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Interview mit Manfred Stolpe: „Die Garnisonkirche war keine Nazi-Kirche“

Manfred Stolpe, Brandenburgs ehemaliger Ministerpräsident, über Versäumnisse im Garnisonkirchen-Konflikt, Potsdamer Verhältnisse und seinen Lieblingsort in der Stadt

Herr Stolpe, gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche haben 16 000 Potsdamer unterschrieben. Kann man das einfach wegwischen?

Das darf man nicht ignorieren, unter keinen Umständen. Man muss sich damit auseinandersetzen.

Was ist bei diesem Wiederaufbau-Projekt schiefgelaufen?

Einiges, vor allem haben die Befürworter nicht genug begründet, was sie vorhaben. Man muss aber versuchen, die Bevölkerung zu gewinnen. Wir haben den Gegnern das Feld überlassen, die alle möglichen Geschichten erzählen konnten. Das sind ja oft Phantombilder, die mit dem Projekt nichts zu tun haben.

Was stört Sie besonders?

In der Debatte wird nicht beachtet, dass es jetzt allein um den Turm geht und nicht um das Kirchgebäude. Um die frühere Kirche kann es auch noch gar nicht gehen, wegen der ungeklärten Finanzierung, wegen offener inhaltlicher Fragen, etwa zur künftigen Nutzung, auch zur Architektur. Das braucht Zeit.

Ob Turm oder Kirche, für die Gegner ist das egal.

Genau darüber muss man ernsthaft reden, weil das einen großen Unterschied ausmacht. Denn der Turm hat eine klare Funktion. Er knüpft an die frühere Heiligkreuzkapelle an, die bis zur Sprengung 1968 für Gottesdienste genutzt wurde. Und das Kuratorium verbindet mit dem Wiederaufbau den Gedanken an Versöhnung, Toleranz, Frieden. Deshalb erhält ja die jetzige Kapelle am 20. Juli auch den Namen Nagelkreuzkapelle.

Das macht einen Unterschied?

Der Name ist auch ein Signal. Und ich hoffe, dass es gehört wird. Es ist das eindeutige Bekenntnis zu einer Aufgabenstellung, die sich beim Aufbau des Turms der ehemaligen Garnisonkirche an Frieden, Versöhnung und Toleranz orientiert.

Diesen Ansatz gab es schon einmal, ganz am Anfang. Das Garnisonkirchen-Projekt wurde 2004 Mitglied der Nagelkreuzgemeinschaft. Doch dann verschwand die internationale Versöhnungsarbeit immer mehr aus dem Programm. Ein Fehler?

Ich bedaure, dass wir das nicht durchgehalten, den Fokus zu sehr auf die Wiederherstellung des Bauwerks gelegt haben. Ich hatte vor eineinhalb Jahren ein Gespräch mit Paul Oestreicher, dem Chef des Versöhnungszentrums in Coventry. Er war traurig, dass er aus Potsdam diesbezüglich nichts mehr gehört hatte. Aber das ist Geschichte, heute sind Kuratorium und Vorstand der Fördergesellschaft wieder klar auf dem damals eingeschlagenen Weg, Gott sei Dank. Wir sind uns einig, die internationale Versöhnungsaufgabe darf nicht vergessen werden. Wir bekennen uns zu dem, was vor zehn Jahren begonnen wurde. Das wird am 20. Juli festgeklopft.

Wenn die Gegner laut werden, wird das Nagelkreuz herausgeholt?

So ist es nicht. Es ist ein Anstoß zur Selbstvergewisserung, zwingt uns zur Erklärung, was wir wirklich wollen. Das wurde zu wenig getan. Und da sehe ich auch den Hauptverdienst der Aktion gegen den Wiederaufbau.

Also doch ein Signal an die Gegner?

Man darf es so verstehen: Bitte schaut euch an, was wir wirklich wollen, wer wir sind!

Das Hauptargument der Kritiker ist der Tag von Potsdam, der 21. März 1933, der berüchtigte Symbol-Händedruck zwischen Hitler und Hindenburg in der Garnisonkirche.

Adolf Hitler war zwei Stunden in der Garnisonkirche. Aus der gleichen Kirchgemeinde sind aber über zwanzig Männer und Frauen hingerichtet worden, weil sie gegen Hitler waren. Die Garnisonkirche war keine Nazi-Kirche.

Herr Stolpe, was treibt Sie an, sich für den Aufbau einzusetzen?

Ich bin persönlich betroffen. Ich habe Potsdam damals erlebt, das erste Mal 1959 im Oktober. Es war schon ein eindrucksvoller Weg über die Lange Brücke in die Stadt. Man sah das Stadtschloss, die ausgebrannte Fassade. Man sah, nicht weit weg, den wuchtigen Kirchturm. Der war beschädigt, aber keine Ruine.

