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Landeshauptstadt: Gerüst der Erinnerung statt Kirchturm

Der renommierte Berliner Architekt Frank Augustin unterbreitet einen überraschenden Kompromissvorschlag im Potsdamer Garnisonkirchen-Konflikt

Innenstadt - Der Streit um den Wiederaufbau der Garnisonkirche scheint festgefahren: Während die Bürgerinitiative „Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“ im vergangenen Sommer 14 000 Unterschriften gegen das Projekt sammelte, hält die Stiftung zum Wiederaufbau weiter an ihren Plänen fest, Turm und Kirche originalgetreu aufzubauen. Ein angekündigter Bürgerdialog wurde bislang nicht realisiert, und selbst wenn er zustande käme – viele Argumente und Gegenargumente um das 1945 beschädigte und 1968 gesprengte Gotteshaus sind bereits ausgetauscht worden.

Ein Vorschlag des Berliner Architekten Frank Augustin könnte die Debatte jedoch neu beleben: Statt der originalgetreuen Rekonstruktion der im Zweiten Weltkrieg beschädigten und 1968 gesprengten Barock-Kirche schlägt er ein Erinnerungsgerüst aus Metall vor, das dieselbe Größe und äußere Form des früheren Kirchturms hat. Der Turm würde als „rostfarbene Skulptur der Kanten und Ecken, also weitgehend ohne Flächen und jedenfalls ohne Steinmassen aufzuschichten gleichsam als reines räumliches Bild“ errichtet werden, heißt es in einem Brief, den Augustin im Spätsommer an Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sendete, der selbst im Kuratorium der Garnisonkirchen-Stiftung für den Wiederaufbau sitzt.

Eine Antwort von Jakobs hat Augustin bislang nicht erhalten, auch nicht von der Wiederaufbau-Stiftung, der er kurz vor Weihnachten seinen Kompromiss-Vorschlag ebenfalls unterbreitet hatte. Verbunden mit dem Brief war nicht nur das Angebot, einen entsprechenden architektonischen Entwurf auszuarbeiten, sondern auch ein Beispiel aus den Niederlanden, in welche Richtung das Erinnerungsgerüst optisch gehen könnte: das Delftsche Poort in Rotterdam. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein ehemals massives Steinbauwerk, das im Krieg von deutschen Bomben zerstört worden war und 2005 als Stahl-Rekonstruktion wiedererrichtet wurde.

„Der Kirchturm müsste natürlich etwas dichter gestaltet werden, damit er besonders in den oberen Stockwerken nicht zu ‚gerippig' wirkt“, sagt Augustin. Die Details der Außenhülle würden dabei nahezu komplett mit Stahl-Profilen und Stahl-Blechen nachgebildet werden, militärische Figuren und Symbole könnten beispielsweise durch Blumenkübel ersetzt werden.

Augustin weist auch darauf hin, dass die Kosten für das von ihm vorgeschlagene Gerüst bei Weitem unter der Hälfte der 40 Millionen Euro liegen würden, die bislang für den Wiederaufbau des Kirchturms benötigt werden sollen. Bislang konnte die Garnisonkirchen-Stiftung 21 Millionen Euro an Spendengeldern für den Turm sammeln. Zwölf Millionen davon sind Bundesmittel, die allerdings erst freigegeben werden, wenn die Gesamtfinanzierung steht. Architekt Frank Augustin beschäftigt sich schon einige Jahre mit der Potsdamer Garnisonkirche: Der 61-jährige Architekt ist seit den 1980er-Jahren vor allem im Bereich Denkmalpflege und Rekonstruktion tätig, zu seinen bisherigen Arbeiten zählen die Modernisierung der Hackeschen Höfe und die simulierte Kulisse des Berliner Stadtschlosses in den 1990er-Jahren.

Die Pläne zum Wiederaufbau der Garnisonkirche beobachte er seit der Wende, so Augustin, „daran kam man damals als Architekt gar nicht vorbei“. Bereits 1980 hatte er im Auftrag der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Charlottenburg detaillierte Zeichnungen der Kirche angefertigt, die als Vorlage für ein Modell des Gebäudes dienen sollten.

Als er im vergangenen Jahr von der Unterschriftensammlung gegen den Wiederaufbau der Kirche erfuhr, beschloss er, sich mit dem Konzept des Erinnerungsgerüstes in die Debatte einzuschalten. „Ich denke, es ist ein Kompromiss, auf den man sich verständigen könnte“, sagt Augustin, dessen Vorschlag sich explizit nur auf ein Stahlgerüst des Kirchturms bezieht. Eine Halle für eine Kapelle oder ein Erinnerungszentrum könne später folgen und auch ganz anders gestaltet werden, so der Architekt. Er sehe den Kirchturm vor allem als „architektonische Landmarke der Stadt-Landschaft Potsdam“.

Eine originalgetreue Rekonstruktion des Kirchturms hält Augustin nicht für sinnvoll: „Der Turm ist ein Gegenstand der kollektiven Erinnerung, und die Erinnerung würde dann so tun, als hätte es die Zerstörung nie gegeben – doch es hat sie gegeben.“ Die historischen Brüche zu vergegenständlichen und nicht zu übergehen, gehörte in seinen Augen zu den Aufgaben moderner Architektur. Als gelungenes Beispiel für eine modernisierte Rekonstruktion nennt Augustin den Nachbau der Glaskuppel auf dem Berliner Reichstag.

Auch in früheren Zeiten seien berühmte Gebäude, die zerstört wurden, nur selten exakt wieder so aufgebaut worden wie zuvor, sagt Augustin. Die jeweilige Zeit habe ganz neue Interessen gehabt. „Und unsere Zeit hat nicht mehr das Interesse an einer Hofkirche für eine Garnison, sondern daran, die Geschichte dieser Kirche darzustellen.“ Um die Brüche der Vergangenheit zu verdeutlichen, schlägt der Architekt für das Erinnerungsgerüst Corteen-Stahl vor, der nur an der Oberfläche rostet. Der Rost würde auf die Geschichtsträchtigkeit des Gebäudes hinweisen und sich außerdem deutlich von der Optik einer Original-Rekonstruktion unterscheiden.

Das Gerüst der Erinnerung anstelle der Garnisonkirche könnte so zum einen die Funktion der historischen Landmarke in der Stadtsilhouette Potsdams wieder erfüllen und würde zum anderen klar als Ort der Erinnerung erkennbar sein. „Auf den ersten Blick würde man das Gebilde als Kirchturm wahrnehmen, doch auf den zweiten Blick würde man feststellen, dass es ein Gerüst und nicht das Originalgebäude ist“, so Augustin. „Das kann einen ganz freien Denkprozess der Erinnerung auslösen.“

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