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Mathias Döpfner.

© Arno Burgi/dpa

Interview: „Hier kann jeder ein bisschen Pionier sein“

Mathias Döpfner, Vorstandschef des Axel-Springer-Konzerns, über Potsdams Schönheit, Mäzene, die Villa Schöningen, Kunst, Hasso Plattner, seine Erfahrungen mit der Bürokratie, Neu- und Alt-Potsdamer – und sein ganz persönliches Bekenntnis über den Tod hinaus zu Potsdam.

Herr Döpfner – eigentlich wollten wir ja über das schöne Potsdam reden und über Mäzene. Nun kam die schlechte Nachricht: Mäzen Hasso Plattner hat angekündigt, seine Kunsthalle nicht am Lustgarten an Stelle des Hotel Mercure zu bauen, sondern am Stadtrand am Jungfernsee. Er wolle nicht in politische Debatten geraten – das sei aber passiert. Ist Potsdam nicht gut zu seinen Freunden und Mäzenen?

Es ist vor allem nicht gut zu sich selbst. Dieses Projekt an dieser Stelle zu verhindern, ist eine Selbstbeschädigung. Mich macht diese autoaggressive Energie sprachlos.

Sie sind auch so ein Freund Potsdams – Sie wohnen hier, haben die Villa Schöningen an der Glienicker Brücke vor dem Abriss bewahrt und dort ein eigenes Museum eingerichtet. Nach allem, was man so wahrnimmt, und wie man Sie auch sieht, trennt die Glienicker Brücke tatsächlich den einen Mathias Döpfner, den Springer-Vorstandschef, vom anderen, dem privaten Mathias Döpfner.

So habe ich das noch nie gesehen, aber mit dieser Wahrnehmung kann ich gut leben. Ich glaube allerdings nicht, dass meine privaten und professionellen Persönlichkeiten so verfeindet miteinander sind, wie es die Sowjets und die Amerikaner waren. Neben der beruflichen Person – die ich ja bin, und zwar leidenschaftlich, ich kann mir wirklich keinen schöneren Beruf vorstellen – gibt es die private Person. Und zu dieser Person gehört unter anderem das Projekt „Villa Schöningen“.

Sie haben vorher schon in Potsdam gelebt, wie sind Sie nach Potsdam gekommen?

Seit 1998 lebe ich in Potsdam. 1994 habe ich die Stadt entdeckt – und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe damals mit meiner Frau in Berlin gewohnt, und wir haben uns gesagt, wir machen mal einen Ausflug nach Potsdam, da soll es ganz schön sein. Nach diesem Samstagsausflug haben wir gesagt: Erstens, wir kommen morgen wieder, und zweitens, hier möchten wir eigentlich leben. Ich habe früher in sehr schneller Frequenz die Orte gewechselt: nach Bonn zunächst Offenbach, dann Frankfurt, Boston, München, Brüssel, Paris, Hamburg. Aber ich habe mich nie irgendwo so richtig zu Hause gefühlt. Und 1994 dann dieses Gefühl: Hier will ich sein. 1996 haben wir eine erste „Ruine“ in Potsdam gekauft, obwohl ich wieder in Hamburg gearbeitet habe – einfach, um Fakten zu schaffen und die Standortentscheidung irreversibel zu machen.

Wenn Sie irgendwo in der Welt gefragt werden, woher Sie kommen, sagen Sie dann der Einfachheit halber Berlin oder sagen Sie Potsdam?

Ich sage beides. Ich sage zuerst Berlin, weil die Leute damit etwas anfangen können, und sage im zweiten Satz „To be precise, I'm living in Potsdam, which is a beautiful city nearby“. Wobei Potsdam schon recht bekannt ist, durch die Potsdam-Konferenz. Es ist fast schon ein international brand.

Sie sagen von sich, sie sind Potsdamer?

Ich bin Potsdamer. Ja, absolut. Ich habe mir in Potsdam sogar schon ein Grab besorgt: auf dem Bornstedter Friedhof. Am besten man organisiert diese Dinge in früher Jugend.

Sie haben schon eine Familiengruft?

