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Neujahrsempfang der Stadt Potsdam: Die Potsdamer Dimension

Potsdam, das ist die Stadt, in der Maß und Mitte ausgelotet werden können. Eine Modellstadt sozialverträglichen Miteinanders: Die Festrede von Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff zum Neujahrsempfang der Stadt Potsdam im Wortlaut.

Es macht mich froh und stolz, heute hier zu sein. Als rheinischer Preuße. Aber heute nicht zu rheinischer Redelust verpflichtet, sondern zu preußischer Kürze. Also - es ist alles gesagt. Nur noch nicht von mir.

1025 Jahre Potsdam – und 16 Jahre davon: Jann Jakobs! Ich werde ihn vermissen. Sie auch! Wenn er dann im nächsten Jahr Selfies in die Welt schickt, von der Reise mit seiner Frau durch Afrika ...

Wer ist das denn? Was will der denn hier? Ein Berliner – was hat uns der denn zu sagen? Wieder einer aus B wie Besserwisser. Nein, nein, nein. Ich weiß nichts besser, wie sollte ich. Und weil Sie, lieber Jann Jakobs, eben Thomas von Aquin zitiert haben – zitiere ich ihn jetzt mal so: „Wer tapfer ist, der ist auch geduldig.“ Danke dafür!

Die Potsdamer neuesten Nachrichten sollten Sie schon kennen – so oder so. Ich spiegele Ihnen nur zu diesem Tag, was man sich auch denken kann. Nehmen Sie es als, sagen wir, einen Tagesspiegel. Und B steht sowieso in meinem Denken für Brandenburg. Weil alles Denken zugleich Fühlen ist, sage ich Ihnen: Wenn ich an Potsdam denke, habe ich ein schönes Gefühl. Berlin ist bedeutend – Potsdam ist schön. Aber nicht nur.

Potsdam ist Barock mit Charme, Potsdam wird zum Schwarm.

Potsdam ist, jedenfalls sagt mir das mein Gefühl, so viel mehr. Buchstabieren wir es noch einmal durch.

P für Preziosen. Und damit meine ich nicht den Uferweg am Griebnitzsee.

O für ostdeutsche Identität. Und damit meine ich keine alleinige Identifikation.

T für Tradition – in aller Transparenz.

S für Sendungsbewusstsein – das nicht nur dem rbb übertragen ist.

D für Digitalisierung – die nicht allein an Hasso Plattner hängt.

A für Aktion – die manchmal erst mit dem Anecken beginnt.

M für Magnetismus – der sich aus einem Muster an Mut zur Modernität speist.

Potsdam ist Barock mit Charme. Und Potsdam wird zum Schwarm, in jeder Hinsicht. Potsdam ist ein Hub. Ist Mobilität, von Menschen und Daten. Potsdam wird Station auf dem Weg in die Zukunft.

Ist Potsdam nicht das eigentliche Laboratorium der Einheit? Jedenfalls ist es, gemeinsam mit Berlin, die deutsche Stadt mit dem höchsten Lerneffekt. Wo sonst gibt es auf so engem Raum, auf diesen paar Quadratmetern, so viel Historie? Wo treffen so unmittelbar Superreiche und Ureinwohner aufeinander? Wo ist so viel in Bewegung und zu gestalten? Wo hat sich so viel „gewendet“?

Das sind Herausforderungen!

45 000 neue Potsdamer bis 2035 – dann sind es 220 000. Bald wird die letzte Parklücke bebaut sein. Das Wachstum macht vielen Sorge, auch Angst. Werde ich mir die Wohnung noch leisten können? Wie komme ich zur Arbeit auf vollen Straßen, in vollen Zügen? Wo werden die Kinder betreut? Wo gehen sie zur Schule? Bleibt Potsdam trotzdem – schön?

Halt! Wo so viele Geistesgrößen zu Hause sind, pro Kopf mehr Wissenschaftler als in jeder anderen Stadt, wenn mich mein Gefühl nicht täuscht – da verbietet sich Kleingeisterei. Denn damit lässt sich Zukunft nicht gewinnen.

Heute ist Potsdam Ostwestmetropole. Mit Spannungen, aber ohne Klassenkampf.

