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Kino radikal erneuern – nichts Geringeres hat das Team von Golo Schultz vor. Sogar eine neue Bewegung haben die Babelsberger Filmstudenten ausgerufen: Fogma. Jetzt feierte der erste Fogma-Film Premiere

Eine Woche, bevor das Filmteam in das Kurhaus Arenshoop einzog, begannen die Schauspieler mit der Arbeit. Als Praktikanten schufteten die Hauptdarsteller Lana Cooper und Franz Rogowski mehr als zehn Stunden in dem Hotel an der Ostsee – sie in der Küche und er im Spa. Für den Dreh sollten sie keine Rollen spielen, sondern das echte Leben darstellen: Der Beginn einer Liebe zwischen zwei ungleichen Charakteren. Das war die Idee des Teams um Regisseur Jakob Lass von der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) Konrad Wolf.

In diesen Tagen feierte der Film, der so entstanden ist, „Love Steaks“, gleich doppelt Premiere: Beim Filmfest in München, wo die HFF-Filmcrew am heutigen Freitag auf vier Preise hoffen kann, und bei den internationalen Filmfestspielen in Karlovy Vary – Preisverleihung ist dort am morgigen Samstag. Für den Produzenten Golo Schultz, Jahrgang 1990, hätte es besser nicht laufen können. Zwar hätte man sich mit dem 89-minütigem Spielfilm auch beim prestigeträchtigen Festival Cannes beworben. Dass sie dort nicht angenommen wurden, findet aber der Student in Film- und Fernsehproduktion nicht schlimm: „In Cannes wären wir untergegangen“, sagt Schultz.

Denn die Studenten wollen Aufmerksamkeit für ihren Film und ihre Art, zu arbeiten. Deswegen haben sie gleichzeitig mit der Weltpremiere eine neue Bewegung ins Leben gerufen: Fogma. Angelehnt an das Manifest des Dogma-Kinos um den dänischen Regisseur Lars von Trier aus dem Jahr 1995 wollen sie alle gängigen Konventionen über den Haufen werfen: Die Hierarchie am Set, die Produktionsbedingungen, die Erzählweise – kurz: die gesamte Filmpraxis.

Dass etwa Schauspieler vor ihrer Arbeit am Set sich ein Einblick in die Berufswelt ihrer Rollen verschaffen, ist nichts Neues. Anders als bislang üblich blieben die Hauptdarsteller aber auch für den Dreh in ihrem Praktikum. „Wenn man 13 oder 14 Stunden am Tag arbeitet, dann kommt man nicht auf die Idee zu schauspielen“, sagt Golo Schultz. Selbst an den freien Tagen musste Lana alias Lara wieder in die Küche und Franz alias Clemens an die Massageliege. Und wenn die Klappe für die Kamera schlug, dann nicht nur für die Schauspieler, sondern für alle im Hotel.

So basiert der Film denn auch nicht auf einem fertigen Drehbuch – geschriebene Dialoge gibt es nicht –, sondern es existiert lediglich ein dramaturgisches Skelett. Ein reiner Improvisationsfilm will „Love Steaks“ aber auch nicht sein. Stattdessen nimmt sich das Team von allem, was gefällt: „Die starke Narration eines Drehbuchfilms, die Frische und Spielfreude eines Improfilms und die authentische Absurdität eines Dokumentarfilms“, heißt es im Fogma-Manifest.

Das Manifest ist für die HFF-Crew die Bibel des Filmemachens – mit Regeln und Praxisanweisungen. Zwölf Prämissen sind darin aufgelistet, etwa: „Fogma ist Flow – die Balance zwischen Über- und Unterforderung“. Denn nicht zuletzt geht es den HFF-Studenten darum, die gängigen Arbeitsbedingungen am Set infrage zu stellen. Ein neues Generationenbild der Kinomacher wollen die Fogma-Filmer entwerfen. Statt Selbstausbeutung wollen sie gemäßigte und gesunde Arbeit: zwei Drehblöcke zu je vier Stunden, bei Überschreitung wird am nächsten Drehtag gekürzt. Außerdem bestehe „Sportpflicht am Set“. Statt Hierarchie soll es kollektive Prozesse geben, statt von Druck spricht Schultz lieber vom Fluss der Energien.

Auf die „behäbige Apparatur des Kinomachens“, wie Schultz es nennt, hat es die neu ausgerufene Fogma-Bewegung abgesehen. An den hohen Produktionskosten will Schultz allerdings nicht unbedingt rütteln. Anders als das Kino des Axel Ranisch etwa – der HFF-Absolvent machte mit „Dicke Mädchen“ international Schlagzeilen – solle es „kein Low-Budget-Kino mit Handkamera-Mühlen“ werden, sagt Schultz, sondern durchaus Middle- und High-Budget-Produktionen. „Ich kann mir auch vorstellen, einen Fogma Film mit Stars zu machen.“

Bei alldem geht es für die Studenten auch darum, innerhalb des Wirtschaftssystems Film ihren Weg und ihren Platz zu suchen. Das Fogma-Manifest ist letztlich nichts anderes als eine Art Selbstfindung. Aber auch Selbstbehauptung. Denn das Geschäft ist hart: Im Fach Regie, erzählt Schultz, würden von den zwölf Studenten in der Klasse vielleicht drei später im Beruf landen. Im Bereich Produktion sieht es nicht besser aus. „Das ist ein schwieriges Geschäft“, so Schultz. „Das lastet schon auch auf vielen.“ Der Zukunftsangst setzen er und das Team um Regisseur Lass ein neues cineastisches Denken, aber auch lautes Marketing und ausgefeilte Strategien entgegen: große weiße Plakate, auf denen lediglich Fogma zu lesen war, eine gezielte Lancierung des Manifests – erst zur Weltpremiere in München erschienen die Fogma-Regeln auf der Webseite.

Ob damit wirklich eine Bewegung, bei der auch andere Filmemacher mitspielen, zustande kommt, wird sich zeigen. Klar ist allerdings, dass Schultz und die anderen Fogma-Filmer als Nächstes, ganz althergebracht, auf einen Verleih angewiesen sind, damit ihr erster Film ins Kino kommt und ein Publikum findet.

Grit Weirauch

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