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Landeshauptstadt: Die Bärenhatz an der Wand

Der Potsdamer Historiker Tobias Büloff hat ein Buch über die Geschichte des Alten Marktes geschrieben – er erzählt darin vor allem von den früheren Bewohnern.

Wie hat es wohl vor fast 200 Jahren ausgesehen in der Wohnung der Familie Persius? Eine alte Inventarliste führt detailliert auf, was im Anwesen Alter Markt 12 in Potsdam im Jahre 1834 vorhanden war. Demnach könnte sich das Familienheim damals ungefähr so präsentiert haben: Bestickte Gardinen hängen an den Fenstern. Eiserne und zinnerne Leuchter in den einzelnen Räumen sorgen für angenehmes Licht. Mehrere sogenannte Stutzuhren stehen auf Kommoden, Tischen und Kaminen. In einem Raum fällt des Betrachters Blick auf ein Pianoforte. Ein Schreibpult und ein Nähtisch sind ebenso vorhanden wie zwei Vogelkäfige, in denen womöglich einige Vögel zwitschern. Das Bildnis eines Kindes sowie das Gemälde einer Bärenhatz geben dem Kunstgeschmack des Hausherrn Ausdruck.

Das Haus Alter Markt 12, in dem sich diese Wohnung befand, gibt es heute nicht mehr. Es stand hinter der Nikolaikirche, ungefähr dort, wo sich jetzt das Freigelände des Staudenhofs erstreckt. In dem gerade erschienenen Buch „Der Alte Markt von Potsdam“ wird die Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner – ebenso wie die Historie anderer früherer und jetziger Gebäude am Alten Markt – aus dem Strom der Geschichte an die Oberfläche geholt. Mit diesem 232 Seiten starken, reich bebilderten Werk ist dem Potsdamer Historiker Tobias Büloff ein lebendiges Panorama vergangener Jahrhunderte gelungen. Keine archivarische Schwere muss der Leser fürchten. Erwarten darf er eine leicht lesbare Reise in die Vergangenheit. Eine Rückschau, die zugleich mit unzähligen Details aus der Stadtgeschichte und dem Leben der einstigen Bewohner am Alten Markt aufwartet.

Eine Fundgrube für Büloff, der hauptberuflich im Kulturamt Potsdams arbeitet, waren die Grundakten im brandenburgischen Landeshauptarchiv. Hier fanden sich zu den einzelnen Grundstücken wertvolle Informationen, zum Beispiel aus Testamenten. Im Potsdamer Stadtarchiv sah der Historiker zudem die Bauakten der betreffenden Gebäude ein. Er habe bei seinen Recherchen mehr Material vorgefunden als zuvor von ihm vermutet, sagt Büloff. Es sei sogar so viel Schriftgut aus vergangenen Zeiten vorhanden, dass er bei seiner Recherche gar nicht alles komplett ausgewertet habe. Auch die Forschungen von Hans Kania, jenem bekannten Stadthistoriker aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hat Büloff genutzt.

In dem neuen Werk stehen die Menschen im Vordergrund. „Überrascht hat mich, dass man sehr gut die Bewohnerstruktur rekonstruieren kann“, sagt Büloff. Den familiären Höhen und Tiefen, dem Treiben der Händler und Handwerker in den Häusern spürt der Autor nach. Eine Architekturgeschichte des Alten Marktes ist das Buch hingegen eher weniger. Aber das, so Büloff, soll es auch gar nicht sein. Dennoch bekommt der Leser durchaus eine Menge an Informationen über die Gebäude und ihre Entstehung. Verdienstvoll ist, dass sich der Historiker auch in Wort und Bild mit den italienischen Vorbildern mehrerer Häuser in der Humboldtstraße befasst. Etwas zweifelhaft erscheint hingegen der Hinweis Büloffs, das vor wenigen Jahren errichtete Gebäude in der Humboldtstraße 1/2 – also das erste Haus von der Langen Brücke aus gesehen – nehme die Kubatur des früheren Palasthotels auf. Hatte man sich doch bei den Plänen für die Neubebauung an der Alten Fahrt dafür entschieden, den wilhelminischen Protzbau als Vorbild gewissermaßen an die Leine zu legen. Das heute dort stehende Haus wurde im Vergleich zum früheren Hotel mehrere Meter von der Straßenfront zurückgesetzt. Und es sollte etwas zierlicher ausfallen als der Vorgängerbau.

