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Landeshauptstadt: Jedem Stadtteil seine Laterne

Von der Ei-Leuchte bis zum Bügeleisen: Potsdam wurde im Laufe der Zeiten von einer Fülle an Laternen-Typen erhellt. Ein Rundgang durch 300 Jahre Stadtbeleuchtung

Noch leuchten sie nicht: Die hohen Laternenmasten entlang der Hegelallee fallen an diesem trüben Herbst-Nachmittag kaum zwischen den Baumreihen auf. Das soll so sein, erklärt Monika Vorrath: „Die Masten wurden extra in Fichtengrün gestrichen, damit sie tagsüber nicht so sichtbar sind“, sagt die Arbeitsgruppenleiterin Straßenbeleuchtung der Stadtverwaltung. „Beleuchtung ist dann gut, wenn sie nicht auffällt.“

Dabei gibt es so viel zu sehen: 14 verschiedene Typen von Laternen und Leuchten gibt es in Potsdam, von klein bis groß, von historisch bis funktional – je nach Stadtteil verschieden. Vorrath kennt sie alle. Die Lichtexpertin arbeitet seit 1983 im Potsdamer Rathaus, seit 1986 im Bereich Beleuchtung. Zwei historische Leuchten-Nachbauten stehen in Original-Größe in ihrem Büro: „Ich finde das Medium Licht einfach faszinierend“, sagt Vorrath. Heute koordiniert sie die Planung, den Neubau und die Überwachung von Instandhaltungsarbeiten für alle öffentlichen Laternen in der Stadt.

Rund 16 000 sogenannte Lichtpunkte erhellen Potsdam allabendlich, etwa 1 500 davon sind historische Leuchten. Vorrath betont jedoch sofort: „Originale von früher sind heute nicht mehr in Betrieb, sie wären nicht mehr auf dem technischen Stand.“ Die ältesten Leuchten stammen aus den 1960er-Jahren, sie findet man nur noch selten in Potsdam.

In der Innenstadt dominieren Nachbauten der sogenannten Schinkel-Leuchte: Die klassizistische Laterne mit den sechs schrägen, trapezförmigen Fenstern wurde in Potsdam erstmals 1912 aufgestellt. „Im Stadt-Zentrum ist dieser Typ heute zu etwa 90 Prozent verbreitet“, sagt Vorrath. Sie zeigt auf eine Laterne unweit des Jägertors: „Meist findet man die Schinkel-Leuchte in Verbindung mit diesem kannelierten Bündel-Pfeiler-Mast, der etwa 3,50 Meter hoch ist.“

Vor neun Jahren fanden Vorraths Kollegen von der Denkmalpflege jedoch heraus, dass der originale Mast anders aussah: „Wir hatten alte Fotos vom Stadtschloss mit der Lupe untersucht und dabei entdeckt, dass ursprünglich ein Echsenmast verwendet wurde.“ Der heißt so, weil sich kurz unter der Leuchte einige kleine Drachenfiguren am Mast räkeln. Eine Reihe von Laternen – zum Beispiel rund um das Stadtschloss – wurde seitdem mit dem Echsenmast bestückt. Bis zu 2500 Euro kann eine neue Laterne nach historischem Vorbild kosten.

Was ebenfalls unter der Lupe zum Vorschein kam: Die Laternen, die direkt am Stadtschloss standen, hatten einst eine kleine goldene Krone auf der Spitze. Auch dieses Detail kann man heute wieder auf zehn Laternen am Alten Markt bewundern. „Die Schinkel-Leuchte mit der Krone ist vielleicht meine Lieblingsleuchte in Potsdam“, verrät Vorrath.

Die erste öffentliche Beleuchtung erhielt Potsdam im Jahr 1719: Befeuert wurden die damaligen Öllaternen mit heimischem Rapsöl, ihr Betrieb lag in der Verantwortung von privaten Pächtern, die sich nach einem Brennkalender zu richten hatten. 1777 verfügte die Stadt bereits über circa 590 Leuchten. 1856 nahm das erste Potsdamer Gaswerk den Betrieb auf, noch bis 1975 brannten in Babelsberg einige Gas-Laternen. Die erste elektrische Straßenbeleuchtung erstrahlte in Potsdam im Jahr 1906.

