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Homepage: Ein Narziss an der Macht

Peter Longerich schreibt Biografie von Goebbels

29 Bände umfasst die Edition der Tagebücher von Joseph Goebbels, die jüngst zum Abschluss kam. Anfänglich übte sich der spätere Propagandaminister noch als Dichter, versuchte sich in Aphorismen und Liebesbriefen. Im Zentrum der Macht angekommen, veröffentlichte er sie, um sich als Privatperson zu zeigen. Ab 1941 ging er dazu über, seine täglichen Notizen zu diktieren. Sie sollten Zeugnis ablegen über das Entstehen des „Dritten Reiches“, dessen erster Historiker Goebbels selbst sein wollte.

In sie hat sich Peter Longerich seit einiger Zeit vertieft. Der in London lehrende Historiker arbeitet an einer Biografie des Propagandisten. Auch wenn sie erst im kommenden Jahr erscheinen soll, sind schon jetzt Übersetzungen in mindestens zehn Sprachen geplant. Unlängst stellte Longerich sein Projekt im Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) zur Diskussion, die sehr angeregt geführt wurde. Longerich gilt als Experte der Holocaustforschung, seine Bücher über die „Politik der Vernichtung“ und ihre Resonanz in der deutschen Bevölkerung, „Davon haben wir nichts gewusst!“, gelten als Standardwerke. Seine zuletzt erschienene Biografie Heinrich Himmlers, erfuhr in wenigen Monaten drei Auflagen.

Longerich interessiert die extreme Personalisierung politischer Macht im Nationalsozialismus. Goebbels schuf mit dem nationalsozialistischen Propagandaministerium ein eigenes Imperium, das eine „Einheit von Volk und Führer“ schaffen sollte. Wenigstens als Inszenierung. In seinen Tagebüchern ist Goebbels überzeugt, dass dem äußeren Schein der Zustimmung eine innere Überzeugung entspreche, obwohl er selbst als Regisseur der Jubelparaden dafür sorgte, dass jeder eine Blume bekam, wenn Hitler ein Menschenmeer mit floralen Winkelementen sehen wollte.

In dieser Verwechslung von Schein und Sein erkennt Longerich „eine narzistisch schwer gestörte Person“, die in ihrer „megalomanen Phantasie“ und „mangelnden Empathie“ alle Merkmale einer gestörten Ich-Entwicklung aufweise. Dass gerade solche größenwahnsinnigen Persönlichkeiten sich im nationalsozialistischen Apparat soweit etablieren konnten, dass sie ihn maßgeblich mitbestimmten, sage nicht zuletzt etwas über dieses System aus und rechtfertige deshalb eine biografische Analyse. Longerich untersucht die Tagebücher mit dem Ziel, das „Selbstbild Goebbels als Genius zu dekonstruieren“, um „den Persönlichkeitskern herauszulesen“. Es sei sein Anspruch, eine „volle“ Biografie zu schreiben, die sowohl die politische wie die private Lebensgeschichte erzähle und die Wahrnehmung von historischen Ereignissen und Prozessen korrigiere.

Die mehrheitlich jüngeren Wissenschaftler reagierten mit Skepsis. Hinterfragt wurde nicht nur der psychoanalytische Zugriff eines Historikers auf eine Person, die nur noch als Text da ist. Auch diesem Text, den umfangreichen Tagebüchern, wurde wenig Quellentauglichkeit attestiert, gerade weil Goebbels als Lügner, Intrigant und eitler Selbstdarsteller seine Inszenierungslust zunächst in Sprache erprobte. Ob nicht vielmehr die Gesellschaft in den Blick genommen werden müsse, um zu prüfen, inwiefern Goebbels’ propagandistische Aktionen bei denen ankamen, die zum Jubeln aufgefordert wurden. Die implizite These, dass das Krankhafte der Persönlichkeit Goebbels sowohl Erscheinungsform als auch Motor seiner Agitation war, wurde von den Diskutanten als kaum hinreichende Analyse kritisiert. Lene Zade

Lene Zade

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