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Immense Kapazität. Der Supercomputer am HPI hat 1500 Prozessorkerne, rund 30 Terabyte Arbeitsspeicher und über 200 Terabyte Festplattenspeicher.

© Andreas Klaer

Technik am HPI: Ein Baby mit 1500 Kernen

Mit einem Supercomputer wird am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut die Technik von morgen getestet. Ein Besuch.

Sie kommen wegen der Technik. Wegen der gewaltigen Rechenkraft, des riesigen Speichers und der 1000 Prozessorkerne. Bernhard Rabe zückt seine Türöffnerkarte und dreht seinen Kopf zu den zwei jungen Informatikern aus Israel, die er bis vor die weiß lackierte Tür ganz am Ende des lichtdurchfluteten Flures im zweiten Stock des Hauptgebäudes am Hasso-Plattner-Institut (HPI) geführt hat. „It’s getting loud and cold“, sagt Rabe zu seinen Begleitern auf Englisch und mustert sie noch einmal durch die runden Gläser seiner Brille. Dann hält er die Karte vor den Sensor. Es piept, Rabe greift zur Klinke und drückt seinen schmalen Körper gegen die schwere Tür.

An Schnörkeleien ist im Inneren des „HPI Future SOC Lab“ nicht zu denken. Gardinen, Tapete, ein Bild an der Wand oder Zimmerpflanzen werden Gäste hier vergeblich suchen. Der kahle Serverraum ist nur einem Zweck verpflichtet: der Technik. „This is our exotic hardware“, ruft Rabe und schlürft den rauschenden, kleiderschrankgroßen Rechenmaschinen im Inneren des Zukunftslabores entgegen. Über Rabes Kopf dröhnt die Klimaanlage an der Decke. Breite Metallstützen der Anlage verdecken das einzige Fenster im Raum. Aus ihnen strömt eiskalter Wind. Gierig saugen Hunderte kleine Ventilatoren die gekühlte Luft in das Innere der heißen Rechnerschränke, um sie um einige Grad wärmer auf der Rückseite wieder zurück in den Raum zu blasen. Es riecht nach warmem Plastik, wie in einem schlecht belüfteten Elektronik-Markt.

Bernhard Rabe stört das nicht. Das hier ist eines der jüngsten und gleichzeitig modernsten „Babys“ des Softwaresystemtechnik-Instituts des IT-Milliardärs Hasso Plattner. Stolz zeigt der wissenschaftliche Mitarbeiter auf den Supercomputer mit den vielen gelben und blauen Kabeln. Zwischen ihnen blinken Leuchtdioden im Sekundentakt, die meisten grün. „Solange die Lampen grün blinken, ist alles ok“, ruft Rabe. Seine Worte werden vom Lärm der Maschinen verschluckt. „Rote Lampe ist nicht gut.“ Dann ist etwas kaputt, oder droht kaputtzugehen. „Die Systeme schicken E-Mails, wenn es ihnen schlecht geht“, sagt Rabe und entdeckt hinter einem gelben Kabel ein rotes Lämpchen. „Das ist nicht so gravierend, vielleicht ein ECC-Fehler“, sagt der 35-jährige Informatiker – irgendwas mit dem Speicher. Rabe wendet sich wieder seinen jungen Gästen vom HPI-Institut in Haifa zu, um sie mit den technischen Daten der Anlage zu versorgen. Einige „Ahhs und Ohhs“ sind im Lärm zu hören, die Besucher staunen.

Seit knapp einem Jahr können die Wissenschaftler am Potsdamer HPI mit dem einen von insgesamt drei 1000-Kerne-Rechnern auf der Welt arbeiten. Im Jahr 2010 wurde das „Future Soc Lab“ gegründet. Die Abkürzung steht für „Service-oriented Computing“. Firmen wie Fujitsu, Hewlett Packard, EMC oder SAP haben einen Teil der Technik im Serverraum gesponsert. Geräte, die es im Handel noch nicht zu kaufen gibt. Im Gegenzug werden die Hersteller über die Forschungsergebnisse zum Beispiel zu Haltbarkeit und Belastungsgrenzen der Technik informiert. Für knapp eine Million Euro wurde das Zukunftslabor zuletzt noch einmal vom HPI technisch aufgerüstet.

Für komplexe Hochleistungsrechenverfahren verfügen die Informatikforscher nun über eine Rechnerinfrastruktur mit insgesamt 1500 Rechnenkernen, rund 30 Terabyte Arbeitsspeicher, und über 200 Terabyte Festplattenspeicher. Allein auf den Festplatten könnte man rund 40 Millionen Urlaubsfotos speichern. Vergleichbare Rechnercluster fänden sich nur in zwei Laboren des Softwarekonzerns SAP und in den USA, wirbt das Plattner-Institut  stolz. Forscher aus aller Welt sollen Ressourcen in Potsdam kostenlos nutzen können, die für viele Universitäten sonst unbezahlbar wären.

Kooperationen mit der TU Berlin und dem Golmer Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie gibt es bereits, sagt Frank Feinbube. Zusammen mit Bernhard Rabe ist der junge Wissenschaftliche Mitarbeiter für die Betreuung der Forschungsprojekte am Hochleistungsrechner zuständig. „Wir liefern Technik und Software und die Systembiologen des Max-Planck-Instituts die Anwendungsfälle“, erklärt Feinbube. „Ein Traum ist es, menschliche Zellen zu modulieren.“ Erste Schritte seien gemacht, ein Teil der chemischen Reaktionen, die sich in den Zellen ausgewählter Pilze und Bakterien abspielen, konnte der Supercomputer bereits simulieren. „Größere Probleme können bis heute wegen ihrer Komplexität überhaupt nicht berechnet werden, wir wollen das ermöglichen.“ Dafür wollen die Softwaresystemtechniker den neuen Vielprozessorrechner mit den anderen Computern im Labor koppeln. Diese ziehen ihre Leistung nicht aus ihrer Vielzahl an Kernen, sondern aus der Beschleunigung durch zahlreiche Grafikkarten oder den Einsatz gewaltiger Hauptspeicher. Ein Zusammenwirken der speziellen Eigenschaften dieser drei Extreme ist die Zukunft, sagt Feinbube. Technik, die heute noch den Platz von zehn Kühlschränken einnimmt, werde in zehn Jahren in schlanke Notebooks passen.

„Wir arbeiten an der physikalischen Grenze der Geräte“, sagt Bernhard Rabe, als er seinen Blick noch einmal über die blinkenden Dioden des Computers schweifen lässt. Ein, vielleicht auch eineinhalb Jahre könne man mit der neuen Technik auf höchstem Niveau forschen und hochkomplexe Algorithmen berechnen lassen, sagt Rabe. Dann müsse nachgerüstet werden. Die Rechner arbeiten immer, Tag und Nacht. „Bei Stromausfall haben wir hier ein Problem“, sagt Rabe. Eine Etage unter dem Serverraum speichern zwar Batterien Notstrom, aber sie können nur eine Stunde überbrücken. Erst dann springt ein Dieselgenerator ein. Aber ob das reicht? „Wir haben es noch nicht getestet“, sagt Rabe und drückt auf einen Schalter neben der Tür. Das Licht geht aus, der Rechner dröhnt weiter.

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