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Landeshauptstadt: Das Unvollendete

Trotz Staatspleite begann der Theaterneubau am Alten Markt – 1991 beschlossen die Stadtverordneten den Abriss des Rohbaus

Der schlanke Mittfünfziger im braun-gesprenkelten Jackett über dem offenen Hemdkragen schaut in das Schaufenster am Institut für Lehrerbildung (IfL). Seine noch immer blonden Haarsträhnen flattern im Sommerwind, als er den Blick vom Schaufenster hinüber zur Alten Fahrt wendet. Dort ragt der mit einem mannshohen Kreuz bemalte Beton-Bühnenturm des neuen Potsdamer Theaters wie ein Menetekel in den Himmel.

Peter von Feldmann, zu diesem Zeitpunkt seit knapp drei Monaten Dezernent für Stadtentwicklung, hatte den Spaziergang über den zugigen Alten Markt am 26. Juni 1991 unternommen und betrachtet im IfL-Schaufenster das Modell des noch zu DDR-Zeiten begonnenen Theaterneubaus. Einen Tag später notiert er in seinem Tagebuch: „Wie die gestrige Theaterdiskussion in den Ausschüssen ausgegangen ist, weiß ich noch nicht. In unserer Essensrunde im Jägerhof findet meine Idee, es sei doch wohl am besten, das Theater am Alten Markt weiterzubauen, Zustimmung. Ich habe gestern im Schaufenster im Haus des Lehrers gegenüber der so genannten Theaterruine das Modell des fertigen Theaters gesehen, das in dieser oder einer noch verbesserten Form durchaus neben der Nikolaikirche denkbar ist. Vielleicht sind wir, wenn wir mit dem Abriss und dem Neubau nicht vorankommen, im nächsten Jahr soweit, den Weiterbau mit irgendeiner pfiffigen Idee vorschlagen zu können.“

Doch von Feldmann aus Westberlin, dessen Senat zwei Jahre später das Schillertheater an der Bismarckstraße schließen ließ, war offenbar noch nicht bewusst, dass der Abriss bereits beschlossen war. Vor allem die 19-köpfige Fraktion Neues Forum/Argus wollte diesen Standort von Anfang an für die historische Wiederherstellung der Potsdamer Mitte retten. Der viel zu früh verstorbene Rudolf Tschäpe, Mitbegründer des Neuen Forums, bezeichnete es später als das größte Verdienst der ersten frei gewählten Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, dass sie den Abriss des Beton-Gleitkerns, dessen Errichtung schon 17 Millionen Mark gekostet hatte, gegen viele Widerstände durchsetzte.

Selbst Architekten fanden den Theaterentwurf, der auf einem der „Potsdamer Gespräche“ in den achtziger Jahren vorgestellt wurde, gar nicht schlecht. „Der Platz wird nach Osten hin geschlossen“, hieß es. Andere wie Christian Wendland sahen jedoch, dass der Bau mit seinem 14 Meter hohen Bühnenturm die Kuppel der Nikolaikirche verdecken würde. „Die Leute da oben auf dem Brauhausberg wollten nicht, dass die Kirche zu sehen ist“, äußerte er später.

Die DDR hatte gewissermaßen zu guter Letzt den Theaterneubau, der schon seit Jahrzehnten auf der Tagesordnung stand und aus Kostengründen immer wieder aufgeschoben wurde, beschlossen. Ausgerechnet in dem Augenblick, in dem die DDR vor dem wirtschaftlichen und politischen Kollaps stand, sollte das Projekt Realität werden. Eine Aufbauleitung unter Federführung von Peter Rogge wurde gebildet und das Bau- und Montagekombinat (BMK) Ost erhielt den Auftrag zur Projektierung. Als verantwortliche Architekten schufen Gerhard Wachholz, Jochen Sänger und Günther Franke die Entwürfe. Für die Bühnen- und Theatertechnik zeichnete das Institut für Kulturbauten verantwortlich. Und der Minister für Kultur setzte mit Fritz Donner gar einen Sonderbeauftragten ein. Das BMK OST legte eine Reihe von Varianten vor und in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchitekten und dem Büro für Städtebau entstand der Final-Entwurf, den Peter von Feldmann drei Jahre später im Schaufenster betrachtete. Vielleicht war dem West-Berliner von Feldmann eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schillertheater aufgefallen. Wie dieses hatte auch das projektierte Potsdamer Theater einen halbrunden Foyerbereich, der die architektonische Dominante des Neubaus ausmachte. Rudolf Grosse und Heinz Völler hatten diesen Akzent beim Umbau des Schillertheater Anfang der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gesetzt.