Der Alte Markt war über Jahrhunderte so etwas wie das Wohnzimmer Potsdams. Heute ist er es in den Augen vieler Menschen wohl wieder. Jedenfalls gebührt ihm große Aufmerksamkeit. Das prominenteste Gebäude am Platze ist sicherlich der Landtag in der nachgebauten Schlosshülle. Bereits im Vorwort lässt Büloff den Leser jedoch wissen, dass er die Geschichte dieses Baus in seinem Buch nicht ausführlich betrachtet, da es hierzu bereits genügend Literatur gebe.

Die Geschichte der übrigen Häuser ist überdies spannend genug. So berichtet Büloff von dem umfassenden Verschönerungsplan Friedrichs des Großen, der ab 1750 in die Tat umgesetzt wurde. Büloff zitiert den preußischen Oberhofbaurat Heinrich Ludwig Manger mit seiner „Baugeschichte von Potsdam“. Demnach ließ Friedrich II. über mehrere Jahre hinweg stets im März einzelne Häuser abreißen. Im Oktober desselben Jahres mussten die jeweiligen Neubauten bezugsfertig sein. „Die zentralen Eckgrundstücke am Alten Markt wurden mit Nachbildungen von Palästen nach Originalentwürfen von Palladio neu bebaut“, schreibt Büloff. Im Laufe der Regierungszeit Friedrichs folgten immer weitere Neubauten, so auch der Palast Barberini. So edel die Fassaden auch sein mochten, hier wie anderswo in Potsdam erstreckten sich dahinter oftmals niedrige Geschosse, die mit der Schauseite der Häuser herzlich wenig harmonierten. Auch auf diesen Umstand und die damit einhergehende „Missachtung der Wohnbedürfnisse“ geht der Autor ein.

Das Kolorit dieses Platzes wird bei Büloff jedoch vor allem in den von ihm ausgegrabenen Lebensgeschichten der Anwohner und Gewerbetreibenden deutlich, denen er in seinem Buch breiten Raum gibt. So erfährt der Leser zum Beispiel über die Familie Persius aus dem Haus Alter Markt 12, dass der Kaufmann Christian Friedrich Persius das Anwesen im Jahre 1781 erwarb und im Erdgeschoss eine Weinhandlung einrichtete. 1795 zerstörte der Brand der benachbarten Nikolaikirche auch das Haus der Familie Persius. Das Anwesen wurde, so Büloffs Recherche, „den Bauvorstellungen der Zeit entsprechend, klassizistisch zurückhaltend wieder aufgebaut“. In der Zeit der napoleonischen Besatzung verliebte sich des Weinhändlers Tochter Friederike in einen französischen Beamten, der sie dann auch ehelichte. 1811 starb Friederikes Vater. Friedrich Persius junior übernahm die Weinhandlung mit nur 16 Jahren. Doch das Geschäft ging mit der Zeit nicht mehr gut. Bruder Ludwig, der späterere preußische Architekt, „musste derweil um seine Ausbildung bangen“, schreibt Büloff. Denn Friedrich Persius, der in so jungen Jahren die Weinhandlung übernommen hatte, verjubelte offenbar das Erbe des Vaters und kümmerte sich wohl nur wenig um das Geschäft. Doch Ludwig Persius bekam dennoch seine Ausbildung und wurde später berühmt.

Tobias Büloff: Der Alte Markt von Potsdam, 232 Seiten, 164 Abbildungen, Hardcover, Format: 21,0 x 22,5 cm. Verlag für Berlin-Brandenburg: ISBN 978-3-945256-85-5, 25 Euro.

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