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Ex-Kiez-Pfarrerin im Potsdamer Schlaatz: Die beste Botschaft der Welt

Ute Pfeiffer war Kiez-Pfarrerin im Potsdamer Schlaatz. Nun hat sie ein Buch geschrieben, das klare Forderungen an die Kirche stellt

Von Sarah Kugler

Potsdam - Pfarrerin Ute Pfeiffer ist bekannt im Weddinger Café „Kleine Mensa“. Nicht nur bei der Besitzerin, die ihr den Latte Macchiato unaufgefordert an den Tisch bringt. Auch Gäste grüßen oder sprechen kurz mit ihr. „Man kennt mich hier im Kiez, ich habe einen großen Teil meines Buches hier im Café geschrieben“, sagt die 57-Jährige. Ihr Buch mit dem Titel „Mein Gott, Kirche! Warum sie wieder für uns da sein muss“ ist im September erschienen. Darin fordert sie von der Kirche vor allem eines: mehr Nähe zu allen Menschen. Unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht.

Pfeiffer selbst lebt dieses Konzept als evangelische Pfarrerin, egal ob im Berliner Wedding, in Berlin-Spandau oder im Potsdamer Stadtteil Schlaatz, in dem sie bis 2015 tätig war – als Kiezpfarrerin. Bei den Schlaatzern war sie beliebt, für viele war sie eine von ihnen. Bei manchen Kirchenleuten stieß ihre Arbeitsweise allerdings auch auf Kritik, insbesondere bei Superintendent Joachim Zehner. Pfeiffer wurde freigestellt (PNN berichteten) – zu einem Zeitpunkt, an dem die Menschen vor Ort die Pfarrerin wohl dringend gebraucht hätten. Ihre Beurlaubung begann wenige Tage, nachdem die Ermordung des verschwundenen sechsjährigen Elias bekannt wurde. „Nicht meinetwegen, aber doch für viele Leute am Schlaatz hätte man diesen Schritt überdenken und verschieben sollen“, sagt Pfeiffer heute. Noch immer ist sie sichtlich gerührt, wenn sie an das Engagement der Schlaatzer denkt, die für ihre Rückkehr mehrfach auf die Straße gingen. Viel mehr möchte sie zu den Ereignissen von vor zwei Jahren nicht sagen. Eine Narbe sei geblieben, doch sie müsse nach vorne blicken.

Aktuell habe sie wieder Aussicht auf eine neue Stelle in Berlin. Spruchreif sei noch nichts, aber sie sei zuversichtlich. „Pfarrerin bin ich auf Lebenszeit, das kann mir niemand nehmen.“ In der Zwischenzeit hat sie ihr Buch über Kirche und Gesellschaft geschrieben, und es gebe bereits Angebote für eine zweite Veröffentlichung. Interesse daran hat Ute Pfeiffer, auch wenn sie noch kein Thema nennen möchte. „Vielleicht schreibe ich etwas über den zornigen Jesus, den finde ich nämlich klasse“, scherzt sie.

Jesus sei ein Mensch gewesen, der ganz nahe an den Menschen und deren Alltagsleben dran war. „Wenn er etwa das Gleichnis vom wiedergefundenen Schaf erzählt, wusste damals sofort jeder, was er meinte“, sagt Pfeiffer. Die Evangelien im Neuen Testament seien auch nicht in klassischem Griechisch, sondern in Umgangssprache geschrieben. Ein Beispiel, dem Pfeiffer – im übertragenen Sinn – bis heute folgt. „Es nutzt nichts, den Leuten mit hochtrabenden theologischen Begriffen zu kommen“, sagt die Pfarrerin, die aus einer nordfriesischen Handwerkerfamilie stammt. „Sie sollen schließlich verstehen, was ich ihnen sagen möchte.“ Auch damit sei sie bei der Kirche schon angeeckt.

