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Homepage: „Das Land dürstet nach Austausch“

Der Potsdamer Religionswissenschaftler Johann Evangelist Hafner über die umstrittene Forschungsreise in den Iran, überraschende Erkenntnisse und das Tauwetter in dem Land

Herr Hafner, Ihre Studienreise in den Iran war umstritten. Wie ist nun Ihr Eindruck, sind Sie aus der Höhle eines Löwen zurückgekehrt?

Diese Reise hat auch die letzten Zweifel, dass wir dort nur instrumentalisiert würden, restlos ausgeräumt. Wir hatten dort sehr offene Begegnungen mit ernsten akademischen Diskussionen. Wir sind mit offenen Ohren und Herzen empfangen worden. Das Land dürstet nach Austausch mit dem Ausland, materiell und vor allem geistig. Wir hatten uns auch gut vorbereitet: An beiden Unis fanden Seminare statt, außerdem haben die Teilnehmer spezifische Themen als Essays erarbeitet, die dann allen während der Fahrt als 130-seitiger „Reiseführer“ zur Verfügung standen.

Sie hatten also nicht das Gefühl, dass das Regime Ihren Besuch für eigene Zwecke missbraucht?

An den Hochschulen, die wir besucht haben, war man sehr stolz, dass zwei hochkarätige Delegationen deutscher Hochschulen zu Besuch kamen. Der Kongress wurde äußerst engagiert organisiert: Es gab zwei Fotoausstellungen: eine zum Thema Begräbnis, Gedenken und Trauer, eine weitere über den Friedhof in Isfahan. Es wurde sogar ein eigener Essaywettbewerb im Vorfeld unter Studenten veranstaltet, mehrere Dokumentarfilme über Gräberkulte wurden gedreht. Natürlich wurden wir dort als Erfolg einer internationalen Kooperation vorgezeigt. Aber inwiefern das systemstabilisierend für das ganze Regime dort war, vermag ich nicht zu sehen.

Johann E. Hafner

(50) ist Professor für Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Christentum an der Universität Potsdam. Seit 2010 ist er zudem Dekan der Philosophischen Fakultät.

Was sagen Sie Ihren Potsdamer Kollegen von der Jüdischen Theologie, wenn denen der Kontakt mit dem Iran Sorge wegen Antisemitismus bereitet?

Denen sage ich, dass die Theologen in der Hochschule für Religionen und Denominationen (URD) in Qom, die wir unter anderem besucht haben, sehr gute Gesprächspartner sind, auch für die jüdischen Theologen in Potsdam.

Wie gehen Sie damit um, dass der Leiter der Dachorganisation der URD, Ayatollah Mohsen Araki, angeblich Gespräche mit der libanesischen Terrororganisation Hisbollah unterhält?

Wir hatten keinerlei Kontakt zu Mohsen Araki. Ich kenne ihn nicht.

Wie reagieren Sie auf den offenen Brief des Bündnisses gegen Antisemitismus Potsdam, in dem Ihnen die Kontakte in den Iran zum Vorwurf gemacht werden?

Auf anonyme Briefe reagiere ich nicht. Gerne können die Leute mich besuchen.

Kritiker bezeichnen die URD in Qom als islamistische Kaderschmiede des Regimes.

Die Kader gehen an ganz andere Hochschulen in Qom, nicht an die URD. Wir hatten einen zweitägigen Kongress, auf dem in einem freien und zum Teil auch harten Austausch zum Beispiel über die Historizität von biblischen und koranischen Propheten gesprochen wurde. Das berührte auch Glaubensfragen. Wir hatten dabei den Eindruck, dass die iranischen Kollegen interessiert sind, unsere Arbeitsmethoden kennenzulernen. Darüber hinaus wurde uns angeboten, Seminare über Buddhismus, Judentum und Ritualtheorie zu halten. Vor allem die Veranstaltung über das Judentum war vollkommen ausgebucht. Das erfolgte ohne Kontrolle und ohne Einfluss auf die Themen. Es wurde sogar über die Möglichkeit homosexueller Lebensmodelle in der Bibel gesprochen. Wir waren von dem Interesse an der westlichen Religionswissenschaft und der Offenheit völlig überrascht.

