zum Hauptinhalt
Jugendguide Marie (r.) berichtete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über ihre Recherchen zu Rechtsextremismus.

© Foto: pnn/Andreas Klaer

Jugendmesse in Potsdam: Der Geschichte auf der Spur

130 Jugendliche haben sich in akribischer Recherche mit Heimathistorie befasst. Die Ergebnisse hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angeschaut.

Für die Schülerinnen und Schüler aus dem Ort Kagel in der Gemeinde Grünheide (Mark) stand eine Klassenfahrt an. Die Mädchen und Jungen waren sehr aufgeregt, so zumindest notierte es einst der Lehrer. Allerdings führte die Klassenfahrt nicht in eine Jugendherberge - sondern zu einer Rede von Adolf Hitler. Dies ist eine von vielen Begebenheiten, die Lisa recherchiert hat. Die Jugendliche aus Kagel hat beim Projekt „Jugendguides“ mitgewirkt.

Sie recherchierte dafür die Geschichte ihrer Schule während der NS-Zeit. Dafür hat sie sich durch unzählige Seiten der Schulchronik gewühlt. „Dabei habe ich herausgefunden, dass es auch an unserer Schule Lehrer gab, die fanatische Nazis waren“, erzählt Lisa. Bei den „Jugendguides“ hat sie die Geschichte für andere junge Menschen aufbereitet.

Die „Jugendguides“ sind eines von zahlreichen Projekten, die auf der diesjährigen Jugendgeschichtsmesse in Potsdam vorgestellt wurden. Über 130 junge Menschen haben in Archiven geforscht, in Schulchroniken recherchiert und mit Zeitzeugen gesprochen. Am Samstag haben sie die Ergebnisse ihrer Arbeit im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam vorgestellt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (beide SPD) haben sich das nicht entgehen lassen.

Ein unsichtbarer Teil der Geschichte Brandenburgs

Am Stand der SPD-Jugendorganisation Falken unterhielt sich Scholz - umringt von einer Menschentraube und Sicherheitsmännern - mit den Jugendlichen. Darüber freut sich die junge Teilnehmerin Clara natürlich. „Aber eigentlich wäre es wichtiger, lokale Politiker hier zu haben“, sagt sie. Die Falken haben eine Karte erarbeitet, auf der Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg seit der Wiedervereinigung verzeichnet sind. Mindestens 23 Menschen sind seit 1990 getötet worden. „Das ist leider ein Teil unserer Geschichte, aber einer, der meist unsichtbar bleibt“, sagt Clara. Das habe man mit dieser Karte ändern wollen.

Im Projekt „Zeitensprünge“ sind Kinder und Jugendliche der Geschichte ihrer Heimatorte auf der Spur.

© Foto: pnn/Andreas Klaer

Andere Gruppen haben sich mit der DDR-Zeit befasst. Judith Märksch leitet das Projektbüro „Jugend erinnert“, das sich mit der SED-Diktatur auseinandersetzt. „Die Jugendlichen haben ja keinen eigenen Bezug mehr zu dieser Zeit, sie kennen das höchstens über die Eltern“, sagt sie. Die Parole „Wir sind das Volk“, die heutzutage auch auf rechtsextremen Demonstrationen skandiert wird, stamme aus der Wendezeit und habe da eine ganz andere Bedeutung gehabt. „Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dieser Zeit auch heute noch wichtig, damit Jugendliche sich in solchen Debatten verorten können.“

Mode aus DDR-Zeiten

Doch ging es nicht nur um die großen Wendepunkte der Geschichte, sondern auch um ganz normalen Alltag in der Vergangenheit. Die 22-jährige Janine hat sich mit DDR-Mode beschäftigt. „Vieles haben die Leute damals selber gemacht“, erzählt sie mit spürbarer Begeisterung. „Es gab sogar in Zeitungen Schnittmuster für Kleider. Die haben die Leute ausgeschnitten und dann selber geschneidert, können Sie sich das vorstellen?“

Die Projekte gingen meist der Geschichte direkt vor der heimatlichen Haustür nach: Lia, Mona und Leonie haben Straßennamen in ihrer Heimatstadt Lauchhammer untersucht. Und zwar besonders solche, auf deren Namensherkunft sie sich beim besten Willen keinen Reim machen konnten: Schettelweg zum Beispiel. Oder: Bogjama. Das bedeutet „Gottesacker“ auf Wendisch, einer sorbischen Sprache, haben die drei herausgefunden. „Was Schettelweg heißt, wissen wir immer noch nicht“, sagt die 14-jährige Mona.

Die Fotografin Simone Ahrend hat mit Jugendlichen in der Prignitz zum Alltagsleben an der innerdeutschen Grenze recherchiert. „Ich bin da aufgewachsen. Als ich selbst jugendlich war, haben Soldaten meinen Alltag geprägt“, erzählt sie. Sie findet: „Wer nicht zurückblickt, wird auch nicht nach vorne blicken.“

Zwischen Angst und Hoffnung

Lisa aus Kagel, die in der Chronik ihrer alten Schule zur NS-Zeit recherchiert hat, sieht das genau so. Ihre Freundin Marie pflichtet ihr bei: „Es ist wichtig, sich mit dieser Zeit zu befassen, auch wenn es unangenehm ist“, sagt sie. Sie ist Biographien von NS-Opfern aus ihrer Region nachgegangen. Das war der Hauptteil ihrer Recherche. Das Herzstück ihrer Arbeit ist aber eine Infotafel, auf der sie rechtsextreme Straftaten aus ihrer Heimat Märkisch-Oderland aufgelistet hat. Diese Taten allerdings wurden nicht zur NS-Zeit, sondern in den vergangenen Jahren begangen.

Zu lesen, welche Angst verfolgte Menschen damals hatten, sei das eine. „Aber es ist krass, dass manche diese Angst auch heute noch spüren“, sagt Marie. „Manchmal wird mir einfach nur noch schlecht.“ Deshalb sei es ihr wichtig gewesen, bei den „Jugendguides“ mitzuarbeiten: „So können wir unser Wissen weitergeben und Verantwortung übernehmen“, sagt sie. „Das gibt mir Hoffnung.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false