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Wladimir Klitschko wurde stellvertretend für das ukrainische Volk mit dem M100-Preis ausgezeichnet.

© Sebastian Gabsch

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M100-Medienpreis für ukrainisches Volk: Wladimir Klitschko nimmt Auszeichnung in Potsdam entgegen

Für seine Standhaftigkeit gegen die russische Invasion ist das Volk der Ukraine geehrt worden. Wladimir Klitschko nutzte das Treffen für einen Appell an die Bundesregierung.

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Es ist ein Zeichen der Solidarität gegen die russische Aggression: Der Potsdamer M100-Medienpreis ist am Donnerstagabend an das ukrainische Volk verliehen worden. Entgegen nahm den Preis bei einem hochkarätig besetzten Empfang in der Orangerie von Sanssouci, an dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teilnahm, der frühere Boxchampion Wladimir Klitschko. Er gehört zu den prominentesten Gesichter des Widerstands in dem angegriffenen Land, sein Bruder Vitali ist Bürgermeister von Kiew. Klitschko sagte in Potsdam: „Wir müssen gemeinsam gegen diesen Krieg zusammenstehen, gegen den Völkermord.“ Die Medien gehörten zu den schärfsten Waffen in dieser Zeit, so Klitschko, der im Zusammenhang mit russischer Propaganda auch von Gehirnwäsche sprach.

Die Preisverleihung stand im Zeichen der dramatischen Lage in der Ukraine, in der Kiew zuletzt militärische Erfolge melden konnte – und der Druck auf die Bundesregierung wuchs, Panzer zu liefern. Insofern wurde die Rede von Bundeskanzler Scholz zur Preisverleihung mit Spannung erwartet. Bereits am Nachmittag wurde bekannt, dass Deutschland nun unter anderem weitere 50 gepanzerte Dingo-Transportfahrzeuge liefern wolle, dazu zwei weitere Mehrfachraketenwerfer.

Wladimir Klitschko (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim M100-Medienaward in Potsdam.

© Sebastian Gabsch

Scholz sagte: „Putin darf seine imperialistischen Ziele nicht erreichen.“ Die Ukraine werde bestehen bleiben, zeigte er sich sicher: „Slava Ukraina.“ Grenzen müssten unverrückbar bleiben, nur das sichere Frieden, weltweit. „Wir werden weiter verlässlich helfen.“ Auch beim Wiederaufbau werde Deutschland sich engagieren. Scholz nannte eine Summe von mehr als 750 Milliarden Euro, die dafür über viele Jahre nötig seien.

Preisträger Klitschko forderte, den Worten von Scholz müssten Taten folgen. „Es gibt in der Geschichte stets Schlüsselpersonen, die alles verändern können - Sie, Herr Bundeskanzler, sind diese Person.“ Man benötige weiter große Mengen an Waffen, um das Land zu befreien, die Aggressoren zu stoppen. „Es ist so ernst, wie es nur sein kann. Das unendliche Leid muss ein Ende haben.“ Putin wolle das Volk der Ukraine auslöschen. „Und wir wollen nicht auf unseren Knien leben.“

„Je länger der Krieg dauert, desto mehr Leute verlieren wir“

Daher sei er auch persönlich zu der Preisverleihung gekommen, um für die Sache seines Landes zu werben. „Je länger der Krieg dauert, desto mehr Leute, Zukunft, Talent und Infrastruktur verlieren wir.“ Zudem wachse die Gefahr, die von den fünf Atomkraftwerken in der Ukraine ausgehe. Allerdings übte er auch Kritik und fragte, warum so lange russische Propaganda in Europa zu empfangen gewesen sei - unter anderem mit den Fakenews, dass Ukrainer andere Ukrainer umbringen würden. „Sind wir so blind, können wir das nicht stoppen?“ Ebenso sprach er sich für Einreisebeschränkungen gegenüber russischen Touristen aus. Der Nachrichtenagentur dpa sagte Klitschko auch, es sei notwendig, dass Leopard-2-Kampfpanzer geliefert würden und Schützenpanzer vom Typ Marder. „Der Westen, diese freie Welt, bewegt sich viel zu langsam.“

Als Laudatorin trat unter anderem die neue US-amerikanische Botschafterin Amy Gutmann auf. Sie erinnerte an tausende Schulen, die während des Kriegs in der Ukraine zerstört worden seien – und bedankte sich bei Ländern wie Polen oder Deutschland, wo nun aus dem Kriegsgebiet geflohene Kinder unterrichtet würden. Unter anderem lobte sie auch ausdrücklich, dass Deutschland nun mehr für sein Militär ausgeben wolle. Wer es ernst meine mit dem Anspruch, „nie wieder“ einen Genozid zulassen zu wollen, der müsse die Ukraine unterstützen.

