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Bildung und innere Sicherheit. Das sind die Themen, die Erstwähler Steven Frohnau am wichtigsten sind. Laut Wahl-O-Mat wird er am 24. September eins seiner Kreuze für die Grünen setzen.

© Manfred Thomas

Erstwähler in Potsdam: Die Chance nutzen, etwas zu verändern

Steven Frohnau geht es in der Politik nicht um Parteien, sondern um Inhalte. Am 24. September wählt der 19-jährige Potsdamer zum ersten Mal.

Von Valerie Barsig

Potsdam - Die Grünen. Ausgerechnet! Gerade noch hat Steven Frohnau gesagt, gerade diese Partei würde er nie wählen. Dann hat er sich darauf eingelassen, spontan den Wahl-O-Mat auszuprobieren. Ergebnis: Bündnis 90/Die Grünen sind seine favorisierte Partei. Gleich dahinter: Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz, die er spaßeshalber mit in die Auswahl genommen hat. Der 19-Jährige muss lachen. „Das konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen“, sagt er. Jetzt, so überlegt er, könnte er sich mal das Wahlprogramm der Partei näher ansehen. Frohnau ist Azubi im Gesundheitswesen. Viele seiner Freunde machen gerade ihr Abitur.

Frohnau sitzt auf einem der gemütlichen Ledersofas im Jugendclub 91. Hier ist er häufig zu Besuch. Die zwei für ihn wichtigsten Themen vor der Wahl seien innere Sicherheit und Bildung, sagt er. Dass ein Abitur aus Brandenburg so wertgeschätzt wird wie eins aus Baden-Württemberg, das ist ihm wichtig. Und, dass er keine Angst vor Terror haben muss. Wo er am 24. September auf jeden Fall eines seiner Kreuze setzen möchte, weiß er schon genau – Direktkandidatin Manja Schüle (SPD) habe ihn bei einem persönlichen Gespräch überzeugt, sagt er. Aber: „Das perfekte Gesamtpaket wird man nie bekommen.“ Er sei eher an Themen interessiert als an Parteien oder Personen.

Shell Jugendstudie: Politik ja, Parteien nein

Damit reiht sich Frohnau ein in die Ergebnisse der 17. Shell-Jugendstudie von 2015, die besagt, dass Jugendliche zwischen zwölf und 25 Jahren zwar politikinteressiert sind, sich aber von Parteien und Politikern nicht angesprochen fühlen. Ulrich Kohler, Professor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Potsdam sieht die Ergebnisse der Studie mit Skepsis. Denn: „Die Frage ist, ob es sich um eine Entwicklung handelt, die spezifisch Jugendliche betrifft oder die Gesamtgesellschaft“, sagt er. Die Shell-Studie vergleiche nicht zwischen jungen Menschen und Älteren. Das sei aber wichtig, da Wahlbeteiligung und Parteiidentifikation mit zunehmendem Alter steigen, sagt Kohler. Es seien Lebensereignisse, die einen der Politik aussetzen. Das merkt man auch bei Frohnau.

Während er die Fragen des Wahl-O-Mats durchgeht, stellt er fest, dass ihn einige Dinge schlicht noch nicht betreffen. Gerade erst vor einigen Wochen ist er von zu Hause in eine Wohngemeinschaft gezogen – ob es in Deutschland mehr sozialen Wohnungsbau geben sollte, ist eine der Thesen, die er überspringt. „Dazu habe ich einfach keine Meinung“, sagt er. Das Gleiche trifft auf das Thema Diesel zu, denn Frohnau besitzt kein Auto. Auch Thesen zur Rente überspringt er. „Ich weiß nur, dass ich vorsorgen muss.“ Anders sieht es dafür in Sachen Tempolimits auf Autobahnen aus. „Ich bin auf jeden Fall dafür, ich habe im Krankenhaus gearbeitet. Niemand muss mit 250 Kilometer pro Stunde über die Autobahn rasen.“

