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Visueller Bibelkommentar: Die Diplomarbeit der FH-Studentin Ulrike Nießner ist mehr als ein Blickfang

Am Anfang ist die Schrift. Bisweilen hat die Wahl der Schriftart jedoch noch mehr Bedeutung als üblich. Etwa bei der prämierten Diplomarbeit der Potsdamer FH-Studentin Ulrike Nießner. Wie für alle Typographen war die Schrift für die Absolventin des Fachbereichs Design der Potsdamer Fachhochschule das wichtigste Werkzeug, als sie einen Textkörper formte, zumal sie inhaltlich auf das Thema „Schrift“ zu sprechen kommt.

Doch Schriftzeichen sind mehr als formschöne Zeichenträger, sie haben ihren eigenen Bedeutungsgehalt, hinter dem sich oft eine lange, verzweigte Geschichte verbirgt. Man nehme die Perpetua: Die Legende berichtet, dass ihre Namenspatronin, die Märtyrerin Perpetua, die „Beständige“, im dritten Jahrhundert auf Geheiß Kaiser Septimus Severus’ hingerichtet wurde. Weil sie ihren christlichen Glauben nicht verleugnen wollte, ward sie von wilden Rindern zertrampelt. Ende der 1920er Jahre entwarf der englische Graphiker Eric Gill eine an die römischen Inschriften der Trajansäule orientierte Schriftart, um die Legende von der Heiligen Perpetua in eine passende Form zu gießen und nannte sie nach der Protagonistin. Die Perpetua – ihrer Rundungen und Serifen wegen bereits bei ihrer Entstehung nicht gerade als modern zu bezeichnen – ist längst ein Klassiker unter den Schriften, ein beständiger Stein im Baukasten der Buchgestalter.

Ulrike Nießners Wahl, ihre Diplomarbeit ausgerechnet in Perpetua zu setzen, ist nicht nur eine ästhetische Entscheidung. Sie ist auch dem Thema der Arbeit geschuldet: „Sacra Pagina“ – Heilige Seite. Von der Frühzeit des Christentums bis heute ist die Bibel die das Abendland prägende Komponente. Deshalb habe sie das Thema, auch wenn sie selbst aus atheistischem Umfeld stammt, so fasziniert, erklärt die Potsdamerin.

Für die Graphikerin stand von vornherein fest, dass das Endergebnis nicht nur inhaltlich interessant, sondern auch graphisch ansprechend sein muss – den beeindruckenden Bibeln des Mittelalters gleich. Deshalb hat sie als Graphikerin die recherchierten Gestaltungsmerkmale aufgegriffen und spielerisch in die Buchgestaltung integriert. Denn die wichtigsten Prinzipien der Buchgestaltung sind von der Frühzeit, als Bücher noch von Hand geschrieben wurden, über die Zeit als Gutenberg den Buchdruck praktikabel machte bis zum heutigen Offset- oder Digitaldruck konstant geblieben: Ein Buch muss gut lesbar sein, Form und Inhalt in Übereinstimmung gebracht werden und dennoch dem Anspruch der Individualität gerecht werden.

Inhaltlich greift Ulrike Nießner einige Merkmale der Bibelgestaltung, heraus und untersucht diese. Nicht als Kunsthistorikerin, sondern als Typographin, ausgehend von der Frage, wie die ersten Bücher überhaupt aussahen und wie sie zu ihren Formaten kamen. Oft gehen die Formate, die teilweise bis heute weit verbreitet sind, auf die Notwendigkeit zurück, kostbare Tierhäute möglichst effektiv zu nutzen. Dennoch waren die Bücher, bevor der Buchdruck erfunden wurde, allein durch die Materialkosten und die handschriftliche Vervielfältigung extrem wertvoll, und so für normale Bürger unerschwinglich – aber individuell.

Wie eng die Verbindung zwischen Typographie und gesellschaftlichen Vorgängen bisweilen ist, zeigte sich etwa nach dem Dreißigjährigen Krieg, in dem Bleilettern zu Gewehrkugeln gegossen wurden und bei dessen Ende auch die Buchkultur daniederlag; oder nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ als die Frakturschrift fast ausschließlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wurde. Ein Problem, vor dem auch die Buchgestalter der Bibel standen und daher eine neue Type für die Heilige Schrift suchen mussten, die ebenso gut lesbar und Platz sparend war, wie die gewohnte.

Und heute? Mit Blick auf die Fülle von Rembrandt-, Chagall- oder Dix-Bibeln gerät die 26-jährige gebürtige Potsdamerin in Rage: Die heutige Buchgestaltung verachte oft die Wertigkeit eines Buches, versuche mit billigen Lederimitaten Kostbarkeit vorzutäuschen, statt eigenständige Wege zu finden, dem ideellen Wert eines Buches die angemessene Form zu geben, ereifert sie sich, um dann sogleich wieder die Zurückhaltung der Gestalterin an den Tag zu legen: „Vielleicht nehme ich mich und meine Aufgabe aber auch zu wichtig“.

Mit ihrer Diplomarbeit hat Ulrike Nießner einen Weg gefunden, Form und Inhalt zu verschmelzen und dem Leser ebenso wie dem bloßen Betrachter des Buches, das Thema der Bibel als Schlüssel zum abendländischen Kulturverständnis näher zu bringen. Dafür erhielt sie dann auch im vergangenen Dezember den Preis für hervorragende Diplomarbeiten der Potsdamer Fachhochschule.

Moritz Reininghaus

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