Was war es denn?

Ein Ort für Gottesdienste. Es war damals sogar möglich, sich mit der Stadt zu einigen, wie dort weitergemacht wird. Wir Kirchenleute durften den Turm sichern, Einbauten machen, Zwischendecken einziehen, Treppen einbauen. Es gab sogar schon Gespräche, dort eine Aussichtsplattform einzurichten. Die Leute sagten mir damals übrigens: Das ist der Turm der Heiligkreuzkirche. Von Garnisonkirche sprach niemand.

Wie kam das, klären Sie uns auf!

Die Gemeinde hatte sich 1949 umbenannt, hatte im Turm eine Kapelle ausgebaut, einen vollwertigen Gottesdienstraum. Und sie hatte sich ein Programm gegeben: Wir sind keine Militärkirche, wir sind für Frieden, für Versöhnung, für Toleranz, eine Aufgabe, die ja schon 1685 in Potsdam mit dem Toleranzedikt festgeschrieben worden war.

Genützt hat das nichts.

Es ist tragisch, dass diese Kirche gegen alle Proteste weggesprengt worden ist. Das war im Wesentlichen eine Entscheidung von Walter Ulbricht selbst. Im Jahr 1968 war das Politbüro nervös wegen des Prager Frühlings. Es gab die große Furcht, dass der Bazillus auf die DDR-Bevölkerung übergreift, was ja nicht unbegründet war. In Potsdam gab es eine eindrucksvolle Protestbewegung für den Erhalt der Kirche, quer durch die Bevölkerung, durch die Parteien, SED-Mitglieder waren dabei, Kirchenleute sowieso, Künstler. Bekannt ist auch, dass die damalige Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke gegen den Abriss war.

Ist das Rechtfertigung genug für den Wiederaufbau?

Ich denke schon. Es wird ja auch sonst zu Recht viel über Wiedergutmachung von DDR-Unrecht geredet. Das fällt für mich darunter. Die Sprengung der Garnisonkirche war ein Rechtsbruch, eine Kulturbarbarei, bei der vor allem eine aktive Gottesdienststätte beseitigt worden ist, gegen das Recht der freien Religionsausübung. Der Wiederaufbau wäre Wiedergutmachung. Und es wäre ein Anlaufpunkt, um sich zu erinnern, nachzudenken, welche Verantwortung wir heute tragen, um Versöhnung zu praktizieren, auch innerhalb der Stadt. Hier fängt es nämlich an: Man muss sich auch mit denen vertragen, die anderer Meinung sind. Gelegentlich habe ich den Eindruck, dass das in Potsdam nicht so einfach ist.

Hat Sie überrascht, wie viele gegen den Aufbau sind?

Es war damit zu rechnen, dass das Bürgerbegehren erfolgreich sein wird. Schon deshalb, weil nur von einer Seite geredet wurde, dazu mit griffigen Parolen, die scheinbar überzeugend klingen. Wenn man dazu schweigt, muss man sich nicht wundern, wenn die Stimmen zusammenkommen.

Nennen Sie bitte ein Beispiel!

Da ist zu hören: Man sollte das Geld für andere Zwecke einsetzen. Das geht aber gar nicht. Oder: Wozu braucht Potsdam noch eine Kirche? Das sind dann auch kirchenfeindliche Töne.

Dennoch, es bleibt ein Glaubwürdigkeitsproblem. Früher wurde versichert, dass keine öffentlichen Gelder fließen, jetzt soll es doch geschehen. Muss das sein?

Auch da sollte man bei den Fakten bleiben: Es geht um Mittel des Bundesstaatsministers für Kultur. Sie werden bewilligt, weil mit der Garnisonkirche ein wichtiges Gebäude, das zum nationalen Kulturerbe Deutschlands gehörte, beseitigt wurde. Man sagt ja, der Turm war der schönste Barockturm Norddeutschlands. In der alten Bundesrepublik wurde nach 1945 auch Wichtiges wiederaufgebaut. Es ist also auch ein Stück Gleichbehandlung. Diese Mittel kann man nicht einfach umwidmen, etwa für soziale Aufgaben. Das ist nicht möglich.

Wie sollte man mit der Gegnerschaft, der Skepsis in der Bevölkerung umgehen?

