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„Da folgte ich meinem Gewissen.“ Gebhard Falk, verheiratet, fünf Kinder, zehn Enkel, ein Urenkel, vor seinem Haus.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Kein Held für einen Tag

Gebhard Falk stimmte 1968 gegen den Abriss der Garnisonkirche. „Menschlich“ handelte er vorher wie nachher

Wie ist es, im entscheidenden Moment seines Lebens nicht versagt zu haben? Das getan zu haben, was heute als mutige Tat gilt, als Beweis für Rückgrat in einer Zeit, als viele sich durchs Leben wanden, weil der gerade Weg versperrt schien? Der kleine Mann wirkt unsicher. Er antwortet zögerlich, ausweichend. Was soll er auch sagen? Schon die Frage ist falsch gestellt. Gebhard Falk war 40 Jahre alt, als er am 26. April 1968 als einer von vier Stadtverordneten gegen den Abriss der Garnisonkirche stimmte. Dabei hatte er bis dahin, „menschlichen“ Leitmotiven folgend, in seinem Leben viele Entscheidungen getroffen. Leitmotive, die ihm auch an jenem Tag im April 1968 gute Dienste leisteten, auf den reduziert zu werden jetzt die Gefahr besteht. Jetzt, da der Wiederaufbau der Garnisonkirche in greifbare Nähe rückt.

Einige seiner heutigen liberalen Parteifreunde sehen für ein richtiges Leben in der DDR eigentlich nur zwei Möglichkeiten: „Abhauen oder einsperren lassen“. Abhauen ging nicht wegen seiner Mutter „und einsperren lassen wollte ich mich auch nicht“, sagt Falk. „Also musste man sehen, wie man durchkam.“

Dabei saß er wirklich einmal ein, wenn auch nur wenige Stunden. In Plauen im Vogtland, wo Gebhard Falk das Gymnasium besuchte, waren er und seine Mitschüler zur Demonstration am 1. Mai 1946 erschienen, ins Knopfloch hatte sich jeder eine gelbe Löwenzahn-Blume gesteckt. Das geschah mehr aus einer Laune heraus, nicht weil sie eine bewusste Anti-Haltung gegenüber der roten Nelke hegten. Die „Löwenzahn-Bande“ wurde im Polizeikeller verhört, gegen Mitternacht aber freigelassen. „Wir müssten euch jetzt Essen geben, haben aber nichts, geht nach Hause“, sagte der Polizeichef.

In Reaktion darauf trat er noch als Schüler 1946 in die ein Jahr zuvor gegründete LDP ein, die Liberal-Demokratische Partei. Da war die FDP, die nun Falks 65-jährige Parteimitgliedschaft feiert, noch gar nicht gegründet. Damals wollte er zeigen, dass er kein Werwolf ist, kein Hitler-Anhänger. Zur Erläuterung: 1946 wurden drei Potsdamer Gymnasiasten erschossen, weil sie den obligatorischen Russisch-Unterricht verweigerten. Falks Geste, der Eintritt in eine neue demokratische Partei, zielte nicht unbedingt auf die Förderung der Karriere. „Wir waren noch froh“, sagt der 83-Jährige, „wenn wir nicht Karriere machen mussten.“

Eine CDU-Mitgliedschaft fiel aus, weil Falk die Vermengung von Religion und Politik nicht wollte. Die KPD kam deshalb nicht infrage, weil Falks Vater als NSDAP-Mitglied in den Waldheimer Prozessen im Schnellverfahren, ohne Verteidiger, ohne Zeugen, zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde. In Falks Arbeitszimmer hängt eine Porträtzeichnung, die seinen Vater im Profil zeigt. Ob dieser als Soldat Verbrechen begangen habe? „Nicht dass ich wüsste“, sagt Falk. 1953, kurz nach der Freilassung, ist sein Vater an Tuberkulose gestorben. Nach 1990 schickte das Landgericht Chemnitz eine Bescheinigung, wonach das Urteil gegen seinen Vater Unrecht war. Mit Schwarz-Weiß-Denken war dieser nicht zu fassen. Als alle Lehrer seiner Schule 1933 in die NSDAP eintreten sollten, wurde Falks Vater von den Nationalsozialisten noch zurückgewiesen – weil er mit seinen Schülern im Unterricht Remarques „Im Westen nichts Neues“ behandelte. Erst 1937 wurde er NSDAP-Mitglied, weil er Leiter des Plauener Museums sein wollte.

Falk entschied sich also für die LDP. Der Kreisvorsitzende von Plauen war ein Buchhändler. In Falks Arbeitszimmer ächzen die Bücherregale unter der Last. „Ich bin ein Büchermensch“, bekennt Falk, ein Buchhändler konnte in seinen Augen nicht völlig falsch liegen.

Das Studium in Halle überstand Falk auf der Basis völliger Bedürfnislosigkeit. Das Zimmer war unbeheizt. Früh um 7 Uhr ging er in die Uni, dort war es warm. In der Bibliothek blieb er „bis zum Rausschmiss“. „Wir haben intensiv studiert, wir hatten keine Wahl.“ Schlimm waren die Winterwochenenden. Da saß er mit der Vermieterin, die ihren Sohn im Krieg verloren hatte, vor dem Küchenherd. „Ich wollte lesen, sie reden.“

Über den Jenaer Weinanbau als Wirtschaftsfaktor im 13. bis 19. Jahrhundert promovierte Falk 1955. Er wühlte sich durch Archive, las Steuerakten in spätgotischer Handschrift. Jetzt, 56 Jahre später, wird seine Doktorarbeit auf Drängen der neuen Jenaer Weinbauern gedruckt. Weil das Schreibmaschinen-Exemplar in der Bibliothek völlig zerlesen ist. Der Verlag wollte Falks riesigen Anmerkungsapparat eigentlich nicht mitdrucken, doch Falk insistierte, als Reaktion auf die Promotions-Probleme seiner Parteikollegin Silvana Koch-Mehrin ebenso wie die von Karl-Theodor zu Guttenberg.

Als LDP-, später LDPD-Mitglied hätte Falk in der DDR eventuell Professor werden können. Da er aber die GST ablehnte, die Gesellschaft für Sport und Technik, war das nicht möglich. So wurde Falk Archivar in Potsdam, am heutigen Landeshauptarchiv. Dem Parteisekretär, ein humanistisch gesinnter alter Kommunist, brachte Falk das Einmaleins des Archivwesens bei. In seiner Akte fand Falk später diesen Eintrag: „Dr. Falk ist der Einzige, der mich ernst nimmt“. Falk sagt, er habe „versucht, menschlich zu handeln“.

Von 1961 bis 1978 war Falk Stadtverordneter. In der Kommission Kultur und der Kommission Denkmalpflege haben sie „sehr sachorientiert diskutiert“, erinnert er sich. Nur dass die SED-Genossen außerhalb oft zu feige waren, dazu zu stehen, wovon sie fachlich eigentlich überzeugt waren. So war das auch mit der Garnisonkirche. Die Fernwärmeleitung war nur ein Vorwand für den Abriss, tatsächlich macht sie bis heute einen Bogen um das Kirchenfundament. Bei Belanglosigkeiten hat auch Falk nicht die Konfrontation gesucht. Doch sich an der Kirche rächen für das, was dort einmal passiert ist? Falk: „Da folgte ich meinem Gewissen“.

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