maßnahmen angekündigt. Eine wichtige Rolle soll auch das kommunale Klinikum „Ernst von Bergmann“ spielen und prüfen, ob es die Lücke bei den ambulanten Pflegediensten schließen helfen kann – speziell im Norden der Stadt, wo bisher nur zwei Pflegedienste aktiv sind, viel weniger als im Potsdamer Süden. Dadurch würden sich auch Anfahrtswege für Pfleger verlängern. Ebenso soll das Klinikum prüfen, inwiefern es bei der Ausbildung von Pflegenachwuchskräften helfen könne.

Schubert hatte ebenso eine Arbeitsgruppe zum Thema Nachwuchssuche gebildet. Zudem hatten die Potsdamer Stadtverwaltung und auch Pflegedienstleister gefordert – auch mit Blick auf Landessozialministerin Diana Golze (Linke) –, dass Pflegeleistungen in Potsdam wie in Berlin vergütet werden. Dorthin wandern derzeit viele Fachkräfte ab, weil sie in Berlin mehr verdienen können. PNN

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