Es muss zugehört werden, auf beiden Seiten. Die Bereitschaft dazu vermisse ich bei einigen Gegnern. Sie haben Freude am Protest an sich. Wenn es nicht die Garnisonkirche wäre, gäbe es etwas anderes. Ein Trost ist, dass es auch in Dresden, als damals der Aufbau der Frauenkirche startete, erheblichen Widerstand gab. Sogar aus der Spitze der Kirche heraus. Man hat sich dann große Mühe gegeben. Auch wir müssen uns anstrengen, müssen sagen, was wir vorhaben, was nicht, was uns fälschlicherweise unterstellt wird. In Potsdam ist geduldige Kleinarbeit nötig.

Die Preußenstiftung um Max Klaar mit ihrer ultrakonservativen Linie für den Wiederaufbau ist raus. Hilft das oder wirft es das Projekt zurück, weil die dort gesammelten sechs Millionen Euro nun fehlen?

Das ist gut, das schafft klare Verhältnisse. Ich habe das sehr unterstützt. Die Ziele waren zu konträr. Max Klaar und seine Freunde wollen eins zu eins die frühere Garnison- und Hofkirche. Die jetzige Stiftung ist völlig anderer Meinung, will den Versöhnungsansatz. Der Schnitt ist folgerichtig. Wir kalkulieren nicht mit den sechs Millionen Euro. Die einzige Frage, die bleibt: Ist es eigentlich stiftungsrechtlich korrekt, was Max Klaar da macht? Das Geld wurde für die Garnisonkirche gespendet.

Wollen Sie es einklagen?

Das werden wir nicht. Die Stiftungsaufsicht in Bayern wird schon ein Auge darauf haben, ob die sechs Millionen Euro zweckentsprechend verwendet werden.

Wann wird der Turm der Garnisonkirche stehen?

Angedacht ist ja 2017. Das ist sehr mutig. Es wäre schön, wenn der Turm zum Reformationsjubiläum wieder stünde. Ich denke, es wird länger dauern. Auf ein Jahr kommt es auch gar nicht an. Ich wäre glücklich, wenn es in diesem Jahrzehnt geschafft würde.

Wann folgt die Kirche?

Zunächst: Ich bin ganz sicher, dass sie kommt. Aber ich weiß nicht, wie lange die Debatten geführt werden, was mit dem Kirchgebäude inhaltlich passieren, vielleicht auch, wie es aussehen soll. Vielleicht in moderner Architektur? Das muss alles diskutiert werden. Ich hoffe, heutige Gegner sind da zum Mitdenken bereit.

Das Kirchgebäude müsste – anders als der Barockturm – nicht historisch aufgebaut werden?

Der Turm, so wie er einmal war, gehört zum Bild Potsdams. Ich denke, die Garnisonkirche muss nicht originalgetreu wiederaufgebaut werden. Da gibt es auch ganz unterschiedliche Vorstellungen bei den Unterstützern. Es gibt natürlich nicht wenige, die das eins zu eins haben wollen.

Wovon wird es abhängen?

Da spielt die Finanzierung eine Rolle. Ich meine auch: Es ist zwingend, dass diese Entscheidung unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen und der Interessen der anderen Kirchgemeinden getroffen werden muss. Man stelle sich nur einmal vor: Da steht plötzlich eine Großkirche, innen dreitausend Plätze mit der Attraktivität der Frauenkirche in Dresden. Wie hätten dann Erlöser-, Friedens- und Nikolaigemeinde zu kämpfen? Das muss alles sehr genau innerkirchlich und mit der Stadt abgestimmt werden.

Gäbe es eine Alternative?

Ich kenne ernst zu nehmende Stimmen, die sagen: Einen so großen Bau braucht Potsdam für verschiedenste Anlässe. Das sollte diskutiert werden. Sicher bin ich, dass das Gebäude kommt: Der Turm wird nicht allein in der Landschaft stehen.

Die Kapelle wird umbenannt. Muss man am Namen Garnisonkirche festhalten?

Eigentlich nicht. Ich habe schon überlegt, ob es nicht ohnehin kirchenrechtlich zwingend wäre, von der Heiligkreuzkirche zu reden, ob man ein Kirchengericht anrufen müsste. 1949 ist die Kirche schließlich von der Gemeinde umbenannt worden, und die Kirchenleitung hat zugestimmt. Deshalb sage ich auch immer: ehemalige Garnisonkirche.

Bis 2017 sind es nur drei Jahre. Ist das nicht längst illusorisch?

Ich finde es gut, wenn man sich Termine setzt, auch enge, weil sonst mit der Zeit der Mut erlahmt. Das Datum muss auch nicht aufgehoben werden. Aber genauso nüchtern kann man sagen: Es ist nicht sicher, dass 2017 zu schaffen ist. Wenn es nicht geschafft wird, ist das auch kein Unglück.

