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Kita-Gebühren in Potsdam: Auslegungssache

Ein neues Urteil des Landgerichts heizt den Streit um die zu hoch angesetzten Kita-Gebühren weiter an - womöglich gibt es weitere Fehler.

Potsdam - Um die zu hoch angesetzten Kita-Gebühren in Potsdam gibt es neuen Wirbel. Denn womöglich ist die seit Anfang 2016 gültige Potsdamer Kita-Beitragssatzung noch an anderer Stelle fehlerhaft. Es geht um die Ermäßigung für Geschwisterkinder und ein aktuelles Urteil des Landgerichts, was nun im Rathaus für weiteres juristisches Kopfzerbrechen sorgt – und die Frage aufwirft, ob der Stadt weitere erhebliche Mehrkosten drohen, weil sie Beiträge an Eltern erstatten muss.

Die Gemengelage ist komplex. In dem den PNN vorliegenden Urteil des Potsdamer Landgerichts hatte die Arbeiterwohlfahrt (Awo) als Potsdams größter Kita-Träger gegen ein Elternpaar geklagt, das wegen einer in der Kita-Satzung missverständlich formulierten Rabattregelung für Geschwister weniger Beiträge zahlen wollte. Es geht um folgende Formulierung der Kita-Satzung: „Haben Zahlungsverpflichtete mehrere unterhaltsberechtigte Kinder, verringert sich der Elternbeitrag für Eltern mit einem Kind um jeweils 20 Prozent pro Kind.“ Die besagten Eltern mit insgesamt drei Kindern hatten daraus abgeleitet, dass sie nun für ihr erstes Kita-Kind gleich 60 Prozent weniger Gebühren zahlen müssen. Die Awo hatte – unter Berufung auf das Rechtsverständnis aus dem Rathaus – aber nur 40 Prozent Rabatt gewährt.

Ein weiteres Urteil legt die Satzung anders aus

Doch dem Rathaus folgte das Landgericht nicht – und berief sich dabei auf ein erstinstanzliches Urteil des Amtsgerichts vom Oktober 2017. Die Satzung sei so auszulegen, „dass sich der Elternbeitrag für jedes unterhaltsberechtigtes Kind der Eltern verringere“, heißt es in dem Urteil mit dem Aktenzeichen „7 S 162/17“. Dies ergebe „sich eindeutig aus dem Wortlaut der Regelung“. Die Stadt argumentiert anders, aus ihrer Sicht wollte man mit der Rabattregel nicht dermaßen überproportional entlasten. Allerdings gelte, wenn eine Regelung mehrere Auslegungsmöglichkeiten zulasse, dass die für den Kunden günstigere Variante vorzusehen sei, so das Urteil.

Bemerkenswert ist: Schon Mitte 2016 hatte die Awo die Sozialverwaltung gewarnt, dass es wegen der auslegbaren Formulierung bereits Rechtsstreitigkeiten mit Eltern gebe. Die Verwaltung hatte damals die strittige Formulierung so belassen, aber noch einmal per Rundbrief über die aus ihrer Sicht richtige Handhabung der Ermäßigungen informiert. Demnach gilt aus Sicht der Stadtverwaltung, dass zum Beispiel bei zwei unterhaltsberechtigten Kindern, beide 80 Prozent des eigentlichen Beitrags zahlen müssen. Aus Sicht der klagenden Eltern wären hier aber nur jeweils 60 Prozent der Beiträge fällig. So interpretiert auch die Awo das Urteil.

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Bis Mitte nächster Woche sollen die Stadtverordneten entscheiden, ob in Potsdam die Kita-Gebühren – nach der Erhöhung 2016 – wieder deutlich gesenkt werden. Als erstes Gremium berät darüber am heutigen Mittwochabend der Finanzausschuss, es folgt am Freitagnachmittag eine Sondersitzung des Jugendhilfeausschusses. Am kommenden Mittwoch ist das Votum der Stadtverordneten vorgesehen. Zudem hat die Fraktion Die Andere in Richtung Stadtverwaltung beantragt, dass „von Eltern seit 2014 zu viel gezahlte Kita-Elternbeiträge unverzüglich zurückerstattet werden sollen“. Die anderen Fraktionen haben beantragt, dass das Rathaus zunächst unter anderem bis September die finanziellen Auswirkungen auf den Kommunaletat darstellen muss – als eine Entscheidungsgrundlage.

Die Awo reagierte bereits am Dienstag und versendete einen Elternbrief an rund 3000 Kunden. Darin machte der Sozialträger deutlich, dass das Urteil des Landgerichts in die Diskussion zur Rückzahlung der vom Rathaus ohnehin zu hoch angesetzten Elternbeiträge einbezogen werden müsste. Sollte die Politik sich zu keinem Erstattungsverfahren durchringen können, wolle man selbst die Beträge ermitteln, „die nach unserer Auffassung von Ihnen zu viel gezahlt wurden“, so die Awo an die Eltern. Diese komplexen Berechnungen hoffe man bis Ende August fertigzustellen und dem Jugendamt vorlegen zu können. Allerdings benötige man für konkrete Rückzahlungen erst eine Finanzierungsgrundlage aus dem Rathaus.

Auch die Politik reagierte. So warf die Oberbürgermeisterkandidatin der Linken, Martina Trauth, der Stadtverwaltung vor, über Jahre und wider besseres Wissen an der strittigen Formulierung festgehalten zu haben. „Das Beharren kommt die Stadt nun teuer zu stehen.“ Denn nun kämen neue Rückzahlungsansprüche von Eltern mit mehr als einem unterhaltsberechtigten Kind dazu, so Trauth.

Doch in der Stadtverwaltung gibt man sich zurückhaltend. „Das Urteil wird geprüft“, sagte Stadtsprecher Jan Brunzlow. Das Urteil richte sich aber ausdrücklich nicht gegen die Satzung der Landeshauptstadt oder die Geschwisterkindregel. „Wir gehen derzeit davon aus, dass es keine weiteren Auswirkungen hat.“ Denn das Gericht habe die Rabattregel nicht grundsätzlich als falsch angesehen, sondern nur die von den Eltern erfolgte Auslegung bestätigt. „Aus unserer Sicht ist es machbar, bei einer möglichen Neufassung der Elternbeiträge rückwirkend die Regelung dahingehend zu präzisieren, dass sie nicht anders als von uns gewollt interpretiert werden kann.“

In der geplanten Empfehlung für gesenkte Kita-Gebühren – über die die Stadtverordneten jetzt in einem Sitzungsmarathon entscheiden sollen (siehe Kasten) – sei die strittige Regelung angepasst. Zudem habe man alle anderen freien Träger angefragt, wie diese bei den Rabatten verführen und ob sie den Empfehlungen der Stadt folgten. Auch mit der Awo wolle man nochmals sprechen, so Brunzlow.

Der Potsdamer Universitätsprofessor und Kommunalrechtsexperte Thorsten Ingo Schmidt stützte die Auffassung der Verwaltung. Aus dem Rabatturteil ergebe sich „kein Automatismus“, dass die Awo nun in jedem Fall von der Stadt eine Erstattung erhalte, sagte er den PNN auf Anfrage. Im Klartext: Das müsste im Zweifel auch ein Gericht entscheiden.

Die Awo wiederum bekräftigte in ihrem Elternschreiben, Elternvertreter hätten im Herbst 2017 mittels einer erzwungenen Akteneinsicht herausgefunden, dass das Rathaus seit 2016 überhöhte Elternbeiträge gefordert habe. Hier müssten die Stadtverordneten nun ein Verfahren zur Rückzahlung festlegen, forderte der freie Sozialträger.

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