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Landeshauptstadt: Das vergiftete Melodram

Seit 1912 wird in Babelsberg Kino gemacht. Die PNN haben zum Potsdamer „Jahr des Films“ zwölf wichtige Babelsberg-Filme ausgewählt und erzählen ihre Geschichten: Meilensteine auf dem Weg von der Wiege des deutschen Films zum Hollywood der Republik. Heute Teil 3: Jud Süß

Zimmer 43 in der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz in Berlin ist ein fensterloser Raum von gerade zwei mal drei Metern. An der Wand gegenüber dem Eingang steht eine Bandmaschine mit einem quadratischen Schwarz-Weiß-Bildschirm darauf, Technik aus dem vordigitalen Zeitalter. An der Decke schlängeln Röhren. Belüftung? Abwasser? Lächelnd trägt Maxi Zimmermann, eine Mitarbeiterin, unterm Arm „den gefährlichsten Propagandafilm der NS-Zeit“ hinein, wie der Filmhistoriker Michael Wedel, Professor an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), das nationalsozialistische Machwerk nennt. Es ist ein Streifen, der Wedel zufolge immer noch „in seiner Propaganda-Absicht wirkt“ und daher nur unter gesetzlichen Vorbehalten gezeigt werden darf: Der 1940 in den Babelsberger Filmstudios und den Barrandov-Studios Prag gedrehte antisemitische Film „Jud Süß“. Regie: Veit Harlan.

Die Bandmaschine rauscht, es schleift und knistert. Schon die erste Information ist eine Lüge: „Die geschilderten Ereignisse beruhen auf geschichtliche Tatsachen.“ Von wegen: Harlan und Reichspropaganda-Minister Josef Goebbels vereinnahmen für ihre judenfeindliche Absicht die historische Person des Josef Süßkind Oppenheimer (1698-1738). Der herabwürdigend „Jud Süß“ genannte Oppenheimer stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Als Finanzberater des prunksüchtigen Herzogs Karl Alexander von Württemberg zog er Neid und Hass auf sich. Der Herzog gewährte Oppenheimer große Spielräume in Finanz- und Steuerangelegenheiten, die dieser gegen die Interessen der Stände und zugunsten der Kasse Karl Alexanders nutzte. Konfessionelle Spannungen taten ein Übriges – der Herzog war katholisch, sein Berater ein Jude, die Bevölkerung protestantisch. Als Karl Alexander am 12. März 1737 an einem Schlaganfall starb, wurde Oppenheimer umgehend festgenommen. Neben Bereicherung wurde ihm vorgeworfen, sexuellen Kontakt mit einer Christin gehabt zu haben. Zwar bestätigten Hebammen, dass die Vierzehnjährige noch Jungfrau war. Das aber spielte für das Urteil keine Rolle. Joseph Süß Oppenheimer wurde zum Tode verurteilt und am 4. Februar 1738 auf dem Stuttgarter Hinrichtungsplatz gehenkt. Sechs Jahre blieb sein Leichnam öffentlich zur Schau gestellt. Erst 1744 wurde das Gerippe entfernt und begraben.

Der historische Joseph Süß Oppenheimer ist ein Opfer von Denunziation, Missgunst und demagogisch aufgestacheltem Volkszorn. Sein Schicksal war früh besiegelt: Schon ein halbes Jahr vor dem Urteil wurde sein Eigentum verschachert.

Der Stoff hat alles, was nach künstlerischer Bearbeitung schreit: Den Glanz eines absolutistischen Hofes, den Aufstieg eines Chancenlosen zu großem Wohlstand und politischem Einfluss, den – nie bewiesenen – Vorwurf des sexuellen Tabubruchs, den tiefen Fall, das Ende am Galgen. Wilhelm Hauff brachte 1827 die Novelle „Jud Süß“ heraus; Lion Feuchtwanger seinen gleichnamigen Roman 1925. Der angloamerikanische Film „Jew Süss“ (1934) von Lothar Mendes war ein großer Erfolg – und „ein Impuls für Goebbels, den Stoff aufzunehmen“, erklärt Filmhistoriker Wedel. Der NS-Chefpropagandist wollte Filme drehen lassen, die „den Holocaust in der Breite der Bevölkerung akzeptabel machen“. Die Filmkunst sollte „bestimmte Erklärungs- und Bewertungsangebote machen, die einer Gegenposition entgegenarbeiten“. Da kam Goebbels, wie Wedel sagt, ein Stoff gerade recht, „der sich bereits am Markt profiliert hat“. Freilich verquirlt Harlan die Geschichte so, wie es der bösen Absicht gefällt. Zeigten Hauff und vor allem Feuchtwanger die Ungerechtigkeit des Oppenheimerschen Schicksals, sah Mendes in „Jew Süss“ den Selfmademan Oppenheimer, zeichnete Harlan seinen „Jud Süß“ als diabolischen, mephistophelischen Verführer, Strippenzieher, Folterer und Vergewaltiger.

Darsteller Ferdinand Marian wehrte sich zunächst gegen die Rolle – wie mehrere andere Schauspieler auch, darunter Emil Jannings und Gustav Gründgens. Goebbels notierte in sein Tagebuch: „Mit Marian über den Jud-Süßstoff gesprochen. Er will nicht recht heran, den Juden zu spielen. Aber ich bringe ihn mit einigem Nachhelfen doch dazu.“ Marian, schätzt Filmhistoriker Wedel ein, hatte einerseits Angst, bei einer Ablehnung keine großen Rollen mehr zu bekommen. Andererseits befürchtete er, dass ihn die Rolle des Jud Süß „in eine Ecke schiebt“. Veit Harlan hingegen suchte Wedel zufolge die Nähe zum NS-Regime und war schon 1933 in die NSDAP eingetreten.