Warum sind die Widerstände in Potsdam gegen die Garnisonkirche so groß?

Da steckt mehr dahinter. Das geht schon tiefer, an der Debatte um die Garnisonkirche machen sich auch Kernfragen der Stadtpolitik, der Stadtentwicklung, fest. Es ist bei manchen der Eindruck entstanden, dass es ein Elitenprojekt ist, von Zugezogenen, Neureichen, Kulturspinnern, Fortschrittsfeinden. Die Befürworter, das Kuratorium, waren relativ weit weg von der Stimmungslage in Potsdam.

Wie schätzen Sie die ein?

Die Stimmung ist durch Sorgen geprägt wie die: Wir wollen uns selbst wiedererkennen. Es gibt die Sorge nicht weniger Alt-Potsdamer, Fremde in der eigenen Stadt zu werden. Das ist besonders östlich der Havel ein ernstes Thema.

Geht Potsdam mit dieser Gefahr der inneren Spaltung richtig um?

Ich denke, darüber muss in der Stadt noch viel mehr gesprochen werden. Man muss mehr Rücksicht darauf nehmen, dass hier oft ganz unterschiedliche Mentalitäten aufeinanderstoßen.

Sie meinen zwischen Ost und West, weil nach Potsdam so viele Menschen aus den alten Ländern gezogen sind wie in keine andere Stadt im Osten?

Ich unterscheide zwischen Alteingesessenen und Uralteingesessenen. Bei den Alteingesessenen gibt es das Gefühl, von den Uralteingessenen nicht verstanden zu werden. Man muss sich aber zuhören.

Wurde das versäumt?

Damit kann man jeden Tag neu anfangen. Natürlich muss man aufpassen, dass sich die Fronten nicht verhärten. Bei der Garnisonkirche, der Heiligkreuzkirche, habe ich das Gefühl: Das ist die Rache für die Mercure-Debatte.

Man hätte vom Mercure-Abriss gleich die Finger lassen sollen?

Die Diskussion schadet nicht. Und in zwanzig Jahren wird wirklich ernsthaft darüber zu reden sein. Es ist aber keine Sache, die sofort gemacht werden muss. Was ich nicht gut fand: Man hat versucht, Hasso Plattner als Sprengpanzer gegen das Mercure einzusetzen. Man hat ihm den Mund wässrig gemacht. Er hat anfangs nicht mitbekommen, was es in Potsdam für Widerstände gibt. Mit dem damaligen Interhotel verbinden sich ja auch Erinnerungen, Erlebnisse. Zum Glück ist Hasso Plattner klug genug: Er hat selbst mit den Leuten geredet und seine Schlüsse gezogen.

Wer war schuld, dass Potsdams bedeutendster Mäzen zwischen die Fronten geschickt wurde?

Man kann die Kommunalpolitiker nicht für alles verantwortlich machen. Die sind im Tagesgeschäft, haben tausend Dinge abzuarbeiten. Da müssten eigentlich Leute ran, die unabhängig sind, Ansehen haben. Vielleicht täte Potsdam ein Rat der Weisen ganz gut.

Gilt das auch für das Trauerspiel um die Synagoge?

Das ist ein besonders schwieriger Fall. Ich bin tief betroffen, dass man sich nicht auf ein Gebäude einigen kann. Es macht sich vordergründig an der Gestaltung fest, aber im Grunde geht es darum, wer die besseren Karten hat. Dort sind Machtkämpfe im Gange. Klar ist eins: Man kann nicht drei Synagogen bauen, sondern eine. Aber man kann den jüdischen Gemeinden auch nicht einfach eine Synagoge vor die Nase setzen. Ich leide mit Staatssekretär Gorholt, der vermittelt hat.

Keine Garnisonkirche, bevor die Synagoge steht. Gilt das noch?

Ja, genau so sehe ich das. Aber das gilt für die Kirche, nicht für den Turm. Mit dem kann man loslegen. Es wäre aber falsch, mit der Garnisonkirche stürmisch am Synagogenbau vorbeizuziehen. Zu Potsdam gehören das Stadtschloss, der Stadtkanal, der Turm der Garnisonkirche und die Synagoge.

Wie fanden Sie den Haberland-Entwurf?

Ganz ordentlich. Ich hatte den Eindruck, dass da alles gut reinpasst. Er fügt sich auch einigermaßen in die historische Mitte ein. Es wäre schön, wenn die Synagoge ein Blickfang wird.

Gab es schon einmal einen Moment, wo Sie sich selbst fremd in Potsdam gefühlt haben?