Nein, ein Grabfeld. Man kann dort Patenschaften übernehmen, und das habe ich gemacht. Das bedeutet, dass ich und meine Familie da irgendwann einmal beerdigt werden können. Auch eine Art Bekenntnis zu Potsdam.

Diese Stadt hat Freunde wie Plattner, Sie, Günther Jauch und viele, viele andere Leute, die sich in dieser Stadt auffallend engagieren – ob ehrenamtlich oder finanziell. Warum ist das in Potsdam möglich? Das gibt es doch in Berlin eher nicht.

Ich glaube, die besondere Schönheit, die Geschichte und das absolut Unfertige, im Werden begriffene stimulieren dazu. Potsdam ist Neuanfang, hier kann jeder ein bisschen Pionier sein. Terra inkognita erkunden und gestalten. Und unter den tiefer liegenden Schichten deutsche und europäische Geschichte entdecken. Gute und schlechte. Vor allem aber fasziniert Potsdams Schönheit als Ergebnis maximaler Kulturanstrengung. Die romantische Ideallandschaft ist ja das Gegenteil von Natur, das ist Kultur. Die Blickachsen, die Parks, die Schlösser, die spätklassizistische Villen-Architektur – die Idee vom preussischen Arkadien, eine Idealwelt zum Wegträumen. Potsdam ist eine unglaublich sinnliche Stadt. Eben wirklich ein bisschen Italien vor den Toren Berlins.

Viele Menschen sagen, wenn sie über die Glienicker Brücke nach Potsdam hereinkommen, haben sie das Gefühl von Urlaub, von Erholung. Das ist einfach der schönste Stadteingang.

Ich finde sie untertreiben.

Potsdam ist auch eine gespaltene Stadt: Wir haben die Insel, und die „Nicht-Insel“, das andere Potsdam. Wie viel von diesem anderen Potsdam kennen Sie?

Ich möchte nicht anmaßend wirken, aber ich glaube, ich kenne viel mehr, als Sie glauben, aber doch viel weniger, als ich eigentlich müsste und sollte. Aber wie diese zwei Gesichter Potsdams ist doch auch unsere Wirklichkeit. Wenn es nur das Eine wäre, wäre es doch nur eine Postkarte – und so ist es das wahre Leben.

Jetzt haben wir unter den engagierten „Neu-Potsdamern“ auch Menschen wie Herrn Jauch, die sich auch einmischen und denen auch mal der Kragen platzt. Günther Jauch beschwerte sich nach Jahren lautstark über die Bau- und Denkmalschutzverwaltung. Sie haben doch ähnliche Erfahrungen gemacht mit der Potsdamer Verwaltung. Warum ist Ihnen nicht mal der Kragen geplatzt? Warum melden Sie sich in ähnlichen Debatten nicht?

Aus zwei Gründen: Ich arbeite für ein Medienunternehmen. Wenn ich mich äußere, wird das schnell mit der Haltung unserer Zeitungen und Websites verwechselt. Da ist besondere Vorsicht angebracht, um persönliche und professionelle Positionen voneinander zu trennen. Zweitens: Ich wusste, schon als wir die Villa Schöningen angefangen haben, dass ich mich ärgern würde. Wir wollten aber mit diesem Projekt anderen Menschen positive Energie vermitteln und selbst positive Energie daraus gewinnen. Also habe ich einfach beschlossen, mich nicht zu ärgern, egal was passiert. Egal wie grotesk es ist, was einem passiert. 

 

Zum Beispiel?

Jetzt wollen Sie mich herauslocken. Das wird nicht gelingen. Aber ich gebe Ihnen das harmloseste und zugleich kurioseste Beispiel: Die einzige schriftliche Hinwendung der Stadt zu den Rettern, Wiederherstellern und Betreibern der Villa Schöningen war zwei Monate nach Fertigstellung ein Bußgeldbescheid über 25 Euro, weil wir die Hausnummer nicht rechtzeitig angebracht haben. Lassen Sie uns einfach darüber lachen.

Es gibt ja auch Neider, die sagen, dass er sich dieses Abschreibungsprojekt ja leisten könne. Aber es ist reine Herzenssache?

