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Vergangenheitsbewältigung. Die rot-rote Koalition hat in Brandenburg eine rege Debatte um die DDR-Vergangenheit ausgelöst.

© dapd

Homepage: „Das war reine Personalwäsche“

Der ehemalige Uni-Dezernent Frank-Rüdiger Halt über den Umgang mit Stasi-Belastungen in den 90er Jahren an der Universität Potsdam. Er spricht von einem Auffangbecken für hochbelastetes Personal

Herr Halt, Sie fordern DDR-Aufarbeitung an der Universität Potsdam. Es geht in erster Linie um Stasi-Verstrickungen von Mitarbeitern. Ist das an der Uni heute überhaupt noch ein Thema?

Es ist und war eben kein Thema dort. Und das ist gerade das Problem. Ich habe damals, Mitte der 90er Jahre, mehrere Aufarbeitungsinitiativen gegründet. Wir kritisieren heute noch den damaligen Bericht der Universität.

Inwiefern?

Das war eine Art „Weißwaschanlage“, der Bericht wurde mehrfach geändert. Er verschwieg, wie viele der Mitarbeiter in der DDR-Zeit Kontakte mit dem MfS hatten oder gar Funktionäre waren, wie vielen von denen gekündigt worden ist und nach welchen Kriterien vorgegangen wurde und welche Personen darüber entschieden.

Mit Verlaub, wieso sollte es nach der Wende an einer neu gegründeten Hochschule so eine Haltung gegeben haben?

Im harmlosen Fall war das nur billiger Opportunismus der Karriere zuliebe. Das betraf leider viele aus dem Westen gekommene Uni-Mitglieder, die IM-Tätigkeiten zu DDR-Zeiten als Kavaliersdelikt sahen. Wir haben damals viele Kollegen darauf angesprochen, als Antwort bekamen wir, dass man nicht angetreten sei, um demokratische Strukturen zu schaffen, sondern um eine Hochschule aufzubauen. Eine Stasi-Überprüfung der Mitarbeiter wäre nicht der Auftrag. Dagegen habe ich mich als Demokratieverfechter verwahrt. Die Universitätsleitung allerdings setzte damals auf Loyalität gegenüber den Altkadern, um ihre Position zu festigen. Saßen doch im ersten Rektorat gleich zwei Stasispitzel und ein einschlägiger DDR-Günstling mit besten Kontakten ins Honecker-Ministerium.

Der zweite Rektor, Wolfgang Loschelder, verweist heute darauf, dass es damals eine Stasi-Überprüfung aller Mitarbeiter gab.

Die allgemeine MfS-Überprüfung wurde mutmaßlich vorsätzlich bis Mitte 1994 verschleppt – unter ungeklärten Umständen. Wichtige Kündigungsfristen für den Mittelbau wurden versäumt und zahlreiche leicht angreifbare Kündigungen ausgesprochen ganz im Sinne des „Brandenburger Weges“ alle mitzunehmen in Stolpes „kleiner DDR“. Die Überprüfung, begonnen Anfang 1991, war reine Personalwäsche in Eigenregie mit dem Resultat, dass so gut wie alle maßgeblichen Systemträger der Pädagogischen Hochschule erhalten blieben und zielgerichtet die Schlüsselpositionen der Uni besetzten, wie nach einem Generalstabsplan.

Können Sie das denn beweisen?

Genau das beweist eine von mir erstellte Dokumentation. Es blieben: die Kampfgruppenkommandeure, Sekretäre von Partei und FdJ, Kaderleiter, Direktoren für Studienangelegenheiten, Verwaltung, der Sektionsdirektor für Marxismus-Leninismus (ML), viele Sektionsdirektoren und Stellvertreter, ein Dutzend ML-Mitarbeiter, rund 50 Hauptamtliche MfS-ler der Stasihochschule und rund 100 informelle Mitarbeiter. Dazu gesellten sich die politischen Schwergewichte aus weiteren Kaderschmieden der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften, Akademie der Wissenschaften und über Hundert aus der Elitewerkstatt der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften. Sie wurden keineswegs kaltgestellt wie die Kritiker sondern verblieben vielfach auf den alten Chefsesseln oder setzten ihre Karriere weiter fort unter Schweigen und Unterstützung der sogenannten Westhelfer.

Es gab Westdeutsche, die dem nicht kritisch gegenüber standen?

Die waren das Hauptproblem. Zum Teil waren die einfach naiv, zum Teil hatten die aber auch ein schlechtes Gewissen, weil sie im Westen den sozialistischen Staat als Linke oder 68er immer rosarot gesehen hatten. Das ist ein heikler Punkt: Die Ost-West-Seilschaften, die gut aus den Parteiarchiven nachweisbar sind.

Es gab damals aber auch kritische Stimmen.

Eine Handvoll kritischer Westprofessoren ist bald wieder verschwunden, nach der demokratiefeindlichen Erkenntnis: Wer Kritik übt, bekommt Schwierigkeiten. Meine Dokumentation listet viele weitere dieser Fälle auf, die ein erschreckendes Bild über den damaligen geistigen Zustand der Universität Potsdam zeichnet. An der Uni lief eben die umgekehrte Aufarbeitung: die Trennung von missliebigem und kritischem Personal.

Sie waren von 1991 bis 1995 Dezernent an der Universität, wie begegnete man Ihrem Aufarbeitungswillen damals?

Die Aufarbeitungsinitativen wurden von Anfang an bekämpft. Das betraf auch Dietrich Schwanitz, der seine negativen Erfahrungen dann in den Roman „Der Zirkel“ hat einfließen lassen

was sich stellenweise wie eine Verschwörungsstory liest.

Ach wissen Sie, das wird immer so dargestellt. Es heißt ja auch, ich würde eine Hetzkampagne gegen die Universität Potsdam führen. Das ist alles Unsinn. Die Uni hat bis heute unsere Dokumentationen nicht zur Kenntnis genommen, unsere Daten beruhen auf Auswertung der BStU-Akten und des Archivs der Uni Potsdam und Zeitzeugenaussagen.

Warum sollte die Hochschule dies nicht ernst nehmen?

Natürlich fürchtet sich die Universität vor peinlichen Wahrheiten beispielsweise aus meinen drei BStU-Forschungsanträgen oder den ungeschminkten Aussagen hochbetagter Zeitzeugen, die nichts mehr zu verlieren haben.

Das Fazit Ihrer Recherche?

Wir haben die vollständigen Biografien der belasteten Mitarbeiter und Funktionäre vor 1989 zusammengestellt und mit der Nachwendesituation verglichen, um die Kontinuitäten und die generalstabsmäßige Besetzung aller Schlüsselpositionen eindeutig zu belegen. Es betrifft einen Großteil der damaligen Professoren, der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Verwaltungsangestellten. Das ist der Gegenbeweis zum damaligen Uni-Bericht.

Ihnen geht es gar nicht nur um die Stasi.

Die Fragestellung nach der Stasi hat uns damals in die falsche Richtung gelockt, die Nomenklatura wurde schließlich durch Partei- und FDJ-Funktionäre und die staatlichen Leiter – Sektionsdirektoren, Direktoren für Kader, Verwaltungsdirektoren – gebildet. Das Problem waren weniger die Stasi-Leute als die Funktionseliten aus den Kaderschmieden. Die Stasi war ja nur der Kettenhund. Diese wichtigeren Personen wurden einfach durchgewinkt. Ein Insider der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR schrieb in der FAZ, dass die Universität ihm wie ein von der Landesregierung gefördertes Auffangbecken für hochbelastetes Personal aus dem DDR-Umfeld erscheine.

Sie sprechen von der Vergangenheit.

Heute sollen es angeblich noch zwölf Mitarbeiter sein, wobei seit 2007 nicht mehr überprüft wird – man weiß also gar nicht, was da noch hinzugekommen ist. Es ist auch ein Skandal, dass nun die belastete Sprecherin weiter im Amt bleibt.

Man wirft Ihnen Verfolgungswahn vor.

Davon weiß ich nichts. Allerdings verstehe ich es, wenn die Uni ihrerseits allergisch reagiert, wenn sie meinen Namen hört. Immerhin halte ich ihr bis heute den Spiegel vor. Ich werfe der Uni vor, den Tod der Zeitzeugen abzuwarten, anstatt sie hochschulöffentlich anzuhören. Wenn mir die Uni einen Rachefeldzug vorwirft, scheint sich dort jemand verfolgt zu fühlen.

Manch einer nannte Sie damals Kopfjäger.

Ein Begriff des damaligen Rektors Wolfgang Loschelder, der vermutlich mit solchen unqualifizierten Bemerkungen Pluspunkte bei den Altvorderen für seine Rektorwahl einheimste. Man reagierte mit Abmahnungen, Kündigungen, einer Strafanzeige. Nichts wurde vom Gericht bestätigt. Nur eine Änderungskündigung, die mein Anwalt zu spät annahm, führte zu meiner Dienstenthebung 1995.

War die Situation an der Uni Potsdam damals tatsächlich gravierender als an anderen Ost-Hochschulen?

An guten Hochschulen gab es ein Hochschulerneuerungsgesetz, anerkannte und völlig unbelastete Ehrenkommissionen, einen Stasi-Landesbeauftragten und vor allem Transparenz der Arbeitsweisen und einheitliche Regeln. Und keinen Zuträger und „Schutzheiligen“ als Landesfürsten. Ganz zu schweigen von Hunderten von Systemträgern aus parteilichen Edelschmieden. Die Uni Jena hat die Stasiverstrickungen aller Mitarbeiter namentlich publiziert. In Greifswald haben die Studenten bereits 1991 über den Einfluss des MfS auf ihre Einrichtung geforscht. An der Uni Potsdam hat noch kein einziger Student auf unsere Tagungen reagiert.

Gab es nach Ihrer Erkenntnis an der Uni Potsdam Seilschaften?

Natürlich gab es die. Das hat ja niemand bestritten. Seilschaften gibt es überall. Allerdings an einer Bildungs- und Lehrerausbildungsstätte sind sie verheerend. Das detaillierte Wirken der Seilschaften können sie an Hand zahlreicher Briefwechsel zwischen Behörden und Mitarbeitern, an Berufungsergebnissen und deren Manipulationen bestens erkennen. Ob Personalrat, Frauenbeauftragte, Datenschutzbeauftragter, Presse, Institutsleitungen, Verwaltungsleitungen, Hochschulleitung, Senat: Sie saßen nach der Wende überall und auch heute sind sie mindestens nicht einflusslos.

Sie sind Physiklehrer, leben in Niedersachsen, wieso treibt Sie das Thema überhaupt noch so sehr um?

Ich stamme eigentlich aus Wittenberge. Meine Eltern waren mit mir in den Westen geflohen. Nach der Wende wollte ich zum Helfen in meine ehemalige Heimat. Das Erste, worauf ich traf, waren ehemalige MFS-ler in der Verwaltung. Nach etlichen Kündigungen und Abmahnungen wurde mir klar, was da läuft.

Was erhoffen Sie sich von der Enquete-Kommission, die nun einen Bericht über die Hochschulen des Landes erstellt?

Nicht viel, eine Art Politikwaschanlage. Ist es nicht Verniedlichung, alles Verdrängen auf die „Linken“ zu schieben. Der Westen, die FDP, CDU werden immer ausgeklammert. Ich habe ja schon gesagt, dass das Hauptproblem in Brandenburg vorrangig bei der SPD lag. Schließlich haben Rau und Schröder Stolpe aufgewertet und Schröder hat ihn in die Regierung geholt.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Die Dokumentation stellt Frank-Rüdiger Halt heute an der Uni vor: Campus Griebnitzsee, Raum 03.01.328, 17 bis 21 Uhr.

Frank-Rüdiger Halt war von 1991 bis 1995 Dezernent für akademische und studentische Angelegenheiten der Universität Potsdam. Damals gründete er mehrere Aufarbeitungsinitiativen.

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