Nein, aber das mag an meinem Naturell liegen, keinem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Ich freue mich, dass wir viele Neu-Potsdamer haben, die sich sehr für die Stadt engagieren, die mehr Umdrehungen haben als wir Alt-Potsdamer. Für mich bleibt Potsdam die wichtigste, schönste Landeshauptstadt.

Man hat den Eindruck, dass die Brandenburger ihre Hauptstadt angenommen haben, erst recht, seitdem das neue Schloss steht. Gilt das auch andersherum?

Das ist ein bisschen meine Sorge, ein wunder Punkt: Potsdam dreht sich oft zu stark um sich selbst. Man vergisst dann, dass es ein Land drumherum gibt, Regionen und Orte, die es schwerer haben. Das muss man in Potsdam stärker mitdenken. Hauptstadt zu sein ist ja auch die Verpflichtung, nicht nur den eigenen Bauchnabel zu sehen.

Wo wird Potsdam in zehn, fünfzehn Jahren sein?

Die Stadt wird weiter wachsen. Potsdam wird sich Gedanken um die Neu-Potsdamer machen müssen, die überall her kommen. Ansonsten habe ich das Gefühl, dass hier überwiegend zufriedene Menschen leben, die trotzdem gerne mal meckern. Potsdam ist eine lebenswerte Stadt.

Was muss sich verändern?

Die größte Herausforderung wird sein, diese Stadt zusammenzuhalten, sodass es keine soziale, keine biografische Spaltung gibt. Vielleicht muss man Einbürgerungsveranstaltungen machen. Ich wiederhole mich: Reden, Zuhören, Toleranz.

Gibt es ein Fleckchen in Potsdam, das Ihnen persönlich viel bedeutet?

Das ist die Insel Hermannswerder. Dort bin ich gerne, ich komme mit der Fähre rüber, fahre mit dem Fahrrad hin. Es ist auch ein spannendes Stück Stadtgeschichte. Ich habe immer auch meine Aufgabe darin gesehen, dass die Hoffbauerstiftung überlebt.

Wohin gehen Sie in Potsdam mit Ihren Enkeln am liebsten?

Die bestimmen ihr Programm neuerdings selbst. Der Große ist inzwischen historisch interessiert. Ich bin stolz, dass er in Geschichte eine Eins hat. Der Kleine will immer dahin, wo es gute Pommes gibt.

Wo gibt es die?

Das darf ich nicht verraten.

Herr Stolpe, Sie wirken diszipliniert, entspannt und entschlossen wie eh und je – wie geht es Ihnen gesundheitlich?

Mir ist es gelungen, nicht ständig über die eigene Krankheit nachzudenken, sie nicht zum Lebensmittelpunkt zu machen. Das ist auch eine Frage des Gemüts. Ich habe großes Vertrauen zu den Ärzten, Respekt vor dem Bergmann-Klinikum. Die haben für onkologische Fälle ein Team, Onkologe, Hämatologe, Radiologe, Chirurg. Ich fühle mich dort gut aufgehoben, gehe regelmäßig zu meinen Kontrollbesuchen. Im September, Oktober ist es wieder so weit. Ich bin ja gewissermaßen Zeuge für die gute Entwicklung der Medizin, der Medizintechnik. Als es bei mir losging vor zehn Jahren mit dem Krebs, da hatte ich eine Perspektive von drei Jahren. Inzwischen gibt es neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.

Herr Stolpe, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führten Sabine Schicketanz und Klaus Büstrin. (Mitarbeit: Thorsten Metzner)

HINTERGRUND

Die Garnisonkirchenstiftung strebt den Wiederaufbau der 1968 als Kriegsruine abgerissenen barocken Garnisonkirche an und sammelt dafür seit Jahren Spenden. Das Bauwerk in der Breiten Straße, das mit dem 88 Meter hohen Turm einst höchstes Gebäude der Stadt war, soll den Plänen zufolge ein Versöhnungszentrum werden. Allein der Turm soll rund 40 Millionen Euro kosten, die Stiftung beziffert die Kosten für das Gesamtbauwerk auf 100 Millionen Euro. Die Finanzierung ist trotz einer Zwölf-Millionen-Euro-Zusage vom Bund bislang noch offen. Das Projekt ist umstritten, weil die Garnisonkirche mit dem „Tag von Potsdam“ 1933 zum Schauplatz des von den Nationalsozialisten inszenierten Schulterschlusses mit dem alten Preußen wurde. Wiederaufbaugegner sammelten gut 16 000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen das Projekt. An diesem Wochenende wird die Garnisonkirchenkapelle in Nagelkreuzkapelle umbenannt. (PNN)

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