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Landeshauptstadt: Ohne Merkel lief das Duell besser

SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz sprach am Freitag vor mehreren Hundert Potsdamern über Sozialpolitik, Merkelsche Versäumnisse und seine angestrebte Kanzlerschaft

Innenstadt „Schlaftablettenpolitik“, „Weltmeisterschaft des Ungefähren“ und „Ein ,Weiter so’ darf es nicht geben!“ – alles an Spitzen, was im zahmen TV-Duell gegen Angela Merkel ausgeblieben war, schien Martin Schulz am Freitag vor dem Brandenburger Tor nachholen zu wollen. Einige Hundert Potsdamer kamen zum Wahlkampfauftritt des SPD-Kanzlerkandidaten, der sich trotz Umfragewerten von nur rund 20 Prozent für seine Partei unbeirrt und kämpferisch zeigte. Die SPD-Landespartei selbst sprach von etwa Tausend Besuchern bei der einzigen großen Wahlkampfkundgebung von Schulz in Brandenburg.

Auch die Anwesenden haben die aktuellen Umfragen anscheinend verfolgt, viele Gesichter sind ernst und verkniffen. Aber: „Nicht Meinungsforscher entscheiden die Wahl, sondern Sie!“, ermutigt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke die applaudierende Menge, als er auf der Bühne auf die gesunkenen Werte der SPD angesprochen wird. Er sowie Parteifreunde wie Generalsekretärin Klara Geywitz und Direktkandidatin Manja Schüle wärmen rund eine Stunde lang das Publikum für „Martin“ vor, auch der Grafiker Klaus Staeck kommt als prominenter SPD-Unterstützer zu Wort: „Ich habe 16 Jahre Kohl ertragen müssen, das will ich mit Merkel nicht nochmal haben!“ Vor zwei Tagen habe er zusammen mit anderen Prominenten wie der Schauspielerin Iris Berben und dem Moderator Klaas Heufer-Umlauf einen Wahlaufruf für die SPD unterschrieben.

Dann ist es endlich soweit: „Begrüßen Sie unseren nächsten Bundeskanzler – Martin Schulz!“, kündigt die Moderation an. Schulz läuft durch eine Gasse durch das Publikum zur Bühne, SPD- und Europa-Fahnen werden geschwenkt, „Martin, Martin, Martin“-Rufe ertönen und einige zuvor ernste Gesichter haben sich deutlich entspannt – viele hier glauben offensichtlich noch immer fest an ihn.

Und auch Schulz glaubt an sich: Breitbeinig steht er vor dem Rednerpult, eine Hand in der Hosentasche. „Frau Merkel sagt: Deutschland geht es gut. Ja, aber es kann viel mehr, wenn ein Sozialdemokrat Kanzler ist!“ Die Seitenhiebe gegen die Bundeskanzlerin erhalten allesamt viel Applaus, ebenso wie die zahlreichen Forderungen nach Verbesserungen der Sozial- und Bildungspolitik, die einen Großteil der rund einstündigen Rede bestimmen: Mietpreisbremse verschärfen, sozialen Wohnungsbau fördern, Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit durchsetzen, in Kitas und Schulen investieren, Pflegesituation verbessern. „In einem so wohlhabenden Land wie Deutschland muss die Würde im Alter zu einer zentralen Staatsaufgabe werden“, so Schulz.

Rente, Bundeswehr, Dieselskandal – Schulz geht ein Thema nach dem anderen durch. Große Zwischenfälle gibt es keine, auf dem Luisenplatz haben sich Linkspartei und Greenpeace mit zwei Infoständen platziert, auf der Brandenburger Straße hält ein Mann ein Plakat mit der Aufschrift „Die islamisierte SPD finanziert linke Antifa-Terroristen“ hoch. Plötzlich läuft ein Hund im roten Pulli auf die Bühne: „Den muss die Wagenknecht geschickt haben“, scherzt Schulz.

Man merkt Schulz an, dass es einer von vielen Auftritt im Wahlkampf ist: Die Stimme ist leicht heiser, in manchen Momenten wirkt er abgekämpft. Das räumt Schulz sogar ein: „Ich bin allmählich am Limit, ich muss ja jedes Mal zwei Programme erzählen – meins und das von Frau Merkel!“ Mit Leidenschaft wettert er auch gegen die „Konjunkturritter der Angst“ von der AfD: Als Schulz die jüngsten Äußerungen von Alexander Gauland zur Wehrmacht erwähnt, ertönen Buhrufe für den AfD-Spitzenkandidaten. „Das ist der Ton der 30er-Jahre, der Ton der Totengräber der Demokratie“, ruft Schulz unter lautstarkem Beifall.

Nach dem Ende der Rede heißt es: Hände schütteln und Selfies machen. Auch die Potsdamerin Grit Wollenberg hat sich mit Schulz fotografieren lassen: „Er hat eine tolle Ausstrahlung und ich glaube noch immer, dass er Kanzler wird“, sagt sie. Schulz’ Auftritt war zwar nicht spektakulär, aber solide, viele Anwesenden ziehen ein positives Fazit: „Ich fand ihn sehr gut, angriffslustig und spontan“, sagt der 26-jährige Dino Krause. „Er wirkte auf jeden Fall besser als im TV-Duell.“ Auch die Potsdamerin Birgit Seidel hat der Auftritt überzeugt: „Er ist ein sympathischer, volksnaher Mann und hat klare Ziele. Ob er Kanzler wird, weiß ich nicht, aber ich wünsche es ihm auf jeden Fall.“ Mancher zeigte sich verwundert, warum Schulz’ Umfragewerte so schlecht seien: „Das finde ich erstaunlich, ich verstehe das nicht“, sagt Peter Götze aus Potsdam. „Ich fand ihn sehr überzeugend, er ist kämpferisch bis zum Schluss.“

nbsp;Erik Wenk

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