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Landeshauptstadt: Keine Ordnung und viel Chaos

Potsdamer Messies treffen sich in Selbsthilfegruppe – Clutter-Body hilft

Potsdamer Messies treffen sich in Selbsthilfegruppe – Clutter-Body hilft Von Günter Brüggemann In der Wohnung herrscht blankes Chaos. Überall ist ein totales Durcheinander. In den Räumen lebt ein so genannter Messie. Er leidet unter einer psychischen Störung, die sich in chronischer Unordnung, Desorganisation und schlechtem Zeitgefühl ausdrückt. Messies bekommen diese Probleme nicht in den Griff. Viele von ihnen sind daher verzweifelt, zuweilen depressiv, gestresst und häufig sozial isoliert. Messies brauchen keine Ratschläge vom Kaliber: „Räum“ doch einfach mal auf“, sondern qualifizierte Hilfe und Beratung. Die Selbsthilfegruppe Potsdam der Anonymen Messies (AM) versucht, den Betroffenen Informationen über mögliche Hintergründe der psychischen Störung und über Therapieansätze zu geben. In der Gruppe erzählen Messies über sich und lernen voneinander, mit ihrer Lage umzugehen. Die Selbsthilfegruppe existiert mit Unterbrechungen seit fünf Jahren. Franziska M. ist zum ersten Mal dabei. Ihre Drei-Zimmer-Wohnung ist mit Kleidungsstücken, Papier, Blumentöpfen und Büchern „vollgemüllt“, wie sie sagt. Sie kann endlich über ihre Probleme sprechen. Der Alltag der arbeitslosen Frau ist inzwischen ganz auf das Zuhause fixiert, sie setzt sich mit dem Vorsatz „Ich muss Ordnung machen“ unter Druck – und kann den Traum einer aufgeräumten Wohnung doch nicht in die Tat umsetzen. Versuche enden damit, dass sie sich nach dem Motto: „Wer weiß, wofür ich die Dinge noch brauche“ nicht trennen kann von Gerümpel. Sie ist am Ende. Mit Blick auf den bevorstehenden Besuch eines Freundes durchziehen sie schon jetzt Angstgefühle. „Was wird er über mich denken?“, schämt sie sich für das Chaos in der Wohnung. Das Wort „Messie“ ist von dem englischen Begriff „mess“ abgeleitet, der soviel heißt wie Unordnung. Paula B. wirft ein, dass der „Schrecken aller Messies“ der Heizungsableser ist, dessen angekündigte Besuche jedes Mal Aufräum-Stress auslösen. Viele Messies glauben, dass Ordnungschaffen viel mehr Zeit in Anspruch nimmt als es dies wirklich tut. Nicht wenige sind Perfektionisten und scheitern an ihrem hohen Anspruch, alles am rechten Platz zu haben. Das Gefühl, völlig überfordert zu sein mit dem Wegräumen von Essenresten, Unterlagen, Büchern sowie sauberen und schmutzigen Kleidungsstücken hat Martha H. mittlerweile überwunden. In der Zeit dazwischen: zahlreiche Psychotherapien, ein Klinikaufenthalt und eine drohende Insolvenz. Denn H. konnte auch nicht mit Geld umgehen. Während ihre Wohnung noch vor vier Jahren „im Müll erstickt“, das Bett zur Hälfte zugestapelt und ihr kleiner Sohn fast ohne Bewegungsspielraum war, ist die Frau heute „normal unordentlich“. Sie steht zu ihrem „Messie-Sein“ und sagt selbstbewusst: „Ja, ich habe diese Macke.“ H. erzählt von den Etappen auf dem „Weg der Besserung“. Dabei schwingt die Hoffnung mit, dass sie Franziska M. Mut machen kann. Als H. ihre Depressionen auf das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) zurückführen konnte, ist ein erster Wendepunkt erreicht. Merkmale sind etwa Ablenkbarkeit, Verdrängung und Vergesslichkeit. Die Fachwelt diskutiert ADS im Zusammenhang mit dem Messie-Syndrom. Ein 14-tägiger Aufräum-Marathon mit ihrer Mutter, die von Martha H. als „Cleanie“ bezeichnet wird, ist ein weiterer kleiner Anstoß raus aus dem heillosen Durcheinander. Um dem zu entfliehen, halfen auch Grundregeln. Martha H. zählt auf: Da ist die Drei-Kisten-Methode. In den ersten Karton gehören Sachen, die weggeschmissen werden müssen. Die zweite Kiste trägt das Etikett „Ich weiß nicht“, die Dritte die Aufschrift „Behalten und Einsortieren“. Ein anderes Prinzip ist, nur dann Dinge zu kaufen, wenn dafür andere entsorgt werden. Außerdem helfe ein Aufräumkumpel. Mit dem so genannten Clutter-Buddy könne die Kontrolle des heimischen Chaos zur geselligen Angelegenheit werden.

Günter Brüggemann

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