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Homepage: „Es gibt keinen Haken“

Prof. Markus Antonietti hat ein Verfahren entwickelt, das aus Biomasse hochwertige Kohle macht

In Potsdam beschäftigen sich zahlreiche Forscher mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Sie arbeiten am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), aber auch bei den Geoforschern, den Polarforschern, den Agrarforschern oder an den Hochschulen. Die PNN stellen die Forscher mit ihren aktuellen Erkenntnissen, ihren Prognosen, Entwicklungen und auch Ratschlägen vor. Heute: Prof. Markus Antonietti vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Golm über ein sauberes Verfahren, Kohle zu gewinnen.

Herr Professor Antonietti, Sie kommen gerade vom Dach des Institutes

wir haben mit Grasschnitt unseren Kohlekessel in Gang gesetzt. Aus Sicherheitsgründen machen wir dies auf dem Dach, weil uns der Kessel schon einmal durchgegangen ist und das Sicherheitsventil angesprungen ist. Wir hatten damals den Energieinhalt der Biomasse unterschätzt, die Kohle spritzte dann das ganze Labor voll. Daher finden die Testläufe nun auf dem Dach statt.

Sie haben ein Verfahren entwickelt, bei dem über Nacht in einem Kessel aus „Grünzeug“ hochwertige Kohle entsteht. Das klingt nach einem Märchen.

Ist es aber nicht. Unsere Wissenschaftsdisziplin heißt Biomimese. Wir versuchen Prozesse der Natur nachzuvollziehen. Kohle und Erdöl hat sich aufgrund von natürlichen Prozessen aus Biomasse gebildet. Diese Entwicklung vollziehen wir mit Hilfe der Chemie im beschleunigten Verfahren nach. Es hat sich herausgestellt, dass das Kohlemachen besonders schnell geht, aber auch Erdgas und -öl lässt sich prinzipiell so herstellen.

Die Natur braucht dazu hunderte, ja tausende von Jahren, wie schaffen Sie das in einer Nacht?

Wir haben einen Parameterraum, der über die Natur hinausgeht. Anstelle von 20 Grad Celsius erfolgt die Reaktion bei 200 Grad Celsius, dann geben wir auch ein wenig Druck darauf – 20 bar – und so können wir den Prozess ein paar Millionen Mal beschleunigen. Als Katalysator nehmen wir Zitronensäure, es reicht aber auch, saure Pflanzen wie etwa Sauerampfer beizumischen. Das ist auch von den Sümpfen abgeschaut, in denen die Braunkohle entstanden ist. Im sumpfsauren Zustand funktioniert es am besten.

Was spielt sich in Ihrem Wunderkessel ab?

Ganz einfach, Kohlenhydrate sind nichts anderes als an Kohlenstoff gebundenes Wasser. Wenn wir dieses Wasser wieder abspalten, bekommen wir den Kohlenstoff zurück. Wir erhalten eine so genannte Dispersion, das ist wie eine Art Gemüsesuppe mit Kohlepartikeln an Stelle von Klößchen. Dann wird die Kohle herausfiltriert, und auch die übrig bleibende Flüssigkeit mit den Nährstoffen der Pflanze kann, nach derzeitigem Kenntnisstand, wieder verwendet werden, nämlich als hochaktiver Dünger.

Bekommt man am Ende mehr Energie heraus, als man hinein stecken muss?

Die Energie kommt faktisch aus der Sonne, die Pflanzen speichern in ihrem Wachstum sehr viel Energie. Von dieser Energie, die in der Pflanze gespeichert ist, bleiben 70 bis 80 Prozent in der Kohle, 20 Prozent werden allerdings im Prozess frei. Wenn man also den Prozess ingenieurwissenschaftlich richtig plant, braucht man keine Energie hineinzustecken, es wird sogar noch ein wenig Energie erzeugt. Wir müssen allerdings am Anfang etwas Energie hineinstecken, um den Prozess anzuwerfen, danach geht es spontan immer weiter.

Wo ist der Haken?

Es gibt unseres Wissens nach keinen. Wir suchen seit über zwei Jahren danach, aber vergeblich.

Das Verfahren setzt auch kein klimaschädliches Kohlendioxid frei?

