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Landeshauptstadt: Hier ist der Lehrer kein Sündenbock für misslungene Erziehungsprozesse

Irina Sarkissow, Potsdamer Lehrerin an einer Schule im ukrainischen Ismail, über dortige Alltagsprobleme und Unterschiede zwischen Schulen

Frau Sarkissow, die Gaslieferungen zwischen Russland und der Ukraine sind teilweise gestoppt. Beeinträchtigt das den Schulbetrieb?

Interessanterweise gab es hier im Süden der Ukraine bisher kaum Beeinträchtigungen der Gaslieferungen. Für einige Unterrichtsstunden sind in einem der beiden Schulgebäude die Heizungen ausgefallen, wodurch die Schüler und Lehrer in andere Räumlichkeiten ausweichen mussten. Dennoch sind die Bewohner hier in Ismail besorgt, dass es ihnen ähnlich ergehen könnte, wie beispielsweise den Menschen in Bulgarien oder Moldawien.

Wie wirkt sich der Konflikt auf den Alltag in der Stadt und auf den Unterricht aus?

Ich habe dieses aktuelle Thema mit den Schülern ausführlich diskutiert. Neben der Wiedergabe der Fakten aus den Nachrichten, nahmen die Schüler eine zunehmend kritische Haltung gegenüber der ukrainischen Regierung ein. Das versäumte Handelsabkommen der Silvesternacht und die inadäquaten Verhandlungsführungen des Präsidenten Viktor Juschtschenko führten zu einem weiteren Vertrauensverlust. Auch das aktuell unterzeichnete Abkommen durch die Regierungschefin Julia Timoschenko repräsentiert ein unbefriedigendes Ergebnis für das wirtschaftlich geschwächte Land, in dem die Währung stetig an Wert verliert. Durch die Wirtschaftskrise kommt es seit Dezember zu nur unvollständigen Lohnzahlungen. Die Ungewissheit wird dadurch verstärkt, dass die zwar kritisch berichtenden Medien lediglich Informationen über die Zukunft der Gaslieferungen durch die Ukraine nach Europa übermitteln – wie es um die Ukraine steht, bleibt abzuwarten.

Sie haben in Potsdam studiert, warum hat es Sie in die Ukraine gezogen?

In erster Linie hegte ich schon lange den Wunsch, nach dem Anglistik- und Slavistikstudium und dem Referendariat für eine längere Zeit ins Ausland zu gehen und dort zu arbeiten. Durch die Stelle als von der Zentralstelle für Auslandsschulwesen entsandte Bundesprogrammlehrkraft bot sich diese Möglichkeit. Ich kannte das russischsprachige Ausland bisher nur von kurzen Reisen und verspürte nach jeder Rückkehr ein gewisses Fernweh, welches durch das Eintauchen in das alltägliche Leben und Arbeiten gestillt werden soll. Weiterhin erhoffe ich mir einen persönlichen Erfahrungsgewinn als Lehrerin. Das Unterrichten des Fachs „Deutsch als Fremdsprache“, welches für mich neu ist, bereitet mir unglaublich viel Freude.

Es ist immer wieder von Lehrermangel in Deutschland die Rede, wollen sie zurück ins deutsche Schulsystem?

Ich möchte nach diesem Schuljahr wieder nach Deutschland zurückkehren und hoffe, eine Stelle als Lehrerin zu finden. Von dem Lehrermangel ist im Land Brandenburg im Vergleich zu den westlichen Bundesländern noch nichts zu spüren. Da ich sehr optimistisch bin, möchte ich trotz schlechterer Arbeitsverhältnisse, wie geringerem Arbeitslohn und befristeter Verträge, gern in Potsdam bleiben.

Welche Unterschiede gibt es zwischen Schulen in Brandenburg und in der Ukraine?

In der Schule hier in Ismail findet man ein Multimediabeamer neben undichten Fenstern und Türen, die nicht geschlossen bleiben wollen – eine tolle Farce auf die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten des Landes. Ein durchaus positiver Unterschied besteht darin, dass hier die Eltern mit für die Gestaltung der Schulhäuser und Schulhöfe verantwortlich sind. Ferner gibt es in dieser Schule eine für alle Klassenstufen geltende Schuluniformpflicht. Der größte Unterschied findet sich wohl in der Beschaffenheit der WCs. Diese sind nicht mit Toilettenschlüsseln bestückt, sondern weisen lediglich Löcher in den Böden auf, die zwar von Wänden und Türen getrennt sind, dennoch jeder hereintretenden Person vollsten Einblick gewähren. Die größte Gemeinsamkeit unter den deutschen und ukrainischen Schulen besteht wohl an den mangelnden finanziellen Mitteln für die Ausstattung der Klassenräume und der Unterrichtsmaterialien. Der Deutschbereich der Ismailer Schule wird aufgrund des Deutschprofils zum Teil von Deutschland finanziert und verfügt somit über eine gute Ausstattung.

Welche Projekte oder Abläufe gibt es an ihrer Schule, die sich auch an hiesigen Schulen anwenden lassen könnten?

Durch das spezialisierte Deutschprofil der Schule erlernen die Schüler die deutsche Sprache ab der ersten Klasse. Für die vertiefende Entwicklung sprachpraktischer und landeskundlicher Kenntnisse finden neben dem Austauschprojekt mit einem Gymnasium in Ellwangen verschiedene Olympiaden und Wettbewerbe wie die „Kleine Akademie der Wissenschaften“ statt, bei denen die Schüler ihre Fähigkeiten erproben und vergleichen können. In dieser Schule kann man das „Deutsche Sprachdiplom DSD“ erwerben, welches den Schülern ermöglicht, nach Erreichen der Volljährigkeit ein Studium in Deutschland aufzunehmen, sofern sie über das Geld dafür verfügen. Die Schüler lernen in kleinen Gruppen und erhalten vertiefenden Unterricht in deutscher Literatur und technischer Übersetzung. Ziel ist es, am Ende der Schullaufbahn bei der DSD-Prüfung kompetente Deutschkenntnisse nachweisen zu können.

Wie sieht ein typisch ukrainischer Schultag aus?

Der Schulalltag der Ismailer Schule kann ungefähr mit dem einer deutschen Ganztagsschule verglichen werden. Der Unterricht findet in der Zeit von 8 Uhr bis 18.45 Uhr mit nur einer großen Hofpause statt und die Schüler der Oberstufe dürfen auch am Samstag die Schule besuchen. Mindestens einmal in der Woche schaut der Direktor vorbei und überprüft die Anwesenheit der Schüler und die Vollständigkeit der Schuluniformen.

Was unterscheidet ukrainische von Schülern an den Schulen, an denen sie bisher waren?

Die Unterschiede zwischen ukrainischen und deutschen Jugendlichen sind nicht sehr wesentlich, da sie zumeist gleiche Interessen verfolgen und mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Dennoch ist das Lehrerbild hier ein grundlegend anderes, da sie als Wissensvermittler geschätzt und nicht als Sündenböcke für misslungene Erziehungsprozesse verantwortlich gemacht werden. Die Schüler hier sind sehr motiviert und möchten zumeist gute Schulabschlüsse erreichen, da dies als einzige Möglichkeit angesehen wird, das leider immer noch korrumpierte universitäre Bildungssystem mit wenig Kosten zu absolvieren.

Interview: Jan Brunzlow

Irina Sarkissow (29) hat in Potsdam Lehramt Anglisitk/Slavistik studiert, war ein halbes Jahr an der Oberschule Werder (Havel) und ist seit Sommer 2008 für ein Jahr in der Ukraine Lehrerin.

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