Eine Teilnehmerin beim M100-Treffen in der Orangerie von Sanssouci

© Jens Schlueter/AFP

Kritisch mit Deutschland setzte sich der frühere Präsident des Europäischen Rates und einstige polnische Regierungschef Donald Tusk auseinander. Immer wieder habe Polen vor dem Bau der North Stream 2-Pipeline gewarnt, vor allzu großer Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Es gebe aus seiner Sicht auch keine Erklärung dafür, warum zum Beispiel Deutschland weniger stark helfe als zum Beispiel Polen oder die USA, machte Tusk deutlich.

Potsdams Oberbürgermeister appelliert „Not beherzt zu mildern“

In einem längeren Grußwort rief Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) dazu auf, angesichts der Energiekrise und der stetig steigenden Preise nicht mit Unverständnis auf artikulierte Sorgen zu reagieren. Es sei insofern auch falsch und gefährlich, „Verzicht und Einschränkung als Beitrag für die Freiheit und zur Beendigung des Krieges zu postulieren“. Vielmehr müsse man entstehende Not beherzt mildern, das sei auch ein Beitrag für den Kampf der Ukraine.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD, r.) begrüßt Wladimir Klitschko in Sanssouci.

© Sebastian Gabsch

Und: „Je fairer wir im Diskurs miteinander umgehen, umso mehr geben wir Russland eine deutliche Antwort, dass wir uns gegen den Wirtschaftskrieg, der die Bürgerinnen und Bürger verunsichern soll, genauso entschlossen und geschlossen wehren, wie wir das ukrainische Volk in seinem Kampf für die Freiheit unterstützen“, so Schubert, der auch dem M100-Beirat vorsitzt. In dem Krieg entscheide sich „die europäische Ordnung als Grundvoraussetzung unser aller freiheitlich-demokratischer Lebensweise“.

Vielfach ging es bei dem unter anderem von der Stadt Potsdam mit 120 000 Euro geförderten ganztägigen M100-Medientreffen um die Ukraine. Schon am Morgen stellten 25 Nachwuchsjournalisten die Ergebnisse eines fünftägigen Workshops zum Thema Fake News vor, die besonders von russischer Seite nahezu maschinell und mit Hilfe der sozialen Netzwerke verbreitet würden – mit dem Ziel der Destabilisierung von Gesellschaften, um die Solidarität mit der Ukraine zu unterminieren.

Olga Rudenko, Chefredakteurin von Kyiv Independent, einem der wichtigen englischsprachigen Medien in dem angegriffenen Land, sprach in ihrer Eröffnungsrede auch von russischen Behauptungen, dass von Russland keine Kriegsverbrechen begangen würden. „Doch unsere Journalisten waren bei den Angehörigen der Opfer – es ist so passiert.“ Im Winter werde man an vielen Stellen den Preis für Freiheit und künftigen Frieden zahlen – in Deutschland finanziell, in der Ukraine mit Blut und Leben. „Wenn wir zusammenstehen, wird der Preis kleiner.“ Und: „Ukraine will win.“

Doch auch Osteuropa stand im Fokus: In einem Gespräch mit dem früheren Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, bekräftigte die Präsidentin des Kosovo, Vjosa Osmani-Sadriu, ihr Land wolle in die EU und die Nato. Auch hier verweigere der Nachbar und Verbündeter von Russland, Serbien, die Anerkennung der Staatlichkeit und habe sich bis jetzt nicht für frühere Aggressionen entschuldigt. Sie verlangte auch Klarheit gegen Diktaturen: „Appeasement macht Autokraten stark.“

Der M100-Preis war 2005 erstmals verliehen worden, das Format war Teil der damals gescheiterten Bewerbung Potsdams als Kulturhauptstadt Europas. Die Idee ist es, sich über die Rolle der Medien im Kampf für Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit auszutauschen – und zwar mit möglichst profilierten, wortgewaltigen Journalisten, Wissenschaftler:innen und Politiker:innen. In den vergangenen Jahre hatte man sich dabei zunehmend auf osteuropäische Themen konzentriert und schon 2014 einen Preis an Vitali Klitschko vergeben, als wichtigem Vertreter der Maidan-Revolution. Schon dieser habe damals vor weiterer russischer Aggression gewarnt, sagte sein Bruder Wladimir am Donnerstag: „Wenn die Ukraine fällt, fallt ihr irgendwann auch.“ 2014 hätten viele geglaubt, Putin würde niemals Kiew angreifen. „Ich möchte, dass dieses Mal nicht weggeschaut wird.“

2015 war Natalja Sindejewa ausgezeichnet worden, die Gründerin des unabhängigen russischen Fernsehsenders Doshd-TV, der nach Kriegsbeginn in Russland verboten wurde und nun von Lettland aus sendet. Im vergangenen Jahr war schließlich auch der inhaftierte Führer der russischen Opposition Alexei Nawalny in Abwesenheit ausgezeichnet worden – als „ein deutliches Zeichen für die Bedeutung der Verteidigung europäischer Werte“, wie es damals schon hieß.

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