Reine Herzenssache. Wir haben ja noch nicht mal steuerlich optimierte Strukturen dafür geschaffen, um irgendwelche Vorteile zu haben. Wir – Leonhard Fischer und ich – sind beide gar nicht die Typen dazu, sich um so etwas zu kümmern. Darum ging es nicht. Die Trägergesellschaft ist eine GbR. Das sagt Fachleuten alles.

Ist Ihnen in Potsdam auch dieser Argwohn begegnet?

Nein. Selbst damit hätte ich gerechnet, aber da kam ganz viel Positives. Wir haben in der Villa ein Gästebuch ausgelegt, wo sich die Leute verewigen können. Da gibt es zwar gelegentlich auch Kommentare wie „Ich finde diese Kunst furchtbar! Wann wird das endlich abgehängt?“ Ist ja auch in Ordnung, wenn einem das nicht gefällt. Aber ganz überwiegend kommt ganz viel Sympathie und auch Dankbarkeit, dass wir diesen Ort wieder hergestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben, sowohl mündlich als auch schriftlich.

Können Sie sagen, was Sie dieses Engagement an der Hausnummer 1 in Potsdam in etwa gekostet hat?

Nein, das wollen wir nicht. Es war Leonhard Fischer und mir von Anfang an klar, dass das viel Geld kostet. Wir haben beide viel gearbeitet und viel Glück gehabt in unserem bisherigen Leben. Mit der „Villa Schöningen“ wollten wir etwas für die Gesellschaft tun, in der wir leben. Also haben wir gesagt: Kauf und Renovierung des Hauses, das Einrichten des Museums und auch den Unterhalt zahlen wir. Die Kunstprojekte sollen sich durch Eintrittsgelder oder durch private Spenden refinanzieren. Das funktioniert aber nur, wenn jeder, der mitmacht, mit diesem Virus des Idealismus angesteckt ist, seien es Künstler, Kuratoren oder Galeristen. Und da hat sich so ein richtiger informeller Freundeskreis gebildet, mit Vertretern aus der ganzen Welt. Die meisten machen da mit, weil sie einfach Spaß daran haben und weil alles ziemlich locker ist: Da gibt es dann eben keine Lachscanapés, sondern Currywurst und Russenband zum Eröffnungsfest.

Woran haben Sie denn mehr Freude; an dem kackenden Gartenzwerg der in der ersten Gartenausstellung mit dem Hintern gen Schwanenallee grüßte oder an Georg Baselitz?

Schwer zu sagen: Es war mit Sicherheit ein Vergnügen, zu beobachten, welche Dynamik der Gartenzwerg, wie Sie ihn nennen, bei den Beobachtern erzeugte. Aber Baselitz ist die mit Abstand wichtigste Ausstellung, die wir in der Villa Schöningen gemacht haben. Georg Baselitz zeigt hier bis zum 2. August zum ersten Mal seit über 40 Jahren seine private Sammlung, die er immer unter Verschluss gehalten hatte und von der man nicht mal genau wusste, dass sie überhaupt existiert. Wir konzentrieren uns auf diese ganz frühen Arbeiten, die noch nie in einem Museum gezeigt worden sind. Das war selbst für die abgeklärtesten Baselitz-Kenner eine ziemliche Sensation. Und dass das nicht in London, Paris oder New York stattfindet, sondern in unserer kleinen, popeligen Privatkunsthalle, das war schon was Besonderes.

Was ist mit Jonathan Meese, der ja auch Teil der ersten Ausstellung war und regelmäßig Gast in der Villa Schöningen ist? Der gilt ja als nicht ganz einfach.

Das ist privat einer der nettesten Künstler, die ich je erlebt habe. Völlig entspannt. Und ein großer Freund der Villa Schöningen. Wir haben ja noch keine Meese-Ausstellung gemacht, bisher war er nur Teil der Garten-Ausstellung mit einer äußerst provokanten Arbeit, in der er dieses ikonografische Erschießungs-Foto, aus dem Vietnamkrieg nachgearbeitet hat. Es war sehr interessant, wie unterschiedlich die Leute darauf reagiert haben. Da kommen irgendwelche international renommierten Art-Direktorinnen im coolen schwarzen Kleid, stellen sich vor das Bild und sagen: „Ich halt das nicht aus, das ist das Letzte. Das hat ja nichts mit Kunst zu tun, das ist ja widerlich“. Dann kommt eine bürgerliche Familie mit drei Kindern aus Potsdam, steht 20 Minuten vor der Skulptur, unterhält sich angeregt und findet sie wunderbar. Das sind die großartigen Überraschungsmomente, weil sie die Klischees brechen.

