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Nach dem Tod wird für jeden ein gelber Stern aufgehängt, oft schreiben Angehörige darauf eine letzte Botschaft.

© Ottmar Winter

Potsdams einziges stationäres Hospiz: Das letzte Hotel

Seit zehn Jahren begleitet das Hospiz auf Hermannswerder Sterbende. Es ist ein Ort, an dem Wünsche erfüllt werden, der Moment gelebt wird.

Potsdam - Die Entscheidung traf Helga Adler über Nacht. „Am Montagfrüh rief ich meine Ärztin an und sagte ihr, es geht nicht mehr“, erzählt die 64-Jährige. Einen Tag später konnte sie ins Evangelische Hospiz auf Hermannswerder einziehen. Es ist das einzige stationäre Hospiz in Potsdam – und wurde am Samstag zehn Jahre alt.

„Als ich durch die Tür kam, ist auf einmal alle Last von mir abgefallen“, erinnert sich Helga Adler, die in Wirklichkeit anders heißt, an jenen Tag vor rund zwei Wochen. Ständig waren da die Gedanken darüber, wie sie sich versorgen sollte, zu Hause, mit den immer stärkeren Einschränkungen durch ihre Krebserkrankung. Und dann die Sorgen darüber, ihren Angehörigen zur Last zu fallen.

„Hier muss ich mich nicht schlecht fühlen, wenn ich um Hilfe bitte“, sagt Adler mit einem Lächeln. Im Hospiz fühle sie sich wohl wie lange nicht. Sie sei überrascht gewesen über die Herzlichkeit, die Fürsorge in dem Haus mit Seeblick. „Es ist wie im Hotel mit Rundumservice“, sagt Helga Adler. „Mein letztes Hotel.“

Manche Gästen bleiben einen Tag, andere mehrere Wochen

Um die Gäste, wie die acht Bewohner des Hospiz hier genannt werden, kümmern sich Bettina Jacob und ihre 20 Kolleg:innen, dazu kommen ehrenamtliche Helfer. In das Haus ziehen Menschen in der letzten Phase ihres Lebens. Die Gäste sind schwerkrank, ein ärztliches Gutachten hat den Bedarf nach palliativer Versorgung festgestellt. Im Schnitt leben die Personen neun bis 15 Tage im Hospiz, bevor sie sterben. Doch die Spanne ist groß: Manchen bleiben nur ein oder zwei Tage, andere verbringen Wochen oder Monate in der Einrichtung.

Bettina Jacob.

© Ottmar Winter

1500 bis 2000 Personen waren seit der Gründung vor zehn Jahren in der Einrichtung, schätzt die Leiterin des Pflegedienstes. Die meisten sind Senioren, aber es werden Gäste ab 18 Jahren aufgenommen. „Wir haben in diesen Jahren an Sicherheit gewonnen“, sagt Jacob. „Aber es wäre fatal, wenn sich eine Routine einschleichen würde.“ Denn, so ergänzt ihre Stellvertreterin Barbara Kothe, jeder Gast habe seine eigene Geschichte, eigene Befindlichkeiten. „Jeder stirbt anders“, sagt Kothe. Nach dem Tod wird für jeden ein gelber Stern aufgehängt, oft schreiben Angehörige darauf eine letzte Botschaft.

„Eine wichtige Rolle spielt das Essen“

Im Hospiz geht es nicht um Heilung, es geht um Begleitung und Linderung. Es ist ein schöner Ort, ein rötlich gestrichener Bau inmitten einer Blumenwiese. Die Zimmer sind groß, gut ausgestattet, zudem gibt es einen gemütlich eingerichteten Wintergarten mit Sofas, einen Essensraum und ein Wohnzimmer mit Klavier. Finanziert wird der Aufenthalt zu 95 Prozent von den Krankenkassen und der Rest aus Spendengeldern. Die Gäste erhalten je nach Bedarf eine medikamentöse Behandlung gegen Schmerzen, auch gegen Angst oder Unruhe. Dazu kommen eine ganze Reihe weiterer Angebote wie Musiktherapie, Kontakt zu Hunden oder Aromabehandlung.

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„Eine wichtige Rolle spielt das Essen“, berichtet Kothe. Das Team versucht, Wünsche zu erfüllen, Dinge möglich zu machen. Manche hätten schon lange nicht mehr richtig gegessen, weil sie es vielleicht nicht gut vertragen. „Hier spielt das keine Rolle. Uns geht es darum, dass sie den Moment genießen können“, sagt Jacob. Auf Wunsch wird auch mal Eisbein serviert, ein Teller Spargel oder ein Bier. „Ein Gast wollte unbedingt noch einmal eine Bratwurst in Berlin essen“, erinnert sich Jacob. Der Wünschewagen half dabei, auch diesen Wunsch war werden zu lassen. In der Pandemie wurde es zur Herausforderung, diese enge Zuwendung aufrecht zu erhalten. „Aber wir haben Lösungen gefunden“, versichert die Leiterin.

Barbara Kothe.

© Ottmar Winter

Es wird viel gelacht

Doch nicht alles können die Kollegen im Hospiz leisten. „Man muss sich davor hüten zu meinen, dass man das ganze Leben der Gäste in Ordnung bringen kann“, sagt Jacob. „Allmächtig sind wir nicht.“ Wenn etwa die Beziehungen von Eltern zu ihren Kindern zerrüttet sind. „Am Sterbebett überwiegt manchmal die Liebe“, sagt Jacob. Doch manche blieben allein. „Es gibt auch Menschen, die haben niemanden“, erzählt Kothe. „Nach dem Tod packen wir die Tasche und wir wissen, dass niemand sie abholen wird.“ Fälle wie diese nehmen die Mitarbeiter manchmal im Kopf mit nach Hause. Im Umgang damit helfe der Austausch im Team, auch mit Supervisoren.

Der Gemütszustand der Bewohner im Hospiz ist ganz unterschiedlich. Manche der Gäste haben angenommen, dass sie sterben werden. Andere hadern, manche leugnen. Einige tun alle drei Dinge abwechselnd. „Wenn eine Krebserkrankung fulminant fortschreitet, geht es oft ganz schnell. Dann hat die Seele gar keine Zeit, das zu verarbeiten“, sagt Jacob. Die Mitarbeiter:innen versuchen, dabei so gut es geht zur Seite zu stehen.

Helga Adler hat ihre Frieden gemacht mit dem bevorstehenden Ende. „Das Leben macht mir hier Freude, was kann man für den letzten Lebensabschnitt mehr verlangen?“ Es werde viel gelacht im Hospiz, manchmal auch mit schwarzem Humor. Dies sei ein guter Ort, eine gute Lösung auch für ihre Familie. „Ich beruhige meine Angehörigen, sage ihnen, dass ich es hier gut habe“, sagt sie. Sie habe nun keine Sorge oder Angst mehr. Wenn sie in ihrem Zimmer sei, lasse sie sich auf das Sterben ein. Im Gemeinschaftsraum mit den anderen aber, da spüre sie das Leben. „Hier riecht es nicht nach Tod.“

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