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Welcher Beruf ist der richtige? Darüber diskutierten Schüler der 12. Klasse der Potsdamer Sportschule mit den Senioren Otto Brust (84) und Erna Ramlow (79). Regelmäßig treffen sie sich in der Schule zum Gedankenaustausch über sie bewegende Fragen.

© Andreas Klaer

Von Antje Horn-Conrad: Die Dinge des Lebens

Was Alte und Junge voneinander lernen können. Ein Generationenprojekt in der Sportschule

Sie war 15, als sie die Schule verließ. Acht Klassen – mehr war nicht drin für das Umsiedlerkind, mittellos und verwaist. Keine Chance auf einen Mittelschulplatz, und auch an eine Berufsausbildung war 1944 nicht zu denken. Erna Ramlow, heute 79 Jahr alt, erzählt dies ohne Bitterkeit, und doch spricht aus ihrer Geschichte die Verzweiflung des einstigen Kindes, das Klassenbeste war und nicht lernen durfte.

Die ihr zuhören, haben andere Sorgen: Soll ich nach dem Abi studieren, einen Beruf lernen oder doch erst mal ein Jahr ins Ausland gehen? Und kann ich mit dem Studienfach, das mir gefällt, später auch einen Job finden und Geld verdienen? „Es gibt so viele Möglichkeiten, wie soll man sich da richtig entscheiden“, sagt die 18-jährige Elina.

Sie gehört zu einer kleinen Gruppe von Zwölftklässlern der Potsdamer Sportschule, die sich im Politikunterricht auf ein besonderes Projekt eingelassen haben. Alle zwei Wochen treffen sie sich mit zwei Senioren, um über die Dinge des Lebens zu reden, über Freundschaft und Liebe, Familie und Arbeit, darüber, wie sich schwierige Situationen durchstehen und wichtige Entscheidungen treffen lassen, zum Beispiel die der Berufswahl.

Sicher könnten die Schüler all das auch mit ihren Großeltern besprechen. „Darum aber geht es nicht“, sagt die Initiatorin des Projekts, Barbara Thoß. Die ehemalige Geschichtslehrerin, die sich von der Robert-Bosch-Stiftung und der Akademie 2. Lebenshälfte zum Senior-Coach ausbilden ließ, möchte, dass hier ethische Probleme diskutiert und bewusst die gesellschaftlich geprägten Generationenerfahrungen ausgetauscht werden. Ganz ohne Zeigefinger, dafür aber mit beiderseitigem Erkenntnisgewinn.

„Als wir einmal über den Sinn des Lebens sprachen und uns fragten, wie das bei Gewaltverbrechern sei, hat mich das wochenlang beschäftigt“, erzählt der 84-jährige Otto Brust. Er freut sich auf jede Begegnung mit den Jugendlichen, weil sie ihn zum Nachdenken bringen, weil sie ihn, ohne es zu wissen, herausfordern, sein Leben kritisch zu befragen und zu prüfen, wie er selbst den eigenen Kindern gegenüber trat.

Einander tatsächlich zuhören, sich in die Lage des anderen hineinversetzen, Empathie entwickeln und wirklich verstehen – das sind die großen Leistungen dieses scheinbar kleinen Projekts, das von der Bereitschaft aller lebt, die eigenen Gedanken, Zweifel und Fragen offen zu legen. Weder jugendliche Überheblichkeit noch altersstarres Besserwissen stören die Kommunikation. Vielmehr scheinen die Schüler wie die Senioren zu spüren, dass sie in den existenziellen Grundfragen ganz nahe zueinander finden.

„Was ist denn ein guter Beruf?“, fragt der 18-jährige Dustin in die Runde. „Einer, mit dem ich viel Geld verdiene? Das ist doch sinnlos.“ Otto Brust pflichtet ihm bei. Was hätte er darum gegeben, Bäcker zu werden. Stattdessen musste er schon als Zehnjähriger zum Bauern aufs Land. Und dann setzten Kriegsdienst und Gefangenschaft seinem Jugendtraum ein Ende.

Dass Dustin nach dem Abitur hinaus in die Welt, vielleicht bis nach Australien will, kann er nur zu gut verstehen. Andererseits spürt er den enormen Druck, unter dem sich die Schüler heute beruflich entscheiden müssen: festlegen und doch flexibel bleiben, sich selbst verwirklichen, aber auch Geld verdienen. Schon deshalb würde er den Jungen keine Vorschriften machen. Das hat er auch bei seinen eigenen Kindern nicht getan.

Viel mehr als an guten Ratschlägen sind die Schüler ohnehin an den konkreten Lebenserfahrungen der Senioren interessiert. Wenn Erna Ramlow erzählt, wie sie sofort nach dem Krieg alle neuen Möglichkeiten nutzte, sich zu bilden, ihr Abitur nachholte und an der Potsdamer Landeshochschule Pädagogik studierte, dann sagt das viel mehr über das Glück des Lernens als jeder Vortrag über Zielstrebigkeit und Leistungsmotivation. Lisa, die neben ihr sitzt, hört aufmerksam zu. Sie selbst quält sich derzeit, die richtige Studienwahl zu treffen. Eigentlich interessiert sie sich für Geschichte. Um später bessere Arbeitschancen zu haben, wurde ihr in der Berufsberatung empfohlen, zusätzlich Betriebswirtschaftslehre zu wählen. Lisa schüttelt den Kopf. „Heute wollen immer alle viel Geld verdienen, früher war der Drang zu lernen wichtiger“, sagt sie unzufrieden.

Niemand in der Runde wird ihr diese Unzufriedenheit nehmen können. Aus den Lebensgeschichten der Älteren aber weiß die junge Frau, dass sich daraus Kraft schöpfen lässt.

Antje Horn-Conrad

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