Das ist eine Besonderheit. Wenn man Biomasse auf dem Acker unterpflügt, wird sie großteils von Mikrobakterien wieder abgebaut, die oxidieren die Reste zu Kohlendioxid. Viele technische Prozesse verfahren ähnlich und setzten CO2 frei. Das ist bei unserem Verfahren nicht der Fall: der Kohlenstofferhalt ist nahe eins, weil wir nichts verbrennen.

Was kann als Biomasse genutzt werden?

Alle klassischen Verfahren zur Nutzung von Biomasse brauchen hochwertige Biomasse, bei Ethanol etwa Zucker. Die meiste Biomasse auf unserem Planeten ist aber eher wie Grünschnitt, also eine Art wässrige, matschige Abfallmasse. Das gute an unserem Verfahren ist, dass es auch mit der niederwertigsten Biomasse funktioniert. Zum Beispiel Klärschlamm, Algen, Rapsstroh oder dem Abfall der Zuckerherstellung. Es gibt von der Agrarindustrie Millionen Tonnen an Bioabfällen die zurzeit nicht effizient genutzt werden, sie werden verbrannt oder verrotten. Bei jedem landwirtschaftlichen Prozess wird nur etwa 10 bis 20 Prozent als Frucht genutzt, der Rest wird im Moment noch weggeworfen oder untergepflügt.

Biomasse gibt es also ausreichend?

Unser Planet produziert jährlich circa 120 Kubikkilometer trockene Biomasse. Wir müssen also nicht die Unterwasserwelt oder den Dschungel ausbeuten. Die rund zwölf Kubikkilometer agrarindustrielle Abfallbiomasse im Jahr, die die Menschheit produziert, reicht vollkommen aus.

Aus Ihrer „Kohlesuppe“ kann auch Benzin hergestellt werden.

Ja, natürlich. Das ist allerdings ein klassisches Verfahren, das so genannte Fischer-Tropsch-Verfahren. Die Erdölwirtschaft ist eigentlich eine Entwicklung der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, davor wurden alle chemischen Grundstoffe aus Kohle hergestellt, in den 30er Jahren auch noch das Benzin. Aus Biokohle können im Prinzip fast alle chemischen Grundstoffe erhalten werden, es ist nur teurer. In den vergangenen 60 Jahren war Erdöl einfach zu billig und hat die anderen Ansätze verdrängt. Das ändert sich nun wieder mit den schwindenden Ölreserven und den Kosten des Klimaschutzes.

Ein Beispiel für das Potenzial Ihrer Entwicklung bitte.

Momentan erzeugt die Landwirtschaft pro Hektar ungefähr zehn Tonnen Trockenmasse, das entspricht ungefähr zwei Tonnen Sprit. Modernere Technologien auf Algenbasis bringen allerdings bis zu 100 Tonnen, das sind rund 20 Tonnen Sprit pro Hektar, damit kann ein kleines Dorf von seiner Fläche durchaus gut leben. Die Kraft der Sonne ist in den Pflanzen relativ dicht gespeichert. Wir brauchen nur intelligente Lösungen, um sie auch zu nutzen.

Es gibt auch Pläne für eine neuartige Brennstoffzelle.

Kollegen aus Harvard/USA arbeiten daran. Die Benzinherstellung aus Kohle ist nicht die beste Idee, weil die Energieausbeute dabei nicht so groß ist. Auch Kohlekraftwerke sind wegen ihres begrenzten Wirkungsgrades – nur 20 bis 30 Prozent – keine gute Idee: der Großteil der frei werdenden Energie geht durch den Schornstein. Es macht eigentlich nur Sinn, Kohle zu verbrennen, wenn es dezentral gemacht wird, etwa mit einer Holzpellet-Anlage zu Hause, bei der der potentielle Strom und die Wärme genutzt wird. Eine gute Alternative ist daher die elektrochemische Verbrennung von Kohlenstoff, die besagte Brennstoffzelle. Brennstoffzellen liegen eher bei 40 Prozent Wirkungsgrad, und das kann noch gesteigert werden. Der Traum ist nun, durch elektrochemische Verbrennung, ohne großen Energieverlust direkt Strom herzustellen. Dazu braucht man Kohlenstoff mit besonders kleinen Partikelstrukturen, und genau den stellen wir her. Ohne, dass wir es vorher geplant hatten, passt unsere Technologie genau mit diesem Verfahren zusammen.

Das klingt wie die Lösung all unserer Energie- und Klimaprobleme.