Die Grundfläche des Neubaus am Alten Markt umfasste etwa das Fünffache der Nikolaikirche, im Grunde die Dimension, die auch das Provisorium, das heute an dieser Stelle steht, hat. Als die Mauer fiel, arbeitete das BMK Ost bereits am Theaterrohbau. So hatten die neuen Stadtplaner und die am 7. Mai 1990 frei gewählten Stadtverordneten ihr Dauerthema für die nächsten Jahre. Dezernent Peter von Feldmann schreibt 1995 in seinem Buch „Nachwendezeit“: „Statt fundamentalistisch mit dem Abriss die SED zu bestrafen, hätte man pragmatisch eine ansprechende Theaterlösung am Alten Markt erreicht und sich die anschließende Endlosdiskussion und den Schildbürgerstreich Blechbüchse“ am selben Ort erspart.“

Der Journalist Ralph Altmann schreibt über die Situation im Jahre 1990/91: „Nicht nur die Befürworter des Schloss- Wiederaufbaus machten gegen den Theaterstandort mobil. Auch all jene, die in der allgemeinen Wende-Euphorie mit dem einst schönsten Platz Potsdams hochfliegende Pläne hatten, war das geplante Theater ein Klotz am Bein“, wie es Baustadtrat Detlef Kaminski formulierte. Zwar beschlossen die neu gewählten Stadtverordneten einen Architekturwettbewerb, um den 27 Millionen DM teueren Rohbau schließlich doch noch mit einer ansprechenden Hülle versehen zu lassen, doch vergaß“ die damalige Kulturstadträtin Saskia Hüneke, den Wettbewerb öffentlich auszuschreiben.“

Offenbar wäre eine Weiterführung des Baues zum Fass ohne Boden geworden. Bis auf 112 Millionen DM wurden die Kosten kalkuliert; die Folgekosten waren unwägbar. Die Theaterleute sahen die Abrisspläne mit Sorge und nach dem Baustopp im Dezember 1990 schrieben sie mit großen Lettern auf die Betonwand: „Hier ruht Ihr festlicher Theaterabend.“ Kulturstadträtin Saskia Hüneke warf Ende 1990 das Handtuch. Die immensen Aufgaben hätten ihre Kraftreserven überschritten, nennt sie als Grund für ihren Rücktritt. Fehler beim Umgang mit dem Theater und dem Neubau werfen ihr Kritiker vor. Die Stadtverordnetenversammlung beschließt vier Monate später, den Theaterrohbau wieder abzureißen. „Die Entscheidung wird zum Indikator unserer städtebaulichen Glaubwürdigkeit“, mahnte SPD-Oberbürgermeister Horst Gramlich die Verordneten vor deren Votum. Von damals hundert Stadtverordneten stimmten 67 für den Abriss, 28 waren dagegen, eine Stimme war ungültig, ein Stadtverordneter enthielt sich.

Am 1. Oktober 1991 begann der Abriss. Die Kosten lagen bei 400 000 Mark. Eine Sprengung war zu gefährlich, daher musste die Abrissbirne her. Die damit hantierenden Baufirmen erließen der Stadt, die sich schon damals in einer prekären Finanzlage befand, die Abrisskosten.

Günter Schenke

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