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Landeshauptstadt: Ballett mit Kettensäge

Vorbereitung auf die Landeswaldarbeitsmeisterschaften im Mai. Wettbewerb in fünf Disziplinen. Was zählt, sind Sicherheit, Präzision, Schnelligkeit

Vorbereitung auf die Landeswaldarbeitsmeisterschaften im Mai. Wettbewerb in fünf Disziplinen. Was zählt, sind Sicherheit, Präzision, Schnelligkeit Von Nicola Klusemann Mit Jaulen und Getöse fressen sich die scharfen Zähne der routierenden Kette durch den dicken Baumstamm. Waldarbeiter-Lehrling Marcel Koch schneidet das Holz mit der sechs Kilo schweren Motorsäge so sanft als halbiere er eine Sahnetorte. Vorbereitung auf den Landeswettbewerb der Waldarbeitsmeisterschaften Ende Mai in Paaren-Glien, bei denen Marcel Koch zusammen mit dem ebenfalls Auszubildenden Lars Silaf die Oberförsterei Potsdam vertritt. Die fünf Zentimeter dicke Holzscheibe fällt, die Stoppuhr steht. Mit einem Winkelmesser wird geprüft, ob die Lehrlinge die Säge im rechten Winkel zum Stamm gehalten haben. In einer Liste werden die erzielten Punkte notiert. Um die Konkurrenzsituation im Wettkampf zu simulieren, hatte sich gestern die Oberförsterei Auszubildende aus dem Berliner Forst dazu geholt. Die jungen Männer in schweren Schuhen, spezial-gefütterten Hosen, wattierten mit Leuchtfarben abgesetzten Jacken, Schutzhelm und Hörschutz maßen sich in fünf Disziplinen: Zielfällung, Entasten, Kettenwechsel, Kombination- sowie Präzisionsschnitt. Die verschiedenen Fertigkeiten seien der Praxis entliehen, erklärt Oliver Dossow, Lehrmeister Oberförsterei Potsdam und mehrfacher Deutscher Waldarbeitsmeister. Die Zielfällung gelte unter den Fünfen als „Königsdisziplin“. Der Stamm eines Baumes müsse so angeschnitten werden, dass der Riese genau in Richtung eines in fünfzehn Metern Entfernung aufgestellten Pflocks falle. Punktlandung wie beim Fallschirmsprung. „Wenn im Wald gefällt wird, darf der umfallende Baum schließlich auch keine Neupflanzungen oder sonstige Bäume beschädigen“, erläutert Dossow des Praxisbezug. Überhaupt zähle im Wettbewerb ebenso wie im Berufsalltag eines Forstwirts Sicherheit, Präzision und Geschwindigkeit. Zwei Lehrlinge stehen am Start, die Motoren der Kettensägen heulen auf. Vor ihnen liegt je ein Baumstamm mit dreißig astdicken Hölzern bespickt. Der Vorsitzende des Landesvereins Waldarbeitsmeisterschaften Berlin-Brandenburg, Mario Wistuba, hebt den Arm. Durch den Hörschutz dringt sein Ruf nicht, die beiden Kandidaten könne das Startsignal nur an der Armbewegung ablesen: „Auf die Plätze, fertig, los.“ Mit wahnsinniger Geschwindigkeit lassen die Azubis die Säge tanzen. Beim Entasten darf weder ein Stummel stehen bleiben, noch ein Einschnitt passieren. Während sie rechts, links und oben die Äste wegnehmen, bewegen sie sich nach vorne. Punktabzug gibt es auch für die falsche Schrittfolge. Der Baumstamm muss zwischen Bein und Sägeblatt sein, wenn der Wettstreiter einen Schritt macht. So werde vermieden, dass man sich mit der Kettensäge ins eigene Fleisch schneide, erklärt Lehrmeister Dossow den Lehrlingen. Mit konzentriertem Blick schreiten die beiden Konkurrenten voran: Wie bei einem Ballett sind Armbewegung und Schrittfolge auseinander abgestimmt, als Begleitung das helle Motorengeräusch. In weniger als einer Minute haben die Auszubildenden den Stamm von seinen Ästen