Meinungsbildung auch ohne Journalisten

Fragt man den jungen Mann, wie er sich über Politik informiert, dann merkt man, dass Zeitung für ihn keine Rolle mehr spielt. Er sieht N24-Nachrichten, diskutiert mit Freunden. „Wenn wir nicht weiterkommen, dann googeln wir.“ Besonders wichtig neben dem sozialen Netzwerk Twitter ist für ihn die Video-Plattform YouTube. Insbesondere Star-YouTuber „LeFloid“, der im vergangenen Jahr das Merkel-Interview führte, ist für Frohnau eine wichtige Informationsquelle. Ob ihm klar sei, dass „LeFloid“ kein Journalist sei? „Ja. Aber ich kann ja trotzdem selbst über meine Meinung entscheiden. Ich nehme die LeFloid-Videos oft als Ausgangspunkt für Diskussionen im Freundeskreis.“ Das aktuelle Video des YouTubers beschäftigt sich mit der Bundestagswahl, „darüber, ob man bei so langweiligen Kandidaten überhaupt eine hat“, wie es in der Beschreibung heißt.

Auch SPD-Direktkandidatin Manja Schüle (SPD) sieht in den YouTubern einen Schlüssel zur Jugend: Es sei zielführender als Werbung von Parteien, wenn einflussreiche Medienschaffende über politische Themen informieren. „Und über das Funktionieren unserer Demokratie“, sagt Schüle. Letzteres ist auch Linda Teuteberg, Direktkandidatin der FDP für den Wahlkreis 61, ein Anliegen. Politische Arbeit auf kommunaler Ebene sei ehrenamtlich. Das sei vielen erstmal gar nicht klar. „Und das hat dann viel mit der Wertschätzung politischer Arbeit zu tun“, sagt Teuteberg. Saskia Ludwig hingegen, Direktkandidatin der CDU, sieht den Schlüssel, um Jugendliche zu erreichen, bei der Jungen Union. „Ganz ehrlich: Junge Menschen lassen sich fast nur von Gleichaltrigen ansprechen und überzeugen“, antwortet sie auf eine PNN-Anfrage.

„Das Wahlrecht sorgt dafür, dass das politische Interesse wächst“

Parteien allerdings spielen bei Frohnau im Freundeskreis eher eine kleine Rolle, sagt er. Von Politikern fühlt er sich ebenfalls nur wenig angesprochen. „Der demografische Wandel zeigt allerdings auch, dass Politiker ja dämlich wären, wenn sie sich nicht auf Ältere konzentrieren würden“, sagt der Azubi. In 20 Jahren sei er ja schließlich auch Teil der Gruppe, die jetzt vielleicht eher angesprochen werde. Deshalb fände er das auch nur halb so schlimm.

Auch deshalb plädiert Sozialwissenschaftler Kohler für das Wahlalter 16 bei Bundestagswahlen. „Das Wahlrecht sorgt dafür, dass das politische Interesse wächst“, sagt er. Das bedeute zwar nicht, dass das Wahlrecht mit einer Wahlbeteiligung einherginge, aber „der Effekt wirkt sich positiv auf das politische Interesse aus“. Das sieht auch Direktkandidatin Annalena Baerbock von den Grünen so. „Warum sollen sich Teenager intensiv mit Wahlprogrammen beschäftigen, wenn sie doch nicht wählen dürfen?“, fragt sie. Sie sieht für die Parteien eine künftige Aufgabe darin, auf die Themenbezogenheit der Jugendlichen zu reagieren. „Darauf sind alle Parteien nicht wirklich eingestellt.“

Eine Lösung dafür hat auch Steven Frohnau nicht parat. Für ihn ist aber völlig klar: Wählen ist wichtig. „Ansonsten habe ich ja nicht das Recht, mich über Politik zu beschweren. Ich muss ja die Chance nutzen, etwas zu verändern.“

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