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Landeshauptstadt: Auf der Suche nach kolonialen Spuren

Der Potsdamer Student Leo Hinz ist einer von zehn Deutschen, die zwei Wochen lang gemeinsam mit jungen Kamerunern in Westafrika deutsche Kriegsgräber erforschen

Mehr als 5000 Kilometer südlich reist Leo Hinz, um sich mit deutscher Geschichte zu beschäftigen. Der 22-jährige Potsdamer Student fliegt zusammen mit neun weiteren jungen Deutschen nach Kamerun, um die noch bestehenden Gräber der deutschen Kolonialzeit zu erforschen. „Die Vorstellung ist schon komisch, dass ich so weit weg von hier auf Spuren der deutschen Vergangenheit stoßen werde“, beschreibt der junge Mann seine Gedanken kurz vor der Abreise.

Am Samstag geht es los, zwei Wochen wird die Gruppe in Kamerun bleiben. Das besondere des Programms des Volksbundes deutscher Kriegsgräberfürsorge: Vor Ort treffen die Deutschen auf zehn junge Kameruner. Gemeinsam beschäftigen sie sich mit der Kolonialgeschichte und mit den Spuren, die diese bis heute hinterlässt. Aber auch andere Themen wie Vorurteile und Rassismus sollen eine Rolle spielen. Leo Hinz freut sich darauf, mit den Kamerunern zu arbeiten: „Dadurch erhoffe ich mir einen anderen Blick auf das Thema, aber auch die Möglichkeit, das Land intensiver kennen zu lernen.“

Genau deshalb hat der Volksbund auch diesen Ansatz gewählt. „Wir wollten auf keinen Fall, dass sich die deutschen Teilnehmer dort nur auf touristische Pfade begeben“, sagt Heike Baumgärtner, die sich beim Volksbund um internationale Jugendbegegnungen kümmert. Es ist ihr erstes Projekt mit einem Land aus Subsahara-Afrika. Der Anlass sei die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg. Vor bald 100 Jahren setzte der Versailler Vertrag 1919 auch dem deutschen Kolonialismus ein Ende, Kamerun und die anderen Kolonien trat Deutschland ab.

Gefördert wird das deutsch-kamerunische Projekt durch das Bundesentwicklungsministerium. In der internationalen Friedensarbeit leiste es, so Baumgärtner, auch einen Beitrag zur so genannten „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ der UN.

Die zehn deutschen Teilnehmer, die aus zahlreichen Bewerbern ausgewählt wurden, reisen zunächst in die Hauptstadt Jaunde. Dann führt die Tour in verschiedene Städte an der Küste. Die Gräber, die die Gruppe aufsuchen wird, sind Grabstätten von den deutschen Schutztruppen. Ab 1884 war das westafrikanische Land deutsche Kolonie. Bei einigen Kameruner Teilnehmern ist die Geschichte auch mit ihrer Familienhistorie verbunden: Bei manchen heißen die Großväter Herbert, Otto oder Werner.

In Kribi, der letzten Station auf der Reise, liegt ein deutscher Friedhof, der von einem älteren Herrn vor Ort gepflegt wird. „Dort steht auch eine ehemalige deutsche Kirche mit Wandgemälden und Schriften auf Deutsch“, erklärt Baumgärtner. Dort werden die Teilnehmer sich die Gräber anschauen, die Inschriften, und über Gedenkarbeit sprechen.

Früher konnte Leo Hinz mit Kolonialgeschichte nicht besonders viel anfangen. „Mein Vater hatte viele historische Bücher dazu. Ich habe ihm immer gesagt: Was willst du mit dem alten Zeug?“ Doch nach dem Abitur entschied er sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr auf Usedom, in einer Internationalen Jugendbegegnungsstätte des Volksbundes, direkt neben einer Kriegsgräberstätte. Anschließend studierte er Politik, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam. „Politik und Geschichte sind eng verknüpft, mein Interesse wuchs, und mit der Diskussion um die Frage des Völkermordes in Namibia gewann die Kolonialgeschichte wieder an Aktualität“, so Hinz.

Von dem Projekt für 20- bis 25-Jährige erfuhr er über einen Mailverteiler. Schon vor dem Abflug hat sich der 22-Jährige intensiv vorbereitet. „Ich habe viel gelesen, YouTube-Videos geschaut, aber ich weiß natürlich noch gar nicht, wie es sein wird, das vor Ort zu erleben“, sagt er. Hinz war noch nie auf dem afrikanischen Kontinent, musste eine Reihe von Impfungen und eine Malariaprophylaxe durchführen.

„Ich habe in meinem Leben noch nicht so viele Tabletten genommen“, so der Potsdamer Student. Auch ein Kostenfaktor: Neben dem Eigenbeitrag von 700 Euro für das Projekt müsse er mindestens noch einmal genau so viel für die Medikamente, Impfungen, Mückenspray und weitere Ausgaben rechnen. Seine Eltern haben etwas beigesteuert, er selbst verdient sich durch einen Studentenassistenzjob etwas dazu.

Bei der Reise nach Kamerun soll es nicht bleiben. Geplant ist das Projekt als Austausch. Im kommenden Sommer sollen die Kameruner nach Deutschland kommen. Denn die Begegnungen und die Beschäftigung mit den Spuren der kolonialen Vergangenheit sollen, so wünscht es sich Organisatorin Heike Baumgärtner, auch nachhaltig wirken: „Bei den Teilnehmern hinterlassen solche Projekte meist bleibenden Eindruck, sie beeinflussen ihre Einstellungen und es bilden sich auch persönliche Bindungen.“

Auch Leo Hinz hat durchaus Interesse daran, sich mit Themen, die sich aus der Begegnung ergeben, weiter zu beschäftigen: „Ich kann mir auch vorstellen, später in der Entwicklungszusammenarbeit anzufangen.“

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