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Landeshauptstadt: „Die Zahlen steigen“

Potsdams Frauenzentrum-Chefin Heiderose Gerber über Gewalt gegen Frauen – und #MeToo

Frau Gerber, heute ist der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Warum ist dieser Tag wichtig?

Er ist deshalb wichtig, weil er das oft tabuisierte Thema Gewalt gegen Frauen in die Öffentlichkeit holt. Häusliche Gewalt, um die es sich in den meisten Fällen handelt, wird leicht zur Privatsache erklärt. Es trifft die Opfer in einem sehr vertrauten, persönlichen Umfeld. Ein bestehendes Verwandtschaftsverhältnis schafft ein anderes Abhängigkeits- und Machtverhältnis. Wenn mich im Job jemand anbrüllt, kann ich immer noch sagen, diese Person ist nicht mit mir verwandt.

Wie viele Frauen sind in Potsdam von häuslicher Gewalt betroffen?

Das können wir allgemein nicht beantworten, weil wir nur die Zahl der Frauen kennen, die bei uns in den Einrichtungen Schutz suchen. Auch die Polizeistatistik kann nur die Fälle benennen, die dort gemeldet werden. Es ist anzunehmen, dass die Dunkelziffer höher ist, als offizielle Zahlen dies aufzeigen. In diesem Jahr gab das Polizeipräsidium die Fallzahlen für 2016 bekannt. In Brandenburg wurden demnach im letzten Jahr 4291 Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt erfasst, 6,4 Prozent davon in Potsdam. Wir haben 2016 insgesamt 33 Frauen und 27 Kinder in unserem Frauenhaus aufgenommen.

Ist die Entwicklung rückläufig oder nehmen die gemeldeten Übergriffe zu?

Was wir sagen können ist, dass landesweit seit 2001 die Zahlen in den Statistiken kontinuierlich ansteigen, auch in Potsdam. Doch die Statistiken erfassen längst nicht alle Betroffenen – was man angesichts der aktuellen #MeToo-Debatte beobachten kann. Dabei berichten viele Frauen von den Erlebnissen aus früher Kindheit. Meine Kollegin aus der Beratungsstelle bestätigte kürzlich, dass ein hoher Prozentsatz von Frauen, die sich aktuell bei uns melden, bereits in der Jugend oder Kindheit Opfer von sexueller Gewalt wurde. Bei häuslicher Gewalt zeigt die Erfahrung, dass sich viele Frauen oft erst einige Zeit nach der ersten Gewalterfahrung bei uns melden. Die meisten hoffen, nicht fortlaufend von der Gewalt in der eigenen Wohnung betroffen zu sein. 2015 ertrugen 18 Prozent der Frauen die häusliche Gewalt mehr als fünf Jahre. Das ist eine lange Zeit.

Welche Hilfsangebote für betroffene Frauen gibt es in Potsdam?

Es gibt unser Beratungsangebot für Frauen und Mädchen und kirchliche Beratungsstellen, pro familia und Angebote von freien Trägern. Unsere Frauenberatungsstelle hat jedoch ein Alleinstellungsmerkmal: Wir haben nur Frauen und Mädchen im Fokus. Unsere Kolleginnen unterstützen Betroffene bei sämtlichen Anträgen, polizeilichen Anzeigen und allem Weiteren. Wir haben 21 Plätze im Frauenhaus. Hier finden Frauen einen Zufluchtsort, wenn sie akut von häuslicher Gewalt betroffen sind. In unserer Frauennotwohnung haben wir acht Plätze für Frauen, die einen höheren Betreuungsbedarf haben, mit Schulden zu uns kommen oder nach einem Klinikaufenthalt Unterstützung benötigen. Frauen und ihre Kinder finden hier ein Zimmer für sich. Wir sind auch für Frauen aus Potsdam-Mittelmark zuständig.

Sind die Angebote ausreichend?

Wenn sich die Fallzahlen erhöhen, braucht man automatisch mehr Plätze. Wir nehmen ja auch Frauen auf, die aufgrund ihrer akuten Gefährdung aus anderen Bundesländern fliehen, und wir schicken Frauen aus Potsdam weg, wenn die Gefahr für sie zu groß ist, hier zu bleiben. Unsere Plätze sind in der Regel immer ausgelastet. Erfreulich ist, dass Deutschland gerade die Istanbul-Konvention ratifiziert hat. Dies ist ein europaweites Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Konvention tritt im Februar 2018 in Kraft und Deutschland verpflichtet sich, ausreichend Platz für die Betroffenen in Frauenhäusern und anderen Unterkünften zu schaffen.

Was ist Ihr Ziel für die Zukunft?

Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Situation, in der Gewalt keinen Platz findet, auch und gerade weil das öffentliche Bewusstsein dafür vorhanden ist.

Das Gespräch führte Sarah Stoffers

Heiderose Gerber, Jahrgang 1958, ist seit seiner Gründung die Geschäftsführerin des Autonomen Frauenzentrums in Potsdam und Mitglied des Frauenpolitischen Rates in Brandenburg.

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