War diese Offenheit vielleicht nicht ehrlich? Ein Vorwurf lautet, man wolle dort nur Wissen über die anderen Religionen sammeln, um diese dann besser bekämpfen zu können.

Das können wir einfach nicht bestätigen. Die URD übersetzt in jahrelanger Arbeit christliche und jüdische Grundlagenwerke ins Persische; alles nur, um diese zu widerlegen? Nein, dahinter steht der Wille zu wissen. Wir haben niemanden getroffen, der offensichtlich nur Gegenargumente sammelt, um sie besser im Kampf für den Schiismus einzusetzen. Vielmehr haben wir einen Stolz darauf erlebt, dass man dort eigene christliche und jüdische Lehrbeauftragte hat. Auch haben wir Kritik daran erlebt, dass es der Hochschule von übergeordneter Stelle untersagt worden war, sufische Lehrbeauftragte, also Anhänger einer mystischen, als häretisch eingeschätzten Richtung, einzustellen. Nun gibt es Hoffnung darauf, dass sich in solchen Fragen etwas ändert.

Gibt es im Iran unter dem neuen Präsidenten so etwas wie ein Tauwetter?

Wir haben überall zu hören bekommen: „There is a change in the air“. Zum Beispiel haben die Berichtspflichten der Universitäten abgenommen. Die Hoffnung, dass sich etwas ändert, ist groß. Das war vom offiziellen Kontakt bis zum Straßenkontakt zu spüren, zugleich aber auch die Sorge, dass das noch lange dauern wird.

Gab es Situationen, die Sie nachdenklich gestimmt haben?

Was uns dieses Mal noch stärker auffiel als beim ersten Besuch, war die Allgegenwart des Religiösen. Das haben auch dortige Dozenten uns gegenüber erwähnt. Von politischen über medizinische Fragen oder Dinge, die die Ehe betreffen – die Religion steht dort über allem und nimmt überall Einfluss. Das hat offensichtlich noch zugenommen, aber auch die Kritik daran. Eine andere Sache war, dass uns ein Treffen mit einem Vertreter der sufischen Glaubensrichtung von unserem Reiseleiter zunächst untersagt wurde. Wir haben dann widersprochen. Wir haben argumentiert, dass wir gekommen sind, weil wird davon ausgegangen sind, mit allen Seiten reden zu können. Es war ein Forschungsziel von uns, lebendigen Sufismus kennenzulernen. Wie durch ein Wunder wurde uns das Treffen dann plötzlich doch erlaubt. Vor einem Jahr wäre das noch nicht möglich gewesen.

Haben Sie auch Kritik an Repressionen des Regimes geübt, etwa an der Unterdrückung der Bahai?

Wir haben an mehreren Stellen die Behandlung der Bahai angesprochen. Die Übergriffe auf Bahai wurden von allen Gesprächspartnern verurteilt. Wir haben aber bewusst keinen politikwissenschaftlichen Dialog geführt, die Religionswissenschaft sollte im Vordergrund stehen. Wir wollten zum Beispiel wissen, ob die Religion der Bahai an der Hochschule in Qom fair dargestellt wird. Uns wurde dann gesagt, dass es so etwas wie Konfessionskunde an der Hochschule gibt, in der auch die postmohammedanischen Glaubensrichtungen dargestellt werden. Überprüfen konnten wir das natürlich nicht.

Haben Sie auch direkt Kontakt mit Regimekritikern gesucht?

Nein. Wir hatten ausschließlich Kontakt mit den drei Universitäten, der Frauenuniversität Alz-Zahra in Teheran, zur Imam Reza Uni in Mahschad und zur URD in Qom.

Sie haben an der URD in Qom ein Seminar zu Todesritualen gehalten. Ihre Kritiker hätten es gerne gesehen, wenn Sie dabei auch Tötungen, Folter und den Märtyrerkult des Regimes angesprochen hätten.