Wer hat eigentlich mehr moderne Kunst zu Hause, Sie oder Kai Diekmann, Chefredakteur von Springers „Bild“-Zeitung, der ebenfalls in Potsdam lebt und moderne Kunst sammelt?

Das weiß ich nicht. Ich dachte, Sie fragen eher nach Leonhard Fischer, dem Mitgesellschafter. Er sammelt deutsche Neo-Expressionisten. Ich sammle mit meiner Frau zusammen weibliche Akte, quer durch die Kunstgeschichte, von der Renaissance bis zur modernen Videoinstallation, Aber diese Sammlungen haben mit der Villa Schöningen nichts zu tun. Anders als Privatmuseen, die Hülle für die eigene Kunstsammlung sind, sehen wir die Villa Schöningen als Ort, um Projekte mit wechselnden Partnern zu organisieren. Wir kaufen nichts an und wollen auch nichts kaufen, um eine eigene Sammlung aufzubauen, wir wollen mit unterschiedlichen Beteiligten interessante Projekte realisieren, die sich im weitesten Sinne mit den Begriffen Freiheit und Unfreiheit in Verbindung bringen lassen, die Grenzüberschreitungen thematisieren.

Jetzt kommt aber jemand wie Hasso Plattner nach Potsdam, baut eine eigene Kunsthalle und bietet seine eigene private Kunstsammlung dort an.

Das finde ich ganz großartig. Das ist ein absolut vorbildliches Beispiel für privates bürgerschaftliches Engagement in Potsdam. Das stärkt die Bedeutung Potsdams als Kunststadt. Das freut mich auch, weil wir die Villa Schöningen als so eine Art Vorposten verstanden haben. Wir machen etwas Kleines, und jetzt kommt Plattner und macht etwas Großes. Das ist eine unglaubliche Bereicherung für die Stadt. Ich habe mich riesig gefreut, als ich das gelesen habe.

Haben Sie darüber gesprochen?

Nein. Wir kennen uns gar nicht. Ich würde ihn gern einmal kennenlernen. Ich bewundere ihn auch als Unternehmer, was er mit SAP gemacht hat, ist einzigartig. Und was er im Bereich der Kunst macht, hat hoffentlich auch Folgen und stimuliert andere.

Keine Konkurrenz?

Das ist abwegig. Das stärkt und stimuliert sich doch alles gegenseitig.

Die Schönheit dieser Stadt speist sich doch im Wesentlichen aus der Geschichte. Wo müsste denn Ihrer Meinung nach das Kunstmuseum vom Ort her entstehen?

Ich teile die Meinung, dass das Hotel Mercure und das Schloss unvereinbar sind. Es ist kein Denkmal, es ist kein schönes Haus, selbst als Hotel wird es bald nicht mehr genutzt. Es sollte weg. Ich finde übrigens keineswegs, dass alle DDR-Plattenbauten aus der Stadt verschwinden müssen, das ist ein Teil der Stadtgeschichte und der Architektur, das muss erhalten bleiben. Aber bitte nicht dieses Haus an dieser Stelle! Man hat sich jetzt für das Stadtschloss entschieden, und beides geht einfach nicht. Dieses Stadtschloss mit diesem Hochhaus-Riegel, der dort hineinsticht – das tut regelrecht weh. Und mit dieser Option eines zurückgenommenen, aber radikal modernen Baus für eine Kunsthalle hätte die Stadt auch architektonisch eine einmalige Chance. Die Kombination eines dominanten historischen Stadtschloss als Teil der Geschichte der Stadt mit einem radikalen zeitgenössischem Statement wäre ideal. Geschichte trifft Gegenwart.

Dann hätte man ja auch die Schlossgegner versöhnt.