Wenn Sie uns noch 50 Jahre Zeit geben, dann ist das durchaus eine Option. Ich halte unseren Prozess der Kohleherstellung für eine nachhaltige Lösung für das CO2-Problem. Allein in Deutschland könnte man damit zweistellige Prozentzahlen der CO2-Last loswerden. Statt die Abfälle wegzuschmeißen, verwandeln wir sie in Kohle und damit in ein sehr effektives CO2-Lager. Man darf aber nicht vergessen, dass da noch einiges an Forschung betrieben werden muss. Bei der Brennstoffzelle gibt es etwa noch einige kleine, hässliche Probleme, etwa dass die Zelle bei dem Prozess nicht mit verbrennen darf.

Die Politik setzt derzeit darauf, das CO2 in die Erde zu pumpen.

Die großen Energieunternehmen haben einen kurzen Draht zur Politik und sie propagieren solche Lösungen. Ich persönlich halte nichts davon, CO2 in die Erde zu pumpen. Niemand kann garantieren, wie lange das Gas in der Erde bleibt, ob das CO2 das Erdreich verändert oder gar flexibilisiert. Schließlich kann CO2 Gestein verflüssigen, denken Sie an die Tropfsteine. Die Idee wird von den großen Verursachern der CO2-Problematik, der Energiewirtschaft, propagiert. Unser Verfahren dagegen ist eine Sache der Wissenschaft, der Kommunikationsweg von dort zur Politik ist naturgemäß weiter.

Sind schon Energieunternehmen auf sie zugekommen?

Es gab Anfragen, um das Terrain zu sondieren. Aber im Wesentlichen sind die großen Energieversorger nicht an Änderungen der Spielregeln interessiert, denn unser Konzept ist vor allem dezentral. Das heißt, Landwirte oder auch Kommunen können ihre eigene Kohle machen, damit ökoneutral heizen und Strom gewinnen, ohne auf die Energieversorger angewiesen zu sein. Um uns von jeglichen Einflüssen auf unsere Arbeit frei zu halten, arbeiten wir nach dem „Open-Access-Prinzip“: Unsere Ergebnisse sind im Internet frei zugänglich. So erhöht sich auch die Geschwindigkeit, mit der die Entwicklung – weltweit durch andere Forscher – vorangebracht wird. Im Vordergrund unserer Arbeit steht der Wille, ein Problem der Menschheit zu lösen, nicht der Profit.

War der Klimawandel eine Motivation für ihre Forschung?

Selbstverständlich. Ich wollte etwas Nützliches tun, auch wenn es wissenschaftlich eigentlich ein ganz einfaches und auch altes Problem ist, das keine wissenschaftliche Anerkennung mehr bringt. Wir haben vor einigen Jahren das „ENERCHEM“-Konsortium in der Max-Planck-Gesellschaft gegründet, um Strategien zur Lösung von Schlüsselfragen der Energie- und Klimaproblematik zu entwickeln. Es geht dabei nicht nur um Biomasse, sondern auch um andere, technisch anspruchsvollere Ansätze.

Kann solche Forschung zur Energiewende führen?

Da bin ich vollkommen optimistisch. Wir haben gar keine andere Alternative!

Wir müssen das Auto also nicht irgendwann stehen lassen?

Innovation auf diesem Gebiet lässt sich nur durchzusetzen, wenn die Menschen ihre Verhaltensmuster nicht grundsätzlich ändern müssen. Wir akzeptieren keine „Öko-Mullahs“, sondern wollen unser Leben im Wesentlichen so weiterführen, wie wir es derzeit gewohnt sind. Wenn es Technologien gibt, die genau das erlauben, das heißt die umweltfreundlich sind, ohne uns zu sehr einzuschränken, dann werden diese auch Erfolg haben. Wir wissen alle, dass unsere Mobilität eine riesige „Schweinerei“ hinterlässt, aber niemand wird etwas dagegen haben, diese mit neuen Technologien auch wieder wegzuräumen. Wenn man eine Riesenparty macht, räumt man am nächsten morgen ja auch wieder auf. Genau das macht unser Verfahren der hydrothermalen Karbonisierung. Wir entsorgen das CO2 in einer besonders dichten Form – nämlich indirekt durch die Abfälle der Pflanzen, die zuvor der Luft das CO2 ja aufwändig entzogen haben.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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