Nach der verschnörkelten Vielfalt der klassizistischen und Jugendstil-Laternen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hielt in der DDR nüchterne Sachlichkeit Einzug in die Straßenbeleuchtung. Drei Leuchten-Typen waren die verbreitetsten – nicht nur in Potsdam, sondern in der ganzen DDR, so Vorrath: Die RSL-Leuchten mit dem nach unten offenem Glas-Zylinder und für höhere Lichtpunkte der sogenannte „Schwarze Koffer“ und die „Bassgeige“. Heute findet man von diesen Typen keine mehr in Potsdam, seit der Wende wurden 70 bis 80 Prozent aller Leuchten ausgetauscht.

1994 wurde der Generalbeleuchtungsplan beschlossen, der die Art der Beleuchtung in den Stadtteilen neu regelte. Verschiedenste Leuchten-Hersteller kamen damals in die Stadt und mussten diverse Gebäude – unter anderem das Nauener Tor – anleuchten, damit die Verantwortlichen von Stadtbeleuchtung und Denkmalschutz über das richtige Licht entscheiden konnten, erinnert sich Vorrath: „Wir haben uns damals für ein warmes, weißes Licht von Natriumdampflampen entschieden, das war am besten für die Architektur hier geeignet.“

Auch die Leuchten-Typen für die jeweiligen Stadtteile wurden damals ermittelt: In Babelsberg etwa herrscht die Tuchmacher-Leuchte vor, die nach dem Vorbild einer Gaslaterne gestaltet wurde, die früher in der Tuchmacher-Straße stand. „Den Wechsel zwischen den Typen kann man sehr gut sehen, wenn man über die Humboldtbrücke geht“, sagt Vorrath. „Man kann anhand des Leuchtentyps sofort sehen, in welchem Stadtteil man ist.“

In den Neubaugebieten wie in Waldstadt oder Zentrum-Ost stehen vor allem technische Leuchten wie Zylinder-Mastaufsatzleuchten, doch in Stadtteilen wie Kirchsteigfeld oder am Alten Rad gibt es auch geschwungene Urbi-Kandelaber mit tropfenförmigen Leuchten. An großen Hauptverkehrsstraßen stehen häufig die großen Peitschen-Masten sowie die Bügeleisen-Leuchten, die man etwa am Hauptbahnhof, im Bornstedter Feld oder in der Breiten Straße finden kann. Eine Besonderheit ist die Mittelstraße im Holländerviertel: Hier stehen seit einigen Jahren wieder die historischen Jan-van-der-Heyden-Leuchten mit quadratischem Holzmast – Nachbauten niederländischer Lampen, die erstmals 1736 dort leuchteten.

Manchem Händler aus dem Holländerviertel ist das zu funzelig: Schon öfter haben sich ansässige Gewerbetreibende beklagt, das Viertel sei nachts zu dunkel. Vorrath sieht es anders: „Es kann sein, dass die Backsteinmauern etwas Licht schlucken, aber die Beleuchtung entspricht der Norm und ist völlig ausreichend.“ Von nächtlichen Illuminationen hält sie wenig: „Wir gehen behutsam damit um, das hat auch etwas mit den Stromkosten zu tun. In Potsdam werden nur wenige Gebäude nachts angestrahlt und wenn, dann meist von Privatpersonen.“

Zu den seltensten Laternen in Potsdam zählen die historischen Ei-Leuchten mit Echsenmast, die man unter anderem in der Brandenburger Straße findet. „Diese Kombination gibt es so nur in Potsdam“, sagt Vorrath über die erstmal 1935 aufgestellten Kugel-Leuchten. Doch es werden wieder mehr: 22 Stück von ihnen, die bei der kürzlichen Erneuerung des Weges an der Uferkappe Hermannswerder nach Archivbildern aufgestellt wurden, leuchten Spaziergängern nun wieder den Weg.

Genauer hinsehen lohnt sich – auch tagsüber.

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