Gemäß der Goebbelschen Doktrin der „unsichtbaren Propaganda“ drehte Harlan einen an sich unverdächtigen Unterhaltungsfilm, er goss das antisemitische Gift in die Form des Melodramas. Wedel: „Deshalb funktioniert der Film heute noch“, durch die emotionale Vermittlung von Werten. Harlan, in den 1920er Jahren kurze Zeit mit der jüdischen Schauspielerin Dora Gerson verheiratet, die 1943 in Auschwitz ermordet wurde, bringt seine ganze „Kunstfertigkeit“, wie Wedel sagt, in den Film ein, um seinen Auftrag zu erfüllen.

Der Gesandte des stets klammen Herzogs Karl Alexander trifft Jud Süß Oppenheimer ausgerechnet in der abgerissenen Frankfurter Judengasse. Jüdische Personen, gespielt zumeist von dem Schauspieler Werner Krauß, wirken mit ihren krass überzeichneten jüdischen Attitüden gewollt grotesk und abstoßend. Krauss galt als „bester Schauspieler aller Zeiten“. Er rechtfertigte sein Mitwirken an dem Film mit der schauspielerischen Herausforderung. „Fünf Juden“ könne er gleichzeitig spielen „und jeden anders“. In der Geschichte selbst ist Krauss’ Rolle „überflüssig“, wie der Philosoph Alexander Kluge feststellt. Da ist alles zugeschnitten auf den schnittigen Ferdinand Marian, der dem Herzog geschickt einflüstert, wie er durch Extrasteuern seine Prunksucht finanzieren kann. Im Gegenzug lässt Karl Alexander die Juden nach Stuttgart, er hebt die „Judensperre“ auf. Die Szene „Einzug der Juden in die Stadt“ ist der absolute ethische Nullpunkt des Films. Sie wird in Lublin gedreht, die jüdischen Komparsen stammen aus den dortigen jüdischen Vierteln und sind zum Großteil später umgekommen. Wedel: „Harlan bediente sich der Opfer des Holocaust, um ihre Vernichtung zu rechtfertigen.“ Von den 42 000 einst in Lublin lebenden Juden überlebten lediglich 200 bis 300 den Holocaust.

Den Geist der Täter stärkt der Film „Jud Süß“. Da wird das Bild der Juden als „Heuschrecken“ gezeichnet, die über die Stadt hereinfallen. Da bedient sich Harlan der Methoden der kruden Dialektik. Ein natürlich grundehrlicher Schmied wird auf Betreiben des Juden gehenkt. „Höher als den können die mich auch nicht hängen“, sagt Süß. Die beim Zuschauer Beipflichtung erheischende Antwort eines positiven Gegenhelden: „Meint Ihr, Herr Finanzienrat?“ Gruselig klar wird die Volksvorbereitung auf den Genozid auch in der Szene, als Jud Süß bedrängt wird durch die revoltierenden Stände guter deutscher Handwerker, die nach Ansicht Wedels die NS-Bewegung symbolisieren: „Ausrotten“, schreit Jud Süß hysterisch, „mit Stumpf und Stiel“. Die wohl provozierte Gegenantwort des Filmpublikums: „Euch Juden sollte man ...“

Fünf Schauspieler haben vor Marian die Hauptrolle abgelehnt. Sie werden das Drehbuch gelesen haben, vermutet Wedel, und so gewusst haben, was auf sie zukäme. Die Schauspielerin Marie Körber, Regisseur Harlans Tochter, berichtete, nachdem sie den Film zum ersten Mal sah, „wäre ich am liebsten rausgegangen und hätte gekotzt“. In seiner Autobiografie wird Harlan schreiben, er habe einen projüdischen Film drehen wollen. „Apologetik“ und „ein perfides Argument“, findet Wedel. Goebbels schreibt in sein Tagebuch: „Harlan Film 'Jud-Süß'. Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber.“ Der Film erwies sich aus Sicht der Nazis als Erfolg. Über 20 Millionen Menschen sahen „Jud Süß“. Er wurde auf Anweisung Heinrich Himmlers Pflichtprogramm für die SS-Einheiten. Geheimdienstberichten zufolge kam es etwa in Berlin, während der Film lief, zu antijüdischen Zwischenrufen: „Vertreibt die Juden vom Kurfürstendamm! Raus mit den letzten Juden aus Deutschland!“ Nach 1945 wurde Harlan wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, jedoch freigesprochen. Der für den Freispruch verantwortliche Richter war schon während der NS-Zeit Jurist.

„Jud Süß“ gehört zur Geschichte des Produktionsstandortes Babelsberg, mahnt Filmhistoriker Wedel. Wer wie die Stadt Potsdam jetzt dessen Jubiläum feiere, dürfe sich nicht nur mit Marlene Dietrich beschäftigen. Es gebe immer auch einen Bezug zur politischen Instrumentalisierung. In den vergangenen Jahren ist Wedel zufolge ein neues Interesse an dem Film und der Familie Harlan zu verzeichnen – doch „ohne Kenntnis des historischen Gegenstandes entsteht eine Schräglage“. Er empfehle, so der HFF-Professor, dass politische Bildungseinrichtungen verstärkt kritisch kommentierte Aufführungen von „Jud Süß“ organisieren, auch weil der indizierte Film sicher irgendwann im Internet auftauchen werde: „Wir müssen aufpassen, dass man nicht um ein leeres Zentrum kreist.“

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