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Landeshauptstadt: Das war der Gipfel

Ein Tag G 8: Wie Potsdamer, Politiker, Demonstranten und Polizisten das Außenminister-Treffen erlebten

7.15 Uhr, Kaiserbahnhof: Die japanische Fahne ist die erste, die vor dem Ausgang der Bahn-Akademie aufgestellt wird. Es ist ein kühler Morgen und am Bahnhof Park Sanssouci sind bereits etliche Polizeiautos stationiert. Dabei vergehen noch mehr als zwei Stunden, ehe der ICE mit den Außenministern hier einrollt.

7.45 Uhr, Kaiserbahnhof: Jetzt stecken alle Fahnen. Es sind neun: Die EU-Fahne ist auch dabei. Der rote Teppich liegt.

8.12 Uhr, Dorint-Hotel: Die Männer und Frauen an den Sicherheitsschleusen haben gut zu tun: 500 Journalisten sind für das G 8-Treffen akkreditiert, alle werden überprüft. Außerdem bekommen alle ein Basecap mit der Aufschrift „G 8 Gipfel 2007 Heiligendamm“. Wer das aufsetze, bekomme sicher schnell eins auf die Mütze, scherzen einige.

9.16 Uhr, Cecilienhof: Fotografen und Kameraleute stürmen aus dem Bus, der sie zum Cecilienhof gebracht hat – es ist der Run auf die besten Plätze auf der Pressetribüne.

9.20 Uhr, Kaiserbahnhof: Warten. Hinterm Gebüsch patrouillieren Polizisten, auf den Erkern des Bahnhofsgebäudes stehen vermummte Scharfschützen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht eine 69-jährige Potsdamerin und macht sich Sorgen: Die Tasche auf ihrem Rad-Gepäckträger habe niemand kontrolliert, sagt sie: „Ich meine ja nur.“ Das massive Polizeiaufgebot findet sie gerechtfertigt. „Es ist ja ein Ereignis, nicht wahr?“

9.25 Uhr, Kaiserbahnhof: Der ICE aus Berlin fährt, begleitet von drei Hubschraubern, pünktlich ein. Einer fliegt so tief, dass man den Scharfschützen in der offenen Tür erkennen kann. Eine Passantin macht Fotos mit dem Handy. „Unheimlich“, findet sie. Die Stadt ist von Norden nicht mehr zugänglich: Bereits ab Neu Fahrland wird nach Bornim umgeleitet. Dort stehen die Autos über eine Stunde. Nur die Polizei lässt sich nicht blicken: „Keiner wusste wohin“, so eine Potsdamerin.

9.40 Uhr, Kaiserbahnhof: Während die US-amerikanische Außenministerin und ihre Kollegen von Ministerpräsident Matthias Platzeck begrüßt werden, kommen draußen fünf Studenten aus New York völlig aufgelöst aus Richtung Neues Palais: Sie wollten eigentlich auf den Campus Babelsberg, aber ein gewitzter Potsdamer Taxifahrer hat die fünf direkt „in the middle of the police“ am Neuen Palais rausgelassen. Die Beamten hätten sie zur Straße eskortiert, erzählen sie außer Atem: „This is crazy!“ – Das ist verrückt. Dann müssen sie weiter.

9.58 Uhr, Kaiserbahnhof: Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verlässt mit als erster den Bahnhof in Richtung Cecilienhof. Er sitzt in einem schwarzen Mercedes vom BKA. Durch die Scheibe winkt er der Rentnerin zu, die immer noch am Straßenrand steht. Im Minutentakt folgen die anderen Delegationen.

10.05 Uhr, Cecilienhof: Schlösserstiftungs-Chef Hartmut Dorgerloh begrüßt Steinmeier am Schloss. Steinmeier tritt vor die Kameras – Themen sind die Kosovo-Frage und der Klimaschutz, die Grenzsicherung in Afghanistan. Dann treffen die Delegationen ein. Schlösserchef Dorgerloh ist hautnah dabei – und spricht zwischen den Ankünften ausführlich mit Steinmeier. Für Dorgerloh ist das G 8-Treffen ein einmaliges Ereignis: „So viele hochkarätige Politiker in einem unserer Häuser, die hier auch arbeiten, das habe ich noch nie erlebt.“

10.15 Uhr, Groß Glienicke: Der erste Verletzte. Mit Prellungen wird ein 36-jähriger Polizist aus Berlin nach einem Unfall in Groß Glienicke in ein Potsdamer Krankenhaus gebracht. Er wurde in der Potsdamer Chaussee von einem Linienbus gestreift. Der Busfahrer fährt einfach weiter, ein anderer Eskortenfahrer nimmt die Verfolgung auf. Wenig später wird der Bus gestoppt. Gegen den 60-jährigen Busfahrer aus Michendorf werden laut der Polizei nun Ermittlungen wegen des Verdachts der Fahrerflucht eingeleitet.

10.20 Uhr, Ecke Am Neuen Palais: „Ich hab die Schnauze voll.“ Axel Drews will nach der Nachtschicht Hause. „Ich bin müde, ich will pennen“, ruft der 50-Jährige einem Polizisten entgegen, der ihn vom Heimweg abhält. Drews wohnt auf der anderen Straßenseite. Bereits seit neun versucht er vergeblich, mit dem Auto zu seiner Wohnung direkt neben dem Kaiserbahnhof zu kommen. 15 Minuten später wird die Kreuzung freigegeben. Ein Bus der Linie 606 hat aber 81 Minuten an der Haltestelle warten müssen. Insgesamt kam es bei acht Buslinien der Havelbus-Gesellschaft zu erheblichen Verspätungen. „Wir konnten uns nicht darauf einstellen“, sagt Havelbus-Einsatzleiter Roland Dützmann. Die Verkehrsbetriebe Potsdam haben ihre Buslinien 692 und 695 umgelegt. Die Straßenbahnen fahren noch bis abends nicht nach Fahrplan.

10.28 Uhr, Cecilienhof: Condoleezza Rice trifft ein – mehr als ein Dutzend Fahrzeuge gehören zu ihrem Konvoi. Erst als alle Sicherheitskräfte aus ihren Wagen gestiegen sind, öffnet sich die Tür des schwarzen Jeeps und Rice steigt aus. Sie trägt einen schwarzen Hosenanzug, Lackschuhe, und ist erstaunlich schlank und zierlich. Die Journalisten, die vorher noch gerätselt hatten, wie man Rice richtig anspricht – „Madam Secretary?“ – bleiben still. Keiner ruft nach einem Statement.

10.45 Uhr, Cecilienhof: Alle Außenminister stellen sich zum „Familienfoto“ auf. Es gibt kleine Lacher, als die Politiker entdecken, dass auf das Podest Landesflaggen an die Stellen geklebt worden sind, an die sie sich stellen sollen.

12.34 Uhr, Dorint-Hotel: Im Pressezentrum verteilt Potsdams Marketingchefin Sigrid Sommer Info-Broschüren. Das G8-Treffen sei Werbung gratis. Oberbürgermeister Jann Jakobs lässt ausrichten, es handele sich bei dem Treffen für Potsdam um ein „Ereignis von historischer Dimension am historischen Ort“.

14.28 Uhr, Cecilienhof: Afghanistans Außenminister trifft s ein. In letzter Sekunde wird die Landesflagge aufgestellt. Der Kollege aus Pakistan folgt.

15.25 Uhr, Im Neuen Garten: Der Zugang über die Hasengrabenbrücke ist offen. Seit Mittag schon, erzählt ein Anwohner. Am Strand liegen fünf Sonnenanbeter. 50 Meter vor dem Grünen Haus am Heiligen See ist Schluss mit lustig – ein Polizist fordert Passanten zum Umkehren auf.

15.40 Uhr, Dorint-Hotel: Im Hinterhof Blicke auf das Dach: Scharfschützen sind auch dort postiert, sie suchen mit Ferngläsern die Umgebung auf Verdächtiges ab.

16 Uhr, Hauptbahnhof: Die Demonstranten sammeln sich. Polizisten kontrollieren einzelne Teilnehmer. Bisher sind es maximal 500 Personen, die meisten aus der linken Szene der Stadt. Demo-Anmelder Lutz Boede beschreibt die Auflagen der Polizei: Keine zusammen geknoteten Transparente als Sichtschutz, nicht in die Nähe der G8-Minister.

16.35 Uhr, Hauptbahnhof: Nach zwei Reden gegen die Politik der G8 beginnt die Demo mit einigen Rangeleien. Fotografen stürzen hin, knipsen. Doch die Lage beruhigt sich schnell. Eskortiert von mindestens zehn Einsatzwagen beginnt der Zug seinen Weg, antikapitalistische Parolen hallen über die Lange Brücke.

16.50 Uhr, am Dorint-Hotel: Die ersten Delegationen treffen eine Stunde verspätet zur Abschlusspressekonferenz ein. Die gepanzerten Wagen mit US-Außenministerin Rice zum Schluss. Über dem Hotel kreist ein Hubschrauber.

17 Uhr, Platz der Einheit: Erneute Rangeleien bei der Demo. Ordner ziehen einen betrunkenen Teilnehmer heraus.

17.15 Uhr, Dorint-Hotel: Der Saal des Dorint Hotels ist voll besetzt. An einem langen Podium sitzen alle zehn Minister. In sechs Sprachen werden die Statements der Politiker simultan übersetzt.

17.19 Uhr, Dorint-Hotel: Steinmeier eröffnet die Pressekonferenz. Seine ersten Worte gelten den Potsdamern. Er wolle sich bei den Bürgerinnen und Bürgern dafür bedanken, „dass wir sie mit zehn Delegationen überfallen dürften“.

17.45 Uhr, am Neuen Garten: Als die Demo am Parkeingang vorbei kommt – eigentlich wollten man zum Cecilienhof ziehen – halten zwei Frauen ein Schild hoch: „Achtung, hier endet der demokratische Sektor.“ Demonstranten applaudieren.

18 Uhr, Treffpunkt Freizeit: Nach einer kurzen Kundgebung löst Lutz Boede die Demo auf. Doch niemand geht. Die Polizei fordert die Demonstranten per Lautsprecher auf, sich „in einzelnen Gruppen in südlicher Richtung zum Hauptbahnhof“ zu bewegen. Wieder Rangeleien. Schließlich entschließen sich die Polizisten, neben den Demonstranten zu laufen.

18.30 Uhr, Berliner Straße: Die Berliner Straße ist an der Humboldtbrücke gesperrt. Die Lage ist unübersichtlich. An der Haltestelle Holzmarktstraße schließlich knallt es: Die Polizisten wollen, dass jeder auf dem Gehweg läuft. Schubsereien, ein Beutel fliegt, schließlich werden zwei Protestierer unter lautstarkem Gebrüll der Demonstranten festgenommen, kurz danach zwei weitere. Gegen sie wird wegen Landfriedensbruch ermittelt.

18.40 Uhr, Berliner Straße: Polizisten mit Helm sichern nun die Seiten, die Demonstranten ziehen ab. Es ist wieder ruhig.

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