zum Hauptinhalt
Zusammenrottung. Die Wildschweinpopulationen haben in den vergangenen Jahren in Potsdam deutlich zugenommen. Begünstigt durch milde Winter und ein Überangebot an Futter, breiten sie sich in der Stadt immer mehr aus und treiben manchem Gartenbesitzer die Tränen in die Augen.

© Andreas Klaer

Wildschweine in Potsdam: Die Stadt als Futterquelle

Wildschweine richten in Potsdam große Schäden an. Der Stadtjäger Holger Jensen fordert deshalb nun drastische Maßnahmen.

Von Peer Straube

Potsdam wird offenbar vor der schwersten Wildschweinplage der letzten Jahre heimgesucht. Nicht nur in den Welterbeparks der Schlösserstiftung wühlen sich die Tiere durch die mühevoll angelegten Rasenflächen, vor allem Potsdams teils üppige Privatgärten dienen ihnen als beliebter Futterplatz. „Die Lage ist katastrophal“, sagte Potsdams Stadtjäger Holger Jensen am Mittwoch den PNN. Jensen ist einer von zwei Stadtjägern, die dafür sorgen sollen, dass die Wildschäden in der Landeshauptstadt möglichst überschaubar bleiben.

Wildschwein auf Supermarkt-Parkplatz im Bornstedter Feld gesehen

In diesem Jahr kommen sie mit der Arbeit allerdings kaum hinterher. Allein am Griebnitzsee sei er im September zu „mehreren prominenten Potsdamern“ gerufen worden, denen die Wildschweine jeweils ein paar Tausend Quadratmeter feinsten englischen Rasen umgepflügt hätten, sagte Jensen. In Neu Fahrland habe eine Rotte in mehreren Nächten hintereinander rund 4000 Quadratmeter Rasenfläche der bekannten Keramikerfamilie Buhlmann gerodet. Geschätzter Schaden: mindestens 20 000 Euro. Die Beseitigung müssen die Eigentümer jeweils selbst zahlen.

Auch aus Eiche meldeten PNN-Leser massive Schäden auf ihren Gartengrundstücken, in Golm und Töplitz haben Wildschweine zwei Sportplätze in eine Mondlandschaft verwandelt. Erst kürzlich habe er sogar eine Rotte auf dem Parkplatz des Rewe-Supermarktes im Bornstedter Feld gesichtet, sagte der Stadtjäger.

Wildschweine im Schlaraffenland

Wegen der milden Winter der letzten Jahre habe die Wildschweinpopulation enorm zugenommen, sagt Jensen. Eine reiche Eichelernte und der zunehmende Maisanbau sorgen dafür, dass die Schwarzkittel derzeit wie im Schlaraffenland leben. Statt wie üblich drei überlebten jetzt fast sechs Frischlinge von jedem Wurf, der bis zu acht Jungtiere groß sein kann. Genaue Zahlen darüber, wie viele Wildschweine insgesamt im Potsdamer Stadtgebiet ihr Unwesen treiben, gibt es nicht. Schwarzwild sei Wechselwild, ziehe also auf permanenter Futtersuche umher, erklärte Matthias Sonnenberg, Vorsitzender der Jagdgenossenschaft Potsdam Nord, die insgesamt knapp 1200 Hektar auf den unbefriedeten Teilen des alten Stadtgebiets, in Bornim, Eiche und Nedlitz bejagt. Weitere solcher Jagdgenossenschaften gibt es in Golm, Grube, Uetz, Satzkorn, Fahrland und Groß Glienicke. Hinzu kommen zehn sogenannte Eigenjagdbezirke, unter anderem in Kartzow, Neu Fahrland und in Wildpark-West, für deren Bewirtschaftung die Forstverwaltungen der Länder Brandenburg und Berlin sowie der Bund zuständig sind. Insgesamt umfassen die Reviere eine Fläche von mehr als 12 000 Hektar.

Dort haben die Jäger in der vergangenen Saison 2015/16, die jeweils vom 1. April bis zum 31. März dauert, 865 Wildschweine erlegt, in der Saison davor waren es sogar 1160. Eine Begrenzung nach oben gibt es nicht, die Genossenschaften legen aber Mindestabschussquoten fest. Eindämmen lässt sich die Wildschweinplage damit nach Ansicht von Jagdexperten trotzdem nicht. Jagden in Städten sind wegen der dichten Besiedlung immer heikel. Auch die drei Jäger, die die Schlösserstiftung beschäftigt, können kaum auf freies Schussfeld hoffen, weil sie nie sicher sein können, dass sich nicht auch nachts in den Parks Menschen herumtreiben. Gejagt werden darf dort ohnehin nur unter strengsten Auflagen, weil die Welterbeparks ebenso wie das besiedelte Stadtgebiet als befriedeter Bereich gelten.

Die Schweine seien aber zu schlau

So bleiben den Stadtjägern im Kampf gegen die Wildschweine nur sogenannte Vergrämungsmittel, also Duftstoffe, die die Tiere fernhalten sollen. Die wirken aber nur begrenzt. Die Schweine seien zu schlau, sagte Jensen.

Daher fordert der Stadtjäger nun drastischere Maßnahmen. Man müsse eine schnelle Eingreiftruppe bilden, bestehend aus vier bis fünf Jägern, die im Bedarfsfall auch im befriedeten Stadtgebiet auf Schweinejagd gehen könnten, sagte Jensen. In Zusammenarbeit mit der Polizei, die das betreffende Gebiet kurzfristig absperren muss, könne man auf diese Weise schneller reagieren. Mit dem Campingplatz Sanssouci am Bahnhof Pirschheide habe man bereits eine Vereinbarung geschlossen, so Jensen. Dort würden jedes Jahr vor dem Beginn der Sommersaison die Wildschweine geschossen. „Vielleicht müssen sich die Bürger daran gewöhnen, dass künftig auch in der Stadt gejagt wird“, sagte Jensen.

Nabu-Experte ist anderer Ansicht

Helmut Brücher, Wildschwein-Experte vom Nabu, ist anderer Ansicht. Das Jagen in der Stadt sei viel zu gefährlich, zudem kämen die Schweine nach gewisser Zeit trotzdem wieder, weil das Futterangebot zu verlockend sei. Echte Abhilfe böten nur Zäune. Wer kein Schwarzwild auf seinem Grundstück wolle, müsse es einfrieden.

Die Schäden, die Wildschweine in der Stadt auf Agrar- und Forstflächen anrichten, sind indes überschaubar. Auf 16 500 Euro belief sich die Summe in der vergangenen Saison, so Stadtsprecher Jan Brunzlow. Nicht erfasst werden indes die Schäden auf den Grünflächen der Stadt. Diese würden im laufenden Betrieb beseitigt.

Auch Krähen pflügen Wiesen durch

Viel mehr Sorgen macht man sich im Rathaus um Füchse und Waschbären, die im Stadtgebiet ebenfalls langsam zur Plage werden. Und um Krähen. Weil die Walnüsse, eine beliebte Krähennahrung, in diesem Jahr von einem Schädling befallen sind, haben die listigen Vögel andere Nahrungsquellen für sich entdeckt. Im Bornstedter Feld und am Bassinplatz hätten sie Grünflächen aufgehackt, so Brunzlow. Das sehe dann auch so aus, „als hätte ein Wildschwein durchgepflügt“.

Lesen Sie weiter:

Auch in Potsdam-Mittelmark fühlen sich Wildschweine derzeit besonders wohl. Mehrmals suchten sie den Südwestkirchhof in Stahnsdorf heim - und machten auch vor Gräbern nicht halt >>

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false