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Etwas HELLA: Ein Bravo mit kleinen Macken

Meine lieben Potsdamerinnen und Potsdamer! Lassen Sie mich Ihnen zum Jahresanfang ins Gewissen reden.

Meine lieben Potsdamerinnen und Potsdamer! Lassen Sie mich Ihnen zum Jahresanfang ins Gewissen reden. Es ist nämlich äußerst wichtig, dass Sie nicht übermütig werden. Auch wenn in unserer schönen Stadt im vergangenen Jahr fast alles richtig gemacht worden ist.

Wir haben die historische Erneuerung der Innenstadt auf den Weg gebracht und dabei nicht mal den Wiederaufbau der Garnisonkirche völlig vereitelt. Es wird im Lustgarten – diese Forderung habe ich von Stadterneuerern gehört – keine Skyline von Hochhäusern geben. (Obwohl auch ich nicht müde werde, für Potsdam wegweisende moderne Architektur zu fordern. Es muss ja nicht gerade am Havelufer sein.) In der gebotenen Kürze der Zeit bekommt die Stadt ein Tierheim, nämlich nach rund 15 Jahren. Wir kriegen sogar Kompromisse zustande wie bei der alten, einst von Unger entworfenen Post, die in der Friedrich-Ebert-Straße in modernisierter Form wiedererstehen soll. Na gut, auf den Neubau müssen wir wahrscheinlich noch ein paar Jahrzehnte warten wie auf die Synagoge und den neuen Pächter des Filmmuseumcafés. Aber wir kennen das ja von Rom, das auch nicht an einem Tag erbaut wurde.

Wir haben ein Stadtschloss hingezaubert, das weder Jahre später fertig geworden ist, noch Millionen mehr gekostet hat als geplant. Und wir werden wahrscheinlich auch noch den Werderanern eine Nase drehen und unser aufgepepptes Stadtbad vor der Blütentherme einweihen. (Ich habe jetzt nicht „ätsch“ gedacht. Werder hat es auch nicht leicht.) In die Schulen sollen Millionen investiert werden. Und ganz gegen alle Trends hat unser hochverehrter, immer sehr schwarz sehender Stadtkämmerer mehr Geld im Stadtsäckel als er prophylaktisch ausgerechnet hatte.

Wir sind eben eine Stadt mit Lebensqualität, die wächst und gedeiht, bei der die Geburtenziffern steigen und der Zuzug so ungebremst vonstatten geht, dass wir es mit der Angst zu tun kriegen. Trotzdem sind wir bereit, Fremde, selbst Sachsen und Bayern und Schwaben, auf das Freundlichste zu begrüßen. Unsere Verteidigung der Werte des Abendlandes hält sich außerdem in Grenzen und der Potsdamer Pegida-Ableger dümpelt vor sich hin. Hoffentlich noch recht lange. Natürlich muss man Bedenken ernst nehmen, speziell wenn sie die Werte des Abendlandes betreffen, noch dazu in einer Stadt, die fast nur aus Abendland besteht. Aber Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden, sagte Rosa Luxemburg, und da nehme ich mir mal die Freiheit heraus, die Angst vor der Islamisierung unserer Welt bei einem Ausländeranteil von drei bis fünf Prozent als dummes Gerede zu bezeichnen.

Verstehen Sie jetzt, warum ich vor dem Übermut gewarnt habe? Denn jetzt habe ich meinen gerade ins Kraut schießen lassen und muss mich ab morgen wahrscheinlich hinter einem Schleier verstecken. In einem Punkt bin ich allerdings ganz zuversichtlich: Auch für Potsdam kommt der nächste Kladderadatsch bestimmt und bietet Stoff für eine Kolumne. In diesem Sinne uns allen ein ereignisreiches neues Jahr.

Unsere Autorin ist langjährige Redakteurin und jetzt freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Potsdam

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