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Landeshauptstadt: Ihm glückt es

Innere Freiheit bewahren: Friedrich-Wilhelm Pape gibt nach 22 Jahren den Vorstandsvorsitz des Oberlinhauses auf.

Ihr seid beim Falschen, hatte er noch abgewehrt. Das Oberlinhaus sei ein Tanker, er , Friedrich-Wilhelm Pape, jedoch ein „Sportbootkapitän“. Der dann aber doch das Kommando auf der Brücke des großen kirchlichen Sozialvereins übernahm – und den Tanker auf Touren brachte. Als Pastor Pape 1984 den Vorstandsvorsitz übernahm, hatte das Babelsberger Oberlinhaus immerhin 440 Beschäftigte und 65 Auszubildende. Nun, da Pape das Steuerrad am 31. Januar an Katharina Wiefel-Jenner übergibt, sind es 1150 Mitarbeiter und 700 Auszubildende sowie Schüler in der berufsvorbereitenden Bildung. Aus dem Tanker ist in der Ära Pape in 22 Jahren ein Supertanker geworden.

Irgendwie merkt er schon früh, dass er einer ist, „dem es glückt“. Dabei wollen sie den Pastorensohn erst nicht zum Abitur zulassen. Erst nach dem der DDR-Staat das kirchliche Proseminar dicht macht, auf das er ersatzweise geht, kommt er doch noch auf die Erweiterte Oberschule. Dass die Ex-Proseminaristen alle in den Westen gehen, dass will die DDR dann doch nicht. „Der Pape ist ein Aas, wenn man ihn vorne rausschmeißt, kommt der hinten wieder rein“, so der Kommentar eines Lehrers. Vor der Oberschule arbeitete Pape noch drei Monate bei einem Bauern. Ausmisten am Morgen, das ist eine Erfahrung, die Pape heute schätzt.

Denn er ist ein Überflieger. Von den Hörsälen der Universitäten in Greifswald und Halle direkt auf eine Kanzel bei Nordhausen, „schon wieder sind sie wer“, sagt Pape. Er kennt die Gefahr. Als Student gehört er zum elitären Teil der Gesellschaft, als junger Lehrvikar steht er oben, die Gemeinde sitzt unten und er bekommt Dinge zu hören, die ihn aufbauen: „Och toll, ein junger Pfarrer, wunderbar“ und „Haben Sie das wieder schön gemacht.“ Sein Vorgänger war mit 72 Jahren gestorben, er dagegen fährt mit einem Moped über die Dörfer, einer Simson SR2, wie er sich erinnert.

„Das ist mir abgeschminkt worden“, sagt er, dieser Dünkel, von dem er heute sagt, das er nicht seine Art ist.

Auch die Herausforderung seiner ersten eigenen Pfarrstelle in Schlieben ist ihm „hervorragend gelungen“, wie er resümiert. Die Kirche ist voll, sogar SED-Mitglieder melden ihre Kinder bei der Jugendweihe ab und kommen zur Konfirmation.

Wie kommt es, dass es ihm glückt? Steckt dahinter eine glückliche Kindheit, die Selbstvertrauen schenkt fürs Leben?

1941 wird er in Schlesien geboren, glücklich sind nur die ersten vier Jahre. Im Februar 1945 muss seine Mutter mit sechs Kindern fliehen, der Vater ist im Krieg. Der Junge steht große Ängste aus, „ich wusste, wenn ich die Verbindung zu den anderen verliere, bin ich verloren“. In der Nachkriegszeit lebt er mit acht Personen in einem Raum, der so groß ist wie jetzt sein Babelsberger Büro. Das Brot wird mit der Briefwaage abgewogen.

Doch unbewusst begreift er, das Schlimme „macht mich nicht kaputt“. Er gewinnt das urwüchsige Vertrauen, dass Menschen da sind, die ihn halten, wenn auch er zu ihnen hält.

Freilich ist der erfolgreicher Pfarrer in Schlieben nicht das, was die SED–Kreisleitung so einfach hinnimmt. Es kommt zum Krach. Doch was soll ihm passieren? Er ist mittlerweile 26 Jahre alt, da geht es nicht mehr zur Armee – denkt er und irrt sich. Er kommt nicht zur „berittenen Artillerie“, wie er noch bei der Musterung witzelt, sondern zu den Bausoldaten. Die mussten zwar nicht Dienst tun an der Waffe, würden aber „als erste an die Wand gestellt, wenn es mal hart auf hart kommt“, wie ein Vorgesetzter sagte. Pape erlebt einen Statusverlust. Bei 15 Grad Kälte in einem Acht-Mann-Zelt sagt niemand mehr „Herr Pastor“. Für Pape beginnt eine schwere Zeit, die er, ein Wort von Maxim Gorki zitierend, heute zu seinen Universitäten zählt. Er muss versuchen, seine Menschlichkeit zu bewahren und seine innere Freiheit. Dass diese Zeit noch härter ist für seine Frau, die mit den Kindern zu Hause klar kommen muss, betont Pape mehrmals.

„Kompanie aufstehen!“ brüllen die Vorgesetzten jeden Morgen um sechs Uhr, „dass ging uns auf den Keks“. Die Jungs auf seinem Zimmer beschließen daher, schon um 5.45 Uhr aufzustehen und eine Morgenandacht zu halten. Immer, wenn der Unteroffizier zum Wecken ins Zimmer stürzt, sitzen die Soldaten schon angezogen am Tisch. Uffz!

Innerhalb der Rahmenbedingungen die eigene Freiheit bewahren, dass versucht er auch als Oberlin-Chef. Zwar lobt die DDR die soziale Arbeit des Oberlinhauses – wie jedes System zuvor auch. Doch kurz vor der Wende 1989 beschäftigt das Oberlinhaus 37 Ausreisewillige, was die staatlichen Stellen zu verhindern suchen. Doch Pape lässt sich in Personalangelegenheiten nicht reinreden, auch nicht von Stasi-Leuten, die mit Kripo- oder Zoll-Ausweisen vorstellig werden. Einmal soll Pape einen Oberarzt dazu bringen, in der DDR zu bleiben. Pape entgegnet: Uns ist wichtig, dass er bei uns arbeitet, „egal, ob er nach Magdeburg oder nach Braunschweig zieht“, eine Provokation. Hohen Parteifunktionären erklärt er aber auch, „dass es keinen Grundwiderspruch gibt zwischen dem sozialen Anliegen der Kirche und dem sozialen Anliegen des Staates“. Nach der Wende ändert Pape am bewährten Profil des Hauses wenig, muss aber alles auf eine wirtschaftlich sichere Basis stellen. Was das Kaufmännische angeht, macht er sich keine Illusionen, innere Freiheit bewahren heißt nun, keine roten Zahlen zu schreiben, mehr noch, es heißt wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Er weiß, das Oberlinhaus könnte pleite machen, „die große Kirche gibt keinen Cent“.

Der Kapitän verlässt die Brücke, geht aber nicht von Bord: Künftig will Pape wieder mehr Pastor sein und Kindern die Schönheit derBibelgeschichten nahe bringen. Und er will sich „auf das Wesentliche“ konzentrieren, auf Zweisamkeit mit seiner Frau, auf lange Gespräche mit seinem Bruder über Kant.

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