Jung und Alt. Ost und West. Arm und Reich – wenn es eine Stadt gibt, in der der Versuch immer wieder neu gelebt werden muss, zu versöhnen, nicht zu spalten, dann Potsdam. Dann ist es das erhoffte Muster an Modernität. Und das meinte ich mit Tradition in aller Transparenz, vom Alten Fritz über die sozialistische Bezirksstadt bis heute. Heute ist Potsdam Ostwestmetropole. Mit Spannungen, aber ohne Klassenkampf. Das Zusammenleben funktioniert, und zwar weitgehend unaufgeregt. Die Jauchs und Joops werden nicht auf der Straße angesprochen. Ich denke, sie sind dem Potsdamer herzlich egal. So gesehen hat Potsdam schon Klasse.

Das wird umso wichtiger, als diese Stadt wachsen muss. Damit meine ich nicht die Havelspange. Nicht Krampnitz, nicht Golm, nicht Fahrland.

Potsdam muss über sich hinauswachsen. Die Stadt darf sich nicht selbst genug sein. Potsdam ist keine Insel. Potsdam ist eine unvergleichliche kleine Großstadt. Ist Landeshauptstadt. Ist Brandenburg. So weit weg wie gefühlt ist die Prignitz nicht.

Potsdam, das ist die Stadt, in der Maß und Mitte ausgelotet werden können.

Potsdam, das ist aus meiner Sicht die Stadt, in der Maß und Mitte ausgelotet werden können. Eine Modellstadt sozialverträglichen Miteinanders. Eine Mittelstadt als großes Modell dafür, wie Brüche produktiv aufgearbeitet werden, zwischen Mercure-Hotel und DDR-Kunst im Palais Barberini.

Und das kann gelingen. Der Rundblick vom Mercure zeigt es: eine barocke Stadt von der Grundstruktur mit außerdem unverkennbarer sozialistischer Baukultur. Aber Ulbricht ist überwunden. Auch der.

Wenn Sie gedacht haben sollten, da kommt einer aus B und weiß alles besser – also das ist eine, ist meine Berliner Perspektive: Dort S-Bahn-Chaos – hier neue XL-Straßenbahnen mit Taktverdichtung. In 40-Meter-Trams alle fünf Minuten in Potsdams Norden. Wobei das mit den Bussen, aber nur am Rande, noch besser laufen kann. Dort überforderte Bürgerämter – hier auf die Minute funktionierende Online-Terminvergabe samt pünktlichem Rundum-Service ohne Wartezeit. Dort marode Schulen – hier sind nahezu alle Schulen saniert, es werden zahlreiche neu gebaut. Und auch Kitas.

Nennen wir es die Potsdamer Dimension: Quantität mit Qualität versöhnen.

Potsdam ist wie dafür gemacht: für den Aufbruch. Wenn doch Berlin mit sich selbst beschäftigt ist, liegt darin die Chance: von hier aus das Wachsen, auch Zusammenwachsen, der Region zu gestalten. Gestalten, nicht erleiden!

Es geht dabei nicht um uferloses Wachstum. Wenn in Berlin 27 000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden müssten, es aber nur 8000 sind – wie viel schafft Potsdam? Die Grenzen des Wachstums müssen diskutiert werden. Die Grenzen hier und die Grenzen zu Berlin.

Nennen wir es die Potsdamer Dimension: Quantität mit Qualität versöhnen. Nicht gigantomanisch planen, sondern der Zukunft zugewandt gestalten. Nicht barockisierend, sondern modern. In der Politik wie in der Architektur. Eingedenk der Verlustgefühle. Nicht nur für die mit gut gefülltem Portemonnaie. Oder für die Touristen. Die aus – Berlin.

Aber da ist mir nicht bange.

Die Stadt ist aus ihrer Historie heraus erstaunlich offen gegenüber Leuten, die hierherkommen.

Das liegt auch an den Eigenschaften der Potsdamer, wie ich sie sehe: Ausgestattet mit einem unverkrampften Verhältnis zu Autoritäten jeder Art, sind sie nicht leicht zu beeindrucken, eigenwillig und debattierlustig.

Es ist kein Widerspruch zum roten Potsdam von einst: Die Stadt ist aus ihrer Historie heraus erstaunlich offen gegenüber Leuten, die hierherkommen. Gegenüber, sagen wir, Jann Jakobs. Ganze zwölf Jahre nach der politischen Wende ist er Oberbürgermeister geworden. OB! Oh, ein Besser-Macher! Ein Ostfriese aus West-Berlin. Und das nach dem Urpotsdamer Matthias Platzeck. Es geht, und es geht gut.

Ja, Potsdam ist offen.

Selbst mir gegenüber.

Vielen Dank!

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