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Sabina Frank und Hortense Lademann (v.l.) von der AIDS-Hilfe Potsdam.

© Andreas Klaer

Interview mit Mitarbeitern der Potsdamer AIDS-Hilfe: „Ein Medikament kann heute vor einer HIV-Infektion schützen“

Sabine Frank und Hortense Lademann bieten in den Räumen der Potsdamer AIDS-Hilfe Beratung an. Im Interview sprechen sie über neue Behandlungsmöglichkeiten bei HIV und die Bedeutung der Prävention.

Von Birte Förster

Frau Frank, ist eine HIV-Infektion heute noch lebensgefährlich?

SABINE FRANK: Die HIV-Therapie ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass man gut und lange mit der HIV-Infektion leben kann. Aber man muss ein Leben lang medikamentös behandelt werden. Durch die Therapie können Frauen mittlerweile Kinder bekommen, ohne das Virus zu übertragen. 

Auch wenn sich die Behandlungsmöglichkeiten deutlich verbessert haben: Ist Prävention trotzdem noch wichtig?

FRANK: Prävention muss nach wie vor ein fester Bestandteil sein. Das merken wir auch bei unserer Schulpräventionsarbeit. Genauso muss auch Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung stattfinden. Alle Erfolge in der Medizin, die der Mensch für sich nutzen kann, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen, sollten immer bekannt gemacht werden. Wichtig ist zu wissen, dass man sich mit einer so genannten Präexpositionsprophylaxe, durch die Einnahme eines Medikamentes aus der HIV-Therapie, vor einer HIV-Infektion schützen kann. Oder, dass jetzt der Selbsttest zur Verfügung steht, der freikäuflich in der Apotheke erhältlich ist. Das sind alles Dinge, die von der Allgemeinheit oft nicht wahrgenommen werden. Präventionsarbeit muss daher immer stattfinden.

HORTENSE LADEMANN: Die Prävention von HIV steht auf drei Säulen: Dass durch die Therapie die Infektion nicht mehr weitergegeben wird, klassisch gehört das Kondom dazu und die Präexpositionsprophylaxe. Aufgrund dieser drei Säulen kann HIV nicht mehr so stark übertragen werden wie bisher. Und vielleicht tritt es irgendwann gar nicht mehr auf, weil es nicht mehr weitergegeben wird. FRANK: Und das wissen leider nur zehn Prozent der Bevölkerung, dass diese Methoden zur Verfügung stehen. Die Deutsche Aids-Hilfe hat gerade unter dem Titel „Wissen verdoppeln“ eine neue Kampagne gestartet. Da geht es darum, dass diese zehn Prozent mehr werden müssen. 

Wo kann man sich testen lassen?

LADEMANN: Wir bieten hier auch zweimal im Monat Tests an. Bei manchen, die sich testen lassen, ist die Anspannung sehr hoch. Da fließen auch mal die Tränen in die Augen, wenn das Testergebnis gezeigt wird. Bei uns hat man zusätzlich zum Test die Beratung und Begleitung. Es kostet nichts und ist anonym. Es ist eine Chance, es auf jeden Fall ein bisschen einfacher zu haben, indem man zum Test hierherkommt. Wir würden auch assistieren, wenn jemand sich den Selbsttest gekauft hat. Oft ist auch ein Arzt bei uns. 

FRANK: Für viele HIV-Infizierte in Brandenburg ist das Potsdamer Bergmann-Klinikum eine Anlaufstelle. Dort gibt es seit Langem eine Spezialambulanz für HIV-Infektionen. Viele nutzen auch die Praxen, die es in Berlin gibt.

Wie viele Menschen kommen in Ihre Beratungsstelle? 

LADEMANN: Letztes Jahr waren 177 Menschen hier, die sich haben testen lassen. HIV-Positiv sind dabei nur ganz wenige. Insgesamt 400 bis 500 Kontakte haben wir pro Jahr für eine Beratung. 