Vor allem möchte Pfeiffer aber die Sorgen und Nöte der Menschen verstehen. Besonders derjenigen, die in Kiezen wie dem Schlaatz wohnen – und die mit Kirche vielleicht gar nichts zu tun haben. „Die Kirche muss nach außen hin viel präsenter sein“, betont sie. „Im Stadtteil mit anpacken, das Vertrauen der Leute gewinnen.“ Natürlich sei das Engagement der Kirche etwa in der Flüchtlingshilfe vorbildlich und richtig, aber allzu oft gerieten dabei die bestehenden Sorgen anderer in den Hintergrund. Damit meint sie auch jene, die aus Angst und Frust die rechtspopulistische AfD wählen – nicht, so sagt Pfeiffer, weil sie überzeugte Nazis oder Rechte seien, sondern weil sie sich hilflos fühlten und auf Veränderung hofften. „Oft haben sie das Parteiprogramm gar nicht gelesen, das ärgert mich dann natürlich“, erzählt Pfeiffer. Doch auch wenn es ihr schwer fiele, Pöbeleien gegen Flüchtlinge unkommentiert stehenzulassen: Punktuell tue sie es dennoch. Um die Ängste ihres Gegenüber zu erfahren und darüber ins Gespräch zu kommen. Die Kümmer-Attitüde nütze hier wenig.

Es komme nicht selten vor, dass sie in Begegnungen erstmal überhaupt nicht über Gott oder den Glauben spreche, sondern über ganz alltägliche Dinge. Über Wohnungssuche zum Beispiel oder Familienprobleme. Etwa mit einer alleinerziehenden Mutter, von der Ute Pfeiffer in ihrem Buch erzählt. Sie lernt die Pfarrerin zunächst nur als engagierte Nachbarin kennen und ist ganz verblüfft, als sie von ihrem Beruf erfährt. „Das passiert häufiger, die Menschen haben ganz seltsame Vorstellungen von einer Pfarrerin“, erzählt Pfeiffer. Häufig werde sie etwa gefragt, ob sie nicht heiraten dürfe und enthaltsam leben müsste – alles Punkte, die auf einen evangelischen Pfarrer nicht zutreffen.

Pfeiffer schafft es immer wieder, auch zu Skeptikern Vertrauen aufzubauen. „Ich höre einfach zu“, sagt sie. Irgendwann brächten die Gesprächspartner dann eine Frage nach Gott, Glauben oder Kirche ins Spiel. „Dann spreche ich vom Evangelium“, erklärt Pfeiffer: „Das ist für mich die beste Botschaft der Welt.“ Und die Kirche eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig im Vertrauen auf Gott Halt und Unterstützung geben kann. Aber eben auch nur, wenn sie durch Menschen vertreten wird, die Halt und Unterstützung geben – und wenn sie sich mehr öffnet. Das belegt Pfeiffer in ihrem Buch unter anderem anhand der besagten Mutter, die sich entschließt, ihren Sohn taufen zu lassen und als Paten gute Freunde aussucht, die nicht in der Kirche sind. Laut Kirchengesetz ist das nicht erlaubt. Pfeiffer findet das falsch und plädiert in solchen Fällen für Paten-Eignungstests. Nur so könne es gelingen, dass die Kirche wieder als lebensnah von Menschen erlebt wird.

Pfeiffer beschreibt all ihre Kritikpunkte ohne bösen Ton. Vielmehr äußert sie ein besorgtes Unverständnis. Dass sie manchmal gerne deutlichere Worte wählen würde, wird im Gespräch klar. Doch das gebe nur wieder Ärger, winkt sie ab. Bei aller Bodenständigkeit bleibt Pfeiffer aber einiges absolut heilig, wie sie betont. „Blödsinn am Altar oder Turnschuhe bei der Konfirmation gibt es bei mir nicht.“ Räuber und Gendarmen-Spiele während der Konfirmandenfahrt und ehrliche Gespräche hingegen schon. Egal ob mit Kindern oder Eltern. Und gerne im Café.

– Ute Pfeiffer,

„Mein Gott, Kirche!Warum sie wieder für uns da sein muss“, Ullstein Verlag, 200 Seiten, 18 Euro

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