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Gibt es ein Leben nach dem Tod? Der Potsdamer Pfarrer Wilhelm Stintzing hatte sich viel mit philosophischen Fragen beschäftigt. Er ist am Montag vergangener Woche gestorben.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Der Versöhnung verpflichtet

Wilhelm Stintzing war Potsdams wichtigster Zeitzeuge des sogenannten Tags von Potsdam. Am Donnerstag wurde er auf dem Bornstedter Friedhof beigesetzt

Ihm wurde die große Gnade zuteil, ein volles Jahrhundert erleben zu dürfen. Und dies trotz all der Wirrnisse, die das 20. Jahrhundert für Menschen wie ihn bereithielt. „Unsere Generation ist im Grunde genommen immer hin- und hergeworfen worden“, resümierte Wilhelm Stintzing erst kürzlich. Am Montag vergangener Woche verstarb der Pfarrer und Potsdam-Zeitzeuge im Alter von 100 Jahren. Am gestrigen Donnerstag wurde er auf dem Bornstedter Friedhof beigesetzt.

Noch im vergangenen Sommer, wenige Wochen nach seinem 100. Geburtstag, gab Stintzing, der als 18-Jähriger den sogenannten Tag von Potsdam miterlebte, in einem langen Interview auf Deutschlandradio Kultur Auskunft über sein Leben. Danach gefragt, wie er mit dem Gedanken an den Tode umgehe, antwortete der einstige Pfarrer: Immer wenn er sich in der letzten Zeit nicht wohlgefühlt habe, dann habe er sich gesagt: „Ob du morgen noch erlebst, das müssen wir mal sehen.“ Und weiter: „Ich würde nichts dagegen haben, wenn ich morgen früh aufwache und feststelle, dass ich nicht mehr existiere.“

Was erwartete er, der protestantische Geistliche, von der Zeit nach dem Tod? Auch dies fragte ihn der Moderator. Stintzing nahm sich Zeit mit seiner Antwort, hielt einen ziemlich langen Moment inne, bevor er begann, seine Gedanken zu diesem komplexen Thema auszubreiten. Er kam darauf zu sprechen, wie unbegreiflich die Weiten des Kosmos für uns Menschen seien. Wie es nach dem Tod weitergehe, könne im Grunde niemand beantworten. In einem Gespräch kurz vor seinem 100. Geburtstag sagte der Theologe, ein Ausdeuten dieser allerletzten Dinge sei uns Menschen nicht möglich. Das Nachdenken über solche Fragen habe ihn damals in seinen Beruf als Pfarrer geführt. Bis zuletzt hatte er sich mit dem Thema auseinandergesetzt.

Stintzing habe sich immer wieder mit dem Verhältnis zwischen Glaube und Naturwissenschaften beschäftigt, im Kreise der Familie sei dies durchaus ein Thema gewesen, sagte Pfarrer Jürgen Schwochow in seiner Trauerpredigt in der Bornstedter Kirche, deren Bankreihen, abgesehen von den Emporen, nahezu voll besetzt waren. Auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) befand sich unter den Trauergästen.

Stintzing, der 1914 in Omaruru in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika geboren wurde und im Alter von knapp fünf Jahren mit seiner Familie Afrika kriegsbedingt verlassen musste, hatte an seine frühe Kinderzeit in Afrika auch fast 100 Jahre später noch immer gute Erinnerungen, von denen er einem bisweilen erzählte, wenn man ihn danach fragte. Schwochow erwähnte in seiner Trauerpredigt das Sternenfunkeln in der namibischen Wüste, das Stintzing zeitlebens nicht vergessen habe. „Die Zeit ist mir noch sehr lebendig“, meinte Stintzing kurz vor seinem 100. Geburtstag am 28. Juni, zu dem ihm die Auferstehungsgemeinde in der Martin-Luther-Kapelle an der Heinrich-Mann-Allee einen Geburtstagsempfang ausrichtete. In dieser Gemeinde war Stintzing Pfarrer, bis er 1979 in den Ruhestand trat. Zuvor hatte Stintzing eine Pfarrstelle in Groß Glienicke bekleidet. Auch als Kreisjugendpfarrer und Studentenpfarrer war der Theologe tätig gewesen.

Als Zeitzeuge wurde der Altpfarrer besonders in den letzten Jahren immer wieder angefragt. Intensiv beschäftigte er sich mit dem umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche, dem Gotteshaus, in dem er einst konfirmiert wurde. Der Theologe plädierte dafür, den Turm der Kirche wiederaufzubauen. Die Wiedererrichtung des Kirchenschiffes hielt er hingegen für verzichtbar.

Als am 21. März 1933 aus Anlass der Konstituierung des neuen Reichstags in der Potsdamer Garnisonkirche der berühmt-berüchtigte Festakt zelebriert wurde, an dessen Ende sich Hitler und Hindenburg die Hände schüttelten, war Stintzing unter den unzähligen Schaulustigen in den Straßen rund um die Garnisonkirche. Aus Anlass der 80. Wiederkehr dieses Datums berichtete er im vergangenen Jahr in der Kapelle der Garnisonkirche von seinen Erinnerungen an diesen Tag. Aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts heraus war für Stintzing auch der Versöhnungsgedanke immer wieder wichtig. „Versöhnung nach vorne für unsere Kinder“, wie er einmal sagte. Eine solche Versöhnungsarbeit wünschte er sich für die Garnisonkirche.

In dem Gespräch bei Deutschlandradio Kultur nach einem Rezept fürs Altwerden gefragt, antwortete der Theologe mit einer Lebensweisheit. Er formulierte sie so: „Menschen, die hauptsächlich an sich selber denken – jetzt sage ich was ganz Hartes –, die leiden darunter. Wer sich nicht um andere kümmert, der verkümmert selber.“ Er selbst habe ein wunderbares Leben gehabt. „Hochinteressant. Nicht immer einfach.“

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