Wir haben die Funktionalisierung von Kriegstoten im Iran angesprochen, die aus unserer Perspektive problematisch ist. Die Trauer um die Toten aus dem iranisch-irakischen Krieg findet dort mit großen Plakaten in der Öffentlichkeit statt. Wir haben hinterfragt, ob das tatsächlich bei der Trauer hilft. Das Trauma um diese Toten ist recht groß, denn es gibt kaum jemanden, der in diesem – vom Nachbarland ausgelösten – Krieg keinen Angehörigen verloren hat. Wir haben ein offenes Gespräch darüber geführt, wie wir das Thema aus unserer Sicht sehen, zumal wir in Deutschland schlimme Erfahrungen mit Heldentod-Inszenierungen haben.

Sind Sie als Gruppe aus dem Westen öfters auf Unverständnis gestoßen?

Wir hatten erwartet, dass uns öfters ein naiv-theologischer Vergleich zwischen Bibel und Koran begegnet. „Im Koran steht aber doch !“ Das war aber bei dem Seminar an der Qom keineswegs der Fall. Auf uns kamen Studenten zu, die zum ersten Mal verstanden hatten, dass man über Heiligenverehrung auch ganz anders sprechen kann, unabhängig von der Pflicht dazu, dass man auch fragen kann, wie sich ein Heiligenkult aufbaut und wozu er auch benutzt werden kann. Meine Kollegin hat ein ritualtheoretisches Raster, ich habe ein religionshistorisches Raster dazu vorgelegt. Für die Studenten war das zum ersten Mal eine metatheoretische Betrachtung, die sie auf die Gegenstände, mit denen sie ständig zu tun haben, anwenden konnten.

Inwiefern?

Die religiöse Tradition ist dort so umfassend, dass viele sich ein Leben lang immanent theologisch bewegen. Durch den Kontakt mit uns ist ein gewisser Riss in dieses große Gedankengebäude gekommen. Viele haben begriffen, dass man auch von außen auf die Dinge schauen kann, und fragen kann, was man eigentlich macht, wenn man zum Schrein des achten Imam oder zum Schrein Chomeinis pilgert.

Es gibt auch unter den Studenten einen Wandel?

Die Arbeiten der Studenten an der Uni in Qom zeigen, dass sie verstehen wollen, was bei uns im Westen passiert, und welchen Einflüssen der Islam historisch und zeitgenössisch unterliegt. Themen sind beispielsweise moderne feministische Theologie oder der Einfluss christlicher Mystiker auf islamische Mystiker oder auch die Pfingstler im Christentum. Es geht also in keiner Weise nur um den Beweis der positiven Eigenschaften Mohammeds. So etwas Unwissenschaftliches hatte ich hingegen auf einer Konferenz in Saudi Arabien erlebt.

Sie haben das Ziel des Dialogs also erreicht?

Unser Ziel ist es, mit Wissenschaftlern, die dort an religiösen Themen arbeiten, ins Gespräch zu kommen. Wir wünschen uns, dass sie von unseren Methoden lernen, und dass wir mehr über ihren religiösen Ernst lernen können. Für uns im säkularisierten Mitteleuropa ist es unvorstellbar, dass dort die Religion der alles bestimmende Faktor ist. Alle Beteiligten waren im Nachhinein der Meinung, dass dies gelungen ist. Es ist ein positiver Kontakt, den wir im kommenden Sommer mit einer Gegeneinladung fortsetzen wollen.

Gab es bei dem Forschungsaufenthalt im Iran auch eine überraschende Erkenntnis für Sie?

Mir fiel ins Auge, wie katholisch die Schiiten sind. Wenn man die Konfessionsfamilie der verschiedenen Muslime anschaut, sind die Schiiten das Pendant zu den Katholiken im Christentum, mit der Heiligenverehrung, den Bußriten, mit der Autoritätsstruktur über eine Kette von Personen, mit der üppigen Volksfrömmigkeit, mit einem Klerikerstand, der sich auf geistliche Macht beschränken und sich nie in Politik einmischen sollte, was bei den Schiiten jahrhundertelang so war – all das hat Entsprechungen im Katholizismus.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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