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Prozessbeginn. Matthias B. (r.) steht seit dem gestrigen Montag wegen versuchten Totschlags vor Gericht. 

© Henri Kramer

Prozessauftakt in Potsdam: Säugling fast zu Tode geschüttelt

Ein Potsdamer ist wegen versuchten Totschlags angeklagt. Am ersten Verhandlungstag sprach auch die Mutter seines mutmaßlichen Opfers

Potsdam - Die Vorwürfe gegen Matthias B. sind gravierend: Er soll einen fünfeinhalb Monate alten Säugling so stark geschüttelt haben, dass der Junge nun schwerstbehindert ist. Seit Montag muss sich der 1987 geborene Mann deswegen vor dem Potsdamer Landgericht verantworten. Doch laut seinem Anwalt hat er die Vorwürfe bisher bestritten, nach Verlesung der Anklageschrift schwieg der Potsdamer zu der ihm vorgeworfenen Tat.

Der mutmaßliche Vorfall ereignete sich in einem sozial offensichtlich schwierigen Milieu, in dem auch Drogenkonsum scheinbar zum Alltag gehörte. Laut Staatsanwaltschaft habe der Angeklagte B. das Baby am 28. Oktober 2020 in seiner Wohnung im Plattenbauviertel Drewitz als Ziehvater betreut, für seine gute Freundin, die zu der Zeit obdach- und arbeitslos war und vor Gericht nicht einmal den Namen des leiblichen Vaters wusste. 

Doch weil der Angeklagte aus Sicht der Ermittler mit der Situation überfordert gewesen sei, habe er das Kind geschüttelt – damit es zu quengeln aufhöre. Der Mann, selbst Vater einer schulpflichtigen Tochter, habe dabei schwerste Verletzungen und sogar den Tod des Kindes in Kauf genommen, sind sich die Ankläger sicher. Kurz darauf habe das Kind erste Anzeichen gravierender Verletzungen gezeigt, hieß es bei Verlesung der Klageschrift wegen versuchten Totschlags.

Das Kind musste notoperiert werden

Jedenfalls führte Matthias B. dann einige Alarmtelefonate, auch mit der leiblichen Mutter – die gerade noch unter Drogeneinwirkung von der Nacht zuvor stand. Die ebenso eingeschaltete Großmutter des Jungen veranlasste schließlich, dass das Kind ins „Ernst von Bergmann“-Klinikum gebracht wurde, dort folgte eine Not-OP. Dafür musste der Säugling auch intubiert und beatmet werden. In der Anklage wurden bereits langfristige Schäden geschildert, die das Kind erlitten habe: Es sei hochgradig sehbehindert beziehungsweise blind, ebenso wurde Hörverlust diagnostiziert. Es sei unklar, ob das Kind jemals krabbeln lernen werde, so die Einschätzung der Ermittler.

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Am ersten Verhandlungstag sagte unter anderem die Mutter des so malträtierten Jungen aus – und schilderte ihre schon zuvor schwierigen Lebensumstände. So wurde ihre erste, vor rund sieben Jahren geborene Tochter ihr vom Jugendamt entzogen. Ihre alte Wohnung hatte sie nach Trennung von einem früheren Partner 2018 verloren. Seitdem schläft sie mal hier, mal dort, auch heute noch. Am Tag vor der mutmaßlichen Tat war sie offiziell fest bei dem Angeklagten eingezogen, ihrem damals noch „besten Freund“ – auch wenn er sich wohl eine Liebesbeziehung erhofft habe, wie sie schilderte.

Das Jugendamt hatte Auflagen erteilt

Mehrfach pro Woche habe nach der Geburt des Sohnes Kontakt zum Jugendamt bestanden. Die Kinderschutzbehörde habe es auch zur Auflage gemacht, die neue Wohnung kindgerecht herzurichten, was auch geplant gewesen sei, wie sie sagte. „Wir schaffen das“, habe der Angeklagte immer gesagt, so ihre Erinnerung. An einer anderen Stelle ihrer nicht immer widerspruchsfreien Aussage sagte die Mutter aber auch, ihr „bester Freund“ sei manchmal aggressiv gewesen, wenn er schlechte Laune hatte. 

Die Polizei entnahm den WhatsApp-Verläufen der beiden, dass sie häufig versuchte, ihm Cannabis zu besorgen, während er ihr immer gerecht werden wollte, wohl in Hoffnung auf eine Beziehung. Vor Gericht sagte sie, sie habe ihm immer zu 100 Prozent vertraut. Am Abend vor dem Tattag sei sie zu einem anderen Mann gefahren, um von dort versprochene Wandfarbe zum Renovieren zu besorgen. Laut der Aussage ging das Ganze wohl länger, waren auch Amphetamine und Ecstasy im Spiel.

Schockanruf gegen Mittag

Am nächsten Tag gegen 11.30 Uhr rief der Angeklagte sie unter Tränen an und habe ihr gesagt, dass es dem Sohn schlecht gehe. Die Oma sei dann mit ins Krankenhaus gefahren, habe dann die schreckliche Nachricht überbracht, dass der Sohn notoperiert werden musste, vermutlich nach heftigem Schütteln. 

Noch am Abend wurde auch die Mutter festgenommen, sie stand zwischenzeitlich ebenfalls unter Verdacht. Ihren Sohn hat sie seitdem erst einmal wieder gesehen, berichtete die Frau unter Tränen. Das Jugendamt hat ihn in der Obhut, er wird noch behandelt. Für den Prozess sind bis zum 7. Juli noch acht Verhandlungstage geplant. 

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