befreit, allerdings nicht ganz ohne Einbuße von Punkten. Mancher Stummel ragt mehr als die erlaubten fünf Millimeter Toleranz über die rauhe Rinde hinaus. Solche Wettbewerbe seien ein guter Ansporn für den Arbeitsalltag, sagt der Vereinsvorsitzende Wistuba. Natürlich gehöre zum Tätigkeitsfeld des Forstwirts nicht nur das Baumfällen und Bearbeiten der Holzstämme. Waldarbeiter seien auch für die Neupflanzung, das Anlegen für Waldwege und Naturschutzmaßnahmen zuständig. Auch auf Feuertürmen während der höchsten Waldbrandstufe würden die Forstwirte als Beobachtungs- und Bewachungsposten eingesetzt. Obwohl die Waldarbeit zu einem der zehn gefährlichsten Berufe in Deutschland zähle – es gebe viele Unfälle mit der Kettensäge oder Verletzungen durch herabfallendes Astwerk – sei das Interesse daran groß. Auf die sechs Lehrstellen im Forstamt Belzig hätten sich 80 Schüler beworben, weiß Lehrmeister Dossow. Bei der Auswahl zum Vorstellungsgespräch zähle zunächst der Notendurchschnitt auf dem Abschluss-Zeugnis. „Wir hatten eine Spanne von 1,0 bis 3,0 angelegt.“ So seien 25 Bewerber übrig geblieben. Im Vorstellungsgespräch merke man schnell, ob sich jemand im Internet über den Beruf des Forstwirts informiert oder schon praktische Erfahrungen gemacht hat. Bessere Chancen habe natürlich die letzte Gruppe. „Wer als Schüler schon ein Praktikum in irgendeinem grünen Beruf gemacht hat und nicht nur einfach so die Natur und Tiere liebt“, werde gerne genommen. Zurzeit bilde die Oberförsterei Potsdam fünf Lehrlinge – aufgeteilt auf die drei Lehrjahre – aus. Obwohl die schwere Arbeit eher Männersache sei, habe man seit 1991 auch drei weibliche Auszubildende gehabt, die alle abgeschlossen und heute eine Anstellung hätten. „Geh mal auf Halbgas“, ruft Oliver Dossow zwischen zwei Startversuche. Lars Silaf kriegt die Kettensäge nicht an. Immer wieder zieht er am Starter, dann springt der Motor an. Als der Lehrling die Kettenbremse löst, säuft die Säge wieder ab. Ungeduld ist jetzt nicht sehr hilfreich. Unter den Augen der Umstehenden fällt das Ruhe-Bewahren nicht leicht. Da kommt der Tipp mit dem Halbgas ganz gut. Endlich bleibt die Säge an, sie wird jetzt mit Aufdrehen bei Laune gehalten. Es riecht nach unverbranntem Treibstoff. Ein Nachbar aus der Heinrich-Mann-Allee hat angerufen und sich wegen der Lärmbelästigung beschwert. Der Schiedsrichter aus Berlin lächelt müde. „Ist ja gleich vorbei“, sagt er Richtung Häuserblocks. Als Großstädter versteht man so etwas nicht. Marcel Koch und Lars Silaf sind Hoffungsträger. Auf jeden Fall Potsdams beste Waldarbeiter-Lehrlinge. Wer beim Landeswettbewerb am 21. /22. Mai in Paaren-Glien mit mehr als 1300 Punkten abschneidet, qualifiziert sich für die bundesdeutschen Wettkämpfe. Danach folgen die Weltmeisterschaften, die in diesem Jahr im September in Norditalien ausgetragen werden. Mannschaftskapitän ist Dossow. Deutschland ist seit 1989 bei den Waldarbeitsweltmeisterschaften dabei. Damals in Dänemark wurde das bundesdeutsche Team allerdings Letzter. Trotzdem trat es in den Folgejahren wieder an und erzielte 1994 in Rumänien Rang 3. Wer mehr über die Meisterschaften oder den Landesverein – der einzige, in dem zwei Bundesländer vereint sind – erfahren will, findet Infos unter www.waldmeisterschaften.de

Nicola Klusemann

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