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Landeshauptstadt: Die Babelsberger Zwangshochzeit

Vor 70 Jahren wurde Babelsberg nach Potsdam eingemeindet und feiert nun die „Gnadenhochzeit“

Wenn es ein Ehepaar auf 70 gemeinsame Jahre bringt, dann darf es die Gnadenhochzeit feiern als Ausdruck eines langen und wohl auch erfüllten Lebens. Als die Babelsberger am Mittwochabend – gewissermaßen am Polterabend ihrer Gnadenhochzeit mit Potsdam – im ehemaligen Rathaus und jetzigen Kulturhaus, zusammenkamen, da hatte das Wort jedoch auch einen etwas unangenehmen Beigeschmack. Denn freiwillig waren die Babelsberger am 1. April 1939 nicht zu den Potsdamern gestoßen. Wie sich der Stadtverordnete und Ur-Babelsberger Helmut Przybilski (SPD) erinnerte, sei er „bis 1945 bewusst nur dreimal nach Potsdam gefahren“. Wenn er etwas erleben oder einkaufen wollte, habe er Berlin besucht.

Die Einigung wurde 1939 von oben verordnet, nachdem der damalige Potsdamer Oberbürgermeister Generalmajor Hans Friedrichs nicht nur erfolgreich einer Angliederung Babelsbergs an Berlin entgegengewirkt hatte, sondern auch seine Großstadtträume durch die Verbindung von Potsdam und Babelsberg verwirklichen konnte. Denn durch die Eingemeindung der knapp 30 000 Babelsberger durfte sich Potsdam fortan mit über 100 000 Einwohnern Großstadt nennen. Ein Jahr zuvor hatten sich bereits Nowawes, Neuendorf und die Villenkolonie Babelsberg vereinigt und das war weitgehend als demokratischer Prozess geschehen. Auf dem Namen Babelsberg hatten allerdings die Nazis bestanden, denen Nowawes zu slawisch und nach arme Leute klang. Danach wäre Babelsberg lieber selbstständig geblieben. Mit der Garnison- und Verwaltungsstadt Potsdam schien die Industriestadt mit dem Lokomotiv- und Waggonbau Orenstein & Koppel, der Konservenfabrik, der Schallplattenproduktion, Pharmazeutischen Werken und Webereien wenig gemein zu haben. Das alles und noch einiges mehr erläuterten Dr. Almuth Püschel und Prof. Ulrich Schnell vom Förderverein Böhmisches Dorf, Nowawes und Neuendorf e. V. am Abend vor dem Gnadenhochzeitstag. Sie machten klar, dass die Braut eine beachtliche Aussteuer an Fabriken und Werkstätten, einen inzwischen gut ausgebildeten Mittelstand und als Strahlkraft nach außen die Ufa-Filmstudios mit in die Ehe brachte. Przybilski hatte deshalb sofort die Lacher auf seiner Seite, als er behauptete: „Ohne Babelsberg wäre Potsdam von minderer Bedeutung.“ Denn noch heute sind die Babelsberger stolz darauf Babelsberger zu sein und das bestätigten für viele andere die beiden Damen Doris und Ruth, die nach zeitweiligem Abtriften ins Potsdamer Terrain nach Babelsberg zurückgezogen sind: „Hier sind wir aufgewachsen, hatten eine glückliche Kindheit und alles ist irgendwie intimer in Babelsberg, familiärer.“ Natürlich fehlte auch der Verweis auf den schönen Babelsberger Park nicht.

Welche große Anziehungskraft Babelsberg auch nach der Wende hat, zeigt nicht zuletzt die Entwicklung im Sanierungsgebiet. Dort ist die Einwohnerzahl in den letzten 10 Jahren um 50 Prozent auf 9 000 angestiegen. Die Gebäude sind zu 85 Prozent saniert, die Straßen zu 70 Prozent. „Alle wichtigen Verkehrsachsen und Plätze haben wir aber schon gemacht“, sagt dazu Stadtkontor-Sanierungsträgerchef, Rainer Baatz. In vier Neuansiedlungsgebieten entsteht Wohnraum speziell für Familien mit Kindern. Für das Gebäude der Alten Brauerei gab es gerade den Startschuss zum Wohnhaus-Ausbau. Filmstudios und Filmpark sind auf dem Weg zu internationaler Bekanntheit. Und auch das Alte Rathaus als Kulturhaus bekommt aus dem Konjunkturpaket II eine Finanzspritze von 1,2 Millionen Euro. Darauf verwies der Oberbürgermeister als Gast des Abends. Mit dem Geld kann ein Fahrstuhl eingebaut, der Brandschutz garantiert und ungenutzte Fläche reaktiviert werden. Mit Potsdam hat man sich zudem ausgesöhnt. Noch einmal Przybilski: „Wir müssen nicht mehr nach Berlin fahren. Potsdam hat inzwischen ein gutes kulturelles Angebot.“ H. Dittfeld

H. Dittfeld

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