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Das „Restaurant Hiemke“ um 1900 auf der Wallstraße, heute Karl-Gruhl-Straße. 

© Stefanie Zander

Kalender von Peter Rogge: Als das Bier mit der Kutsche kam

Wo die Potsdamer vor 100 Jahren speisten: Peter Rogge präsentiert in seinem Wandkalender für 2020 historische Aufnahmen von Gaststätten.

Potsdam - Da posieren sie für den Fotografen. Die zwei Damen am Tisch tragen Hüte. Während die Frau mit dem langen weißen Kleid eine eher klassische Kopfbedeckung trägt, wirkt der Hut ihrer schwarz gekleideten Tischnachbarin recht extravagant. Er sieht ein wenig so aus, als habe man versucht, aus Weißkohlblättern eine Pyramide zu formen. Auch das Kind am Tisch trägt – natürlich – einen Hut. Hinten im Raum mit seinem reich verzierten Interieur hat sich Personal aufgereiht. Sicherlich sorgsam arrangiert vom Fotografen, gleichsam hineingestellt in den verspielten Charme dieses gastlich anmutenden Ortes. Es ist die Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert.

Die Potsdamer Hofconditorei Kessner, das heutige Café Heider am Nauener Tor.
Die Potsdamer Hofconditorei Kessner, das heutige Café Heider am Nauener Tor.

© unbekannt

Entstanden ist dieses Foto in der Potsdamer Hofconditorei Kessner, dem heutigen Café Heider am Nauener Tor. Im neuen Potsdam-Kalender für 2020 von Peter Rogge ziert diese historische Aufnahme aus der Zeit um 1900 das Novemberblatt. Der Potsdamer Grafikdesigner, der seit Jahren thematische Wandkalender mit alten Aufnahmen aus Potsdam herausbringt, hat sich dieses Mal historischen Gaststätten gewidmet.

Peter Rogge.
Peter Rogge.

© Andreas Klaer

Die Recherche des Bildmaterials für den Kalender habe sich schwieriger gestaltet als zunächst angenommen, sagt Rogge. „Ich dachte, ich gehe zu den Gaststättenbesitzern und kriege ein Haufen Fotos.“ Doch so einfach war es nicht. Zumal mehrere angestammte Restaurants in den vergangenen Jahren ihren Besitzer gewechselt hatten oder ganz geschlossen wurden, wie Rogge berichtet. „Sie waren plötzlich nicht mehr greifbar“. Gern hätte er zum Beispiel ein historisches Fotos vom „Froschkasten“ in der Kiezstraße in seinen Kalender aufgenommen. Das klappte also leider nicht. Letztlich habe er, so Rogge, nur noch zwei Potsdamer Gaststätten gefunden, bei denen er Kontakt zu den Familien der historischen Betreiber aufnehmen konnte. Jenen Familien, die vor mehr als 100 Jahren die Gastlichkeit in Potsdam beziehungsweise Babelsberg und Bornstedt prägten. So sprach Rogge mit einem Angehörigen der Familie Rabien, die das heutige Café Heider in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Café Rabien betrieb. Und der Kalendermacher nahm Kontakt auf mit den Nachfahren von Otto Hiemke, der die heute unter dem Namen „Restaurant Hiemke“ bekannte Babelsberger Gaststätte 1896 gegründet hatte. In Rogges Kalender für 2020 ist auf dem Oktoberblatt eine herrliche Außenaufnahme dieses Lokals zu sehen, aufgenommen um 1900. Auf der Wallstraße, heute Karl-Gruhl-Straße, hält im Bild direkt vor der – wie es auf dem Schriftzug an der Fassade heißt – „Restauration & Kegelbahn von Otto Hiemke“ ein Pferdewagen. Auf der Ladefläche liegen Bierfässer. Links im Bild ist Otto Hiemke zu sehen, auch einige Kinder stehen an der Bierkutsche auf der Straße, die damals offenbar noch eine richtige Sandpiste war.

Ein beliebter Ort für eine Einkehr war um 1900 auch der Biergarten des „Restaurant Templin“, dem heutigen „Forsthaus Templin“. 
Ein beliebter Ort für eine Einkehr war um 1900 auch der Biergarten des „Restaurant Templin“, dem heutigen „Forsthaus Templin“. 

© Thomas Köhler

Nicht in Rogges Kalender geschafft hat es hingegen ein Foto vom Innern des einstigen Residenz-Restaurants an der Ecke Nauener Straße (heute Friedrich-Ebert-Straße), Brandenburger Straße. Diese Lokalität besaß eine optisch sehr ansprechende Inneneinrichtung. „Das ist eines der schönsten Jugendstil-Interieurs in Potsdam gewesen“, sagt Rogge und kann sich dabei auf ein erhalten gebliebenes Foto beziehen, das die ausladende Pracht des Jugendstils in der Gaststätte offenbart.

Für seinen neuen Kalender hat sich Rogge stattdessen für eine Außenaufnahme des Residenz-Restaurants entschieden. Auch sie ist interessant - besonders für Freunde der historischen Straßenbahnen in Potsdam. Denn auf dem um 1905 entstandenen Foto ist zu erkennen, dass zur damaligen Zeit die Straßenbahn von der Nauener Straße aus in die Brandenburger Straße in Richtung Richtung Potsdam-West fuhr. Dort wo heute Fußgänger durch Potsdams zentrale Flaniermeile wandeln, fuhr zu Kaisers Zeiten die Pferdebahn durch. Allerdings wurde die Trasse im Zuge der Elektrifizierung schon 1907 in die Charlottenstraße verlegt.

Am Forsthaus Templin.
Am Forsthaus Templin.

© unbekannt

Ein ebenfalls spannendes Detail findet sich auf dem Kalenderblatt für September. Die Aufnahme zeigt in der Bornstedter Victoriastraße (heute Ribbeckstraße) an einem Giebel ein Schild mit der Aufschrift „Special Ausschank der Brauerei Franz Lamm Potsdam“. Darüber, auf dem Foto leicht zu übersehen, ein Hexagramm, das dem Anschein nach ein Davidstern sein könnte. Dieser Gedanke ist jedoch eine „vollkommen falsche Fährte“, sagt Rogge. Denn es handele sich um den Brauerstern, dem Zunftzeichen der Brauer und Mälzer.

Wie schon bei seinen früheren Kalendern hat sich Rogge auch diesmal wieder viel Mühe mit so manchem Detail gemacht. Im bewährten Stil hat der Grafikdesigner teilweise den großen Kalenderbildern noch kleine Aufnahmen von Personen an die Seite gestellt. Als besonders aufwendig erwies sich das Kalenderbild für November, jener historischen Aufnahme vom heutigen Café Heider. Das Original des Fotos ist übersät von unzähligen Kratzern. Rogge hat es digitalisiert und dann die Schadstellen retuschiert. Eine mühevolle Aufgabe, sehr zeitaufwendig, wie Rogge sagt. Um die Eintönigkeit zu vertreiben, habe er dabei einige Hörbücher gehört.

„In Potsdam eingekehrt“ – historischer Potsdam-Kalender für 2020; 32 x 48 cm; für 18,90 Euro erhältlich im PNN-Shop und im Potsdamer Buchhandel, sowie unter www.potsdamkalender.de (dort zzgl. Versandkosten)

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