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Homepage: Eine langsame Regenerierung

Welche Zukunft haben die Städte in der Peripherie Brandenburgs? Von Manfred Kühn

Zum Wissenschaftsjahr 2015 schreiben Forscher des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) in den PNN über das Thema „Zukunftsstadt“.

Zukunftsstadt – damit werden meist Großstädte, Metropolen und Megacitys assoziiert, die als Zentren des Wissens, der Innovation, Kreativität und Zuwanderung gelten. Vergessen werden dabei oft die Klein- und Mittelstädte, die weniger bekannt, urban und hipp sind. Zu Unrecht, schließlich leben rund 61 Prozent der Bevölkerung in den über 3000 Klein- und Mittelstädten Deutschlands und 56 Prozent der Arbeitsplätze befinden sich dort. Auch Brandenburg ist ein Land der Klein- und Mittelstädte, nur Potsdam hat den Status einer Großstadt mit mehr als 100 000 Einwohnern. Die märkischen Klein- und Mittelstädte bilden keine homogene Gruppe, sondern entwickeln sich je nach Lage und Wirtschaftsstruktur sehr unterschiedlich. Teltow, Falkensee und Blankenfelde-Mahlow im Umland Berlins wachsen, während die peripheren Städte in den Randregionen schrumpfen. Städte wie Eisenhüttenstadt, Großräschen, Guben, Schwedt/Oder und Wittenberge verlieren nach wie vor viele Einwohner und werden nach den vorliegenden Prognosen weiter schrumpfen. Der „weitere Metropolenraum“, von dem die Raumplaner sprechen, bleibt angesichts dieser Realitäten ein starker Euphemismus.

Welche Zukunft haben diese peripheren Städte? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da hier viele Strukturprobleme zusammenkommen: die wirtschaftliche Strukturschwäche durch die Deindustrialisierung, die hohe Arbeitslosigkeit, die städtebaulichen Leerstände, die Schließung von Schulen, Bahnhöfen und Krankenhäusern, die kommunale Finanznot und das schlechte Image. Diese Probleme können sich gegenseitig verstärken und eine Abwärtsspirale in Gang setzen. Die Forschung spricht von Prozessen der „Peripherisierung“. Diese Städte verlieren ihre früheren Funktionen und Bedeutungen. Sterben tun sie deswegen jedoch noch lange nicht.

Ein gutes Beispiel dafür ist Wittenberge. Hier standen einst das modernste Nähmaschinenwerk der Welt, eine Zellstofffabrik und eine große Ölmühle. Nach der Wende ging die Industrie und kam der Niedergang. Die Stadt steht heute symbolisch für den Abstieg schrumpfender Städte, für Deindustrialisierung, Abwanderung und Zukunftslosigkeit. Wittenberge wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt durch den Film „Yella“, der die Abwanderung einer jungen Frau (gespielt von Nina Hoss) aus der durch Ruinen, Brachen und Hoffnungslosigkeit geprägten Stadt in den Westen schildert.

Wer in Wittenberge Zeichen des Niedergangs der Stadt finden will, findet diese auch. Doch es gibt auch Anzeichen für eine langsame Regenerierung der Stadt. Die Wanderungsbilanz der Stadt ist inzwischen ausgeglichen, die Zahl der Arbeitsplätze steigt wieder. Eine Dämmstofffabrik und ein Futtermittelwerk haben sich angesiedelt. Wichtiger erscheint allerdings der Wandel hin zu einer postindustriellen Stadt. Wittenberge hat durch die Lage an der Elbe zwischen Berlin und Hamburg Potenzial für Kultur, Dienstleistungen und Tourismus. Ein Schlüsselprojekt dafür ist die Alte Ölmühle, die 1991 ihre Produktion einstellte und danach brachlag. Der größte Teil wurde abgerissen, die historisch wichtigsten Gebäude und die Fabrikantenvilla jedoch als Industriedenkmale erhalten. Zunächst diente der Hof als Ruinen-Kulisse für die Elblandfestspiele. Vor einigen Jahren investierte ein örtlicher Unternehmer mehrere Millionen Euro. Heute ist die ehemaligen Fabrikantenvilla und ein Speichergebäude ein gut besuchtes Viersternehotel. Neben einer eigenen Schaubrauerei setzt der Eigentümer auf Erlebnisgastronomie, Sport und Kultur. Ein Turm wurde zum Hochseilklettern umfunktioniert, der Uferturm zu einer Strandbar mit Café verwandelt.

Dieses Beispiel zeigt, dass auch in kleinen und mittleren Städten in der Peripherie funktionierende Konzepte für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung gefunden werden können. Eine hochtrabende, umfassende Vision, wie sie Metropolen wie Berlin oder Barcelona formulieren können, liegt zwar häufig außerhalb der Reichweite dieser Städte. Durch eine genaue Analyse der lokalen Potenziale und einen stringenten Plan lassen sich aber fast überall funktionierende Nischen und Alleinstellungsmerkmale finden. Dass kleine Städte sogar Vorreiter sein können, zeigt die 17 000-Seelen-Stadt Martigny in der Schweiz. Sie wurde im Jahr 2010 mit dem „European Energy Award Gold“ ausgezeichnet für herausragende Maßnahmen in der Energieeffizienz und Erzeugung erneuerbarer Energien.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung IRS

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