Kondome schützen. 
Kondome schützen. 

© Oliver Berg/dpa

Viele HIV-Erkrankte in Brandenburg wissen gar nichts von ihrer Infektion. Wie lässt sich das erklären?

FRANK: Statistisch betrachtet gibt es laut Robert-Koch-Institut bundesweit zirka 11 400 Menschen, die nicht wissen, dass sie mit HIV infiziert sind. Ein gewisser Anteil befindet sich auch in Brandenburg. Laut Schätzungen des Robert-Koch-Instituts gibt es in Brandenburg 400 HIV-Infizierte, etwa 290 der Infizierten wissen nicht, dass sie HIV-positiv sind. Das wäre eine sehr hohe Dunkelziffer für unser Bundesland. Ein anderer Punkt ist, dass gerade ältere Menschen zu spät zum Test gehen. Und dann schon eine schwere Erkrankung haben, weil das Immunsystem nicht mehr in der Lage ist, sich erfolgreich gegen die Krankheitserreger zu wehren. Das sind die so genannten „Late Presenter“, die viele Jahre mit HIV leben, ohne es zu wissen. Das ist eine der Zielgruppen, die wir durch unsere Präventionskampagnen noch mehr erreichen müssen.

LADEMANN: Vielleicht spüren einige, dass etwas sein könnte. Aber durch die Stigmatisierung in der Familie und im Freundeskreis trauen sie sich nicht, das Endergebnis und damit eigentlich auch eine Lösung zu bekommen. Das ist das, was wir mehr propagieren müssen, wozu der Welt-Aids-Tag genutzt werden kann. Es ist besser zu wissen, dass man HIV-positiv ist und in Therapie zu sein, um seine Gesundheit zu erhalten. 

Wenn dann irgendwann Aids bei den Betroffenen ausbricht, ist es dann zu spät für eine Behandlung?

FRANK: Die Behandlung ist grundsätzlich immer möglich, aber natürlich hat es das Medikament nicht so leicht wie bei jemandem, der noch nicht lange infiziert ist und mit der Therapie startet. Dann wird das Abwehrsystem von Anfang an davor geschützt, dass sich HIV zu viel vermehren kann. Bei älteren Menschen dauert es auch viel länger, bis sich das Immunsystem so einigermaßen erholt. Bis Aids ausbricht, dauert es sieben bis zehn Jahre. Dann ist das Immunsystem schwer geschädigt und es können Erkrankungen auftreten, gegen die dann andere schwere Medikamente eingenommen werden müssen, wie zum Beispiel Krebs.

Dann ist HIV also nach wie vor ein Tabu-Thema?

FRANK: Ich glaube vor allem bei der älteren Generation. Da die Auseinandersetzung mit AIDS in den frühen Jahren so stark war. Es gab ja zunächst keine Medikamente. Die Menschen sind an den Folgen von AIDS gestorben. Diese Zeit hat die Menschen so sehr geprägt, dass sich viele Vorurteile gebildet haben. Dann kamen 1996 die Medikamente. Auch heute ist es noch so, wie aus einer Umfrage aus dem Jahr 2017 hervorgeht, dass über HIV-positive Menschen schlecht geredet wird. Das führt dazu, dass man denkt: Dann will ich das lieber gar nicht erst wissen. Manche bekommen Angst, dass sie ihren Job nicht behalten können, wenn der Arbeitgeber davon erfährt. Oder, dass sich im sozialen Umfeld viel verändert. Es sind starke Ängste, die dazu führen, dass man vielleicht nicht zum Test geht. Und das ist gefährlich, gerade in der heutigen Zeit, in der man die positiven Effekte der Medizin für sich nutzen kann, um alt zu werden.

LADEMANN: Betroffene, die behandelt werden, sagen oft, dass es ihnen gut geht. Im Idealfall müssen sie nur eine Tablette pro Tag einnehmen. Das Immunsystem funktioniert dann bei vielen ganz normal und ist fähig, andere Krankheiten zu bekämpfen.

