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„Diese Gegend will uns tot sehen“. Der Brite John Franklin machte sich 1846 mit zwei Schiffen auf die Suche nach der legendären Nordwestpassage.

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Neu bei Amazon Prime: Der weiße Schrecken als TV-Serie

„The Terror“ erzählt die Geschichte einer katastrophalen Polarexpedition. Auf Effekthascherei wird verzichtet, der Überlebenskampf der Schiffsbesatzung ist ohnehin dramatisch genug.

Manchmal, zugegeben sehr selten, dann aber umso sehnsüchtiger, wünscht man sich die Vergangenheit zurück. Im Herbst 1846 zum Beispiel hatte der Klimawandel die legendäre Nordwestpassage noch nicht enteist, weshalb Winter weltweit richtige Winter waren, Sommer echte Sommer und die Überlebenschancen der Menschheit auf dickerem Eis gebaut als das, was heutzutage den kanadisch-arktischen Archipel bedeckt. Wer sich seinerzeit jedoch jenes hausgemachte Tauwetter gewünscht hätte, das die Pole jetzt unaufhaltsam zum Schmelzen bringt, war die Besatzung eines Schiffs, dessen Name damals noch nicht für Islamisten, sondern Entdeckergeist stand.

Terror. So hieß einer der beiden Zweimaster, auf denen die Exkursion des Polarforschers John Franklin vor 172 Jahren im Auftrag seiner Majestät den Pazifik durchs Packeis erreichen sollte. Seit Christoph Columbus war die Abkürzung der Handelsroute Richtung Asien ein europäischer Traum. Für die Besatzungen der HMS Erebus und Terror hingegen wurde er zum Albtraum. Der war zwar schon öfter Inhalt dokumentarischer und literarischer Werke; nun aber wird die berühmte Franklin-Expedition zum Stoff einer fiktionalen TV-Serie. Und auch wenn dessen Ausgang bekannt sein dürfte: Spannender, intelligenter und unterhaltsamer kann man den Hergang dieser nautischen Katastrophe kaum erzählen.

Im Mittelpunkt der zehnstündigen Adaption von Dan Simmons’ Tatsachenroman „The Terror“ steht dessen Kapitän Francis Crozier. Mit reduzierter Virtuosität macht der Shakespeare-Virtuose Jared Harris („The Crown“) daraus das grüblerische Gegenstück zum Schwesterschiffkommandeur James Fitzjames, dem Tobias Menzies („Game of Thrones“) einen betriebsblinden Optimismus verleiht, der nur vom Franklin (Ciarán Hinds) noch übertroffen wird. Croziers Warnungen vor einem zweiten gnadenlos strengen Polarwinter werden in den eiskalten Wind geschlagen. Wie David Kajganich und Soo Hugh dieses Gefälle zwischen den Protagonisten inszenieren, das ist mindestens zwei Seewölfe, drei Schatzinseln und vier Meutereien auf der Bounty vom üblichen Abenteuermetier entfernt.

Allenfalls unterlegt vom bedrohlichen Geräuschteppich synthetisch verstärkter Naturgeräusche, verbietet Produzent Ridley Scott sich und seinem Team nämlich alle Effekthascherei. Zur Eindrucksverstärkung bedarf der Überlebenskampf in so lebensfeindlicher Umgebung schließlich weder Geigenteppiche noch Gewaltorgien geschweige denn telegene Filmgesichter. Und dass bis auf einige Rückblenden in den forscherverrückten Adel des 19. Jahrhundertes auch keine Frauen im Cast nötig sind, ist eher der Epoche als Geschlechterklischees geschuldet. Zum Männerformat macht es den Zehnteiler nicht. Im Gegenteil.

Bluttriefende Szenen gibt es nur gelegentlich

Die Erbarmungslosigkeit von klirrender Kälte über ewige Dunkelheit bis hin zur Enge an Bord wird im Auftrag des US-Kabelkanals AMC selten dramatischer dargestellt als es die Umstände erfordern. Wenn 134 Männern im ewigen Dämmerlicht des arktischen Winters acht Monate nur bleiverseuchter Dosenfraß und die Ödnis totaler Untätigkeit vorgesetzt wird, sind Konflikte zwar unausweichlich; es ist allerdings das Verdienst der Showrunner, daraus keinen Actionthriller zu machen. Die Sitten an Bord bleiben abzüglich einiger Ausbrüche selbst dann sehr britisch, wenn die Besatzung auf unerklärliche Weise dezimiert oder die schwule Frohnatur Cornelius Hickey (Adam Nagaitis) für einen Anflug von Renitenz ausgepeitscht wird.

Im Zentrum der 600 Minuten steht daher trotz drastischer, gelegentlich bluttriefender Szenen kein Horrorkabinett klaustrophobischer Exzesse, sondern die Frage: Warum dringt der Mensch notorisch dorthin vor, wo er nicht hingehört? Und was macht dieser Mensch daraus, sich dessen bewusst zu werden? Eine Antwort von „The Terror“ ist das feine Austarieren von Humanität und Barbarei im Angesicht einer Natur, in der die vermeintliche Krone der Schöpfung bis zur Unkenntlichkeit schrumpft.

Die Kamera fängt das besonders dann imposant ein, wenn sie himmelwärts fährt und Mensch samt Material im gleißenden Weiß des ewigen Eises verschwinden lässt. „Diese Gegend will uns tot sehen“, sagt Kapitän Francis früh und dringt auf Umkehr, wofür ihm Kollege Fitzjames verächtlich vorwirft, „er verachtet den Ruhm, sogar den Ruhm eines guten Puddings“. Dass beide Recht haben, wird am Ende dieser herausragenden Serie furchtbar egal sein.

„The Terror“, Amazon Prime Video, zehn Folgen, immer montags

Jan Freitag

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