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Glosse PYAnissimo: Golf spielen, den ganzen Tag lang

Potsdam platzt aus allen Nähten, 220 000 Einwohner im Jahr 2035 - das ist zuviel. PNN-Autorin Steffi Pyanoe weiß, wer schuld ist.

Wie konnte das passieren? 220 000 Einwohner sind wir demnächst, obwohl wir jetzt schon nicht mehr zurechtkommen in diesem Einspur-Experiment, in diesem Sylt für Arme, ohne Nordsee, dafür mit vielen Abgasen. Dass es so weit gekommen ist, dass hier nichts mehr funktioniert – überall muss man anstehen und alles ist unbezahlbar –, daran müssen all die Neuen schuld sein. Der stille Zuwanderer, der Wessi ante Potsdam, er kommt aus dem Nichts in unsere schöne Stadt und macht alles platt. Er legt sich hier ins gemachte Bett und pflanzt sich fort. Oder er bringt gleich seine ganze Familie mit, und dann bekommt diese ganze Familie zu Weihnachten auch noch Familienbesuch und verstopft unsere Straßen.

Der Wessi ist ein schlimmes Übel. Ich bin zwar mit einem verheiratet und lasse nichts auf ihn kommen. Aber das muss eine Ausnahme sein. Zur Tarnung. Der Einwanderer-Wessi ist normalerweise ganz leicht zu erkennen: Er hat immer viel Geld, er ist reich. Er fährt Porsche oder einen SUV, am besten alle beide. Er steht im Stau immer direkt vor uns und bremst uns aus. Oder er drängelt von hinten. Oder er hat sich von den Einheimischen die Schleichwege abgeschaut, dieses Schlitzohr, da kennt der nix. Dann bringt er mit dem SUV seine reichen, ungeimpften, veganen Kinder in die Waldorfschule. Wenn er uns nicht die Plätze der staatlichen Schulen wegnimmt. Durch die viele Fahrerei ist jetzt sogar die Nutheschnellstraße kaputtgegangen, die Vibrationen der fetten Autos haben die Böschung abrutschen lassen. Wäre sonst nie passiert.

Und nie sieht man ihn arbeiten. Nie. Die spielen alle nur Golf, den ganzen Tag lang. Steuern zahlt er auch keine, denn er kennt alle Tricks, sein Steuerberater ist auch Wessi. Die halten alle zusammen. Bevor sie Steuern zahlen, gründen sie lieber eine Stiftung und bauen damit alte Kirchen oder barocke Museen wieder auf.

Mit dem restlichen Geld kauft er große Häuser, im Übrigen immer Ufergrundstücke, die er sofort hemmungslos einzäunt. Oder er baut Häuser und Wohnungen, er ist so raffiniert, er weiß, wie man das macht. Dann zieht er da ein – damit er nie mehr weg muss aus unserer schönen Stadt. Obwohl er nicht mal weiß, wo der Keplerplatz ist. Und die alte Fachhochschule wird jetzt abgerissen, weil die neuen Potsdamer vom richtigen Potsdam überhaupt keine Ahnung haben. Null Ahnung und null Respekt. Er sitzt auch beim Kinderarzt neben uns, deshalb müssen wir immer so lange warten. Er fängt die Postboten ab, bevor sie unsere Pakete abliefern können. Das blu ist zu klein, weil da alle Neuen die Bahnen belegen. Sie haben eine gewaltige Gentrifizierungswelle ausgelöst. Bald gibt es keine Potsdamer mehr, nicht mal mehr echte Potsdamer Bürgermeisterkandidaten. So ist das.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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