Dabei reicht es ohnehin, wenn es der Arzt weiß. Dem Arbeitgeber muss oder sollte man das vielleicht lieber gar nicht mitteilen.

FRANK: Wir raten dazu, sehr gut abzuwägen, mit wem man sich darüber unterhält, um Panik zu vermeiden. Wir hatten einmal den Fall, dass es jemand im Kollegenkreis erzählt hat. Danach wollte niemand mehr mit ihm zusammenarbeiten, die Telefone wurden nicht mehr gemeinsam benutzt. Der war dann ein Jahr psychisch außer Kraft gesetzt. Betroffene können sich in solchen Fällen auch an die Antidiskriminerungsstelle der Deutschen AIDS-Hilfe wenden.

Wie fallen bei einer HIV-Diagnose sonst die Reaktionen vom Betroffenen selbst und seinem Umfeld aus?

FRANK: Das individuelle Erleben ist erstmal wichtig. Manchmal ist es ein Schock, manchmal eine Erleichterung. Endlich weiß ich, dass es so ist, was ich vielleicht schon lange mit mir herumgetragen habe. Diejenigen sind dann meistens ruhig und nehmen es ganz gefasst auf. Aber dann wird es eine Realität. Manche haben dann große Angst davor, dass es bekannt wird. Wir erleben auch sehr liebevolle Situationen, wenn zum Beispiel der Familien- und Freundeskreis die Person auffängt. Der geschützte Raum der Beratungsstelle ist trotzdem wichtig. Es gibt hier zwei Selbsthilfegruppen, eine Frauen- und eine Männergruppe. Sie unterstützen sich gegenseitig und geben sich Ratschläge.

LADEMANN: Umfragen haben außerdem gezeigt, dass vor allem Jüngere ganz entspannt reagieren. Das hat viel mit der Aufklärung in der Schule zu tun. Bei Befragungen sagten sie, dass sie die betroffene Person aus dem Umfeld weiter ganz normal behandeln würden.

Dass die Reaktionen so drastisch ausfallen, wie von Ihnen beschrieben, ist ja eigentlich unbegründet. Wie steckt man sich eigentlich an?

LADEMANN: Beim Sex oder beim Spritzentausch kann man HIV am ehesten weitergeben.

FRANK: Im Arbeitsleben kann nur Blut als Körperflüssigkeit infrage kommen. Wenn aber der HIV-Infizierte in Behandlung ist, ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze. Also eigentlich muss man, außer in medizinischen Berufen, nichts befürchten. Aber in der Beratung erleben wir oft, dass ganz utopische Situationen beschrieben werden. Bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit einem HIV-Infizierten ist die Ansteckung bei einer wirksamen Therapie gleich Null.

Wer ist am ehesten gefährdet, sich mit HIV anzustecken?

LADEMANN: Das sind zu etwa 65 Prozent Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Das hat etwas mit der Sexualpraxis zu tun. Bei Analsex ist die Übertragungsrate am häufigsten, da sehr infektiöse Flüssigkeiten dabei eine Rolle spielen. Blut ist am stärksten infektiös, danach kommen Analsekret und Sperma, noch weniger infektiös ist Scheidensekret, als letztes folgt Muttermilch. In der Regel betrifft die Erkrankung aber alle gesellschaftlichen Schichten und alle Altersgruppen.

FRANK: Aber die Zahlen der HIV-Neuinfektionen haben gezeigt, dass die Neuinfektionen bei MSM etwas zurückgegangen sind und im Hetero- und Drogenbereich etwas zugenommen haben. Studien zeigen auch, dass die Neuinfektionen zurückgehen, umso mehr die Präexpositionsprophylaxe eingenommen wird. Die ist dabei genauso wirksam wie ein Kondom.

- Das Gespräch führte Birte Förster

www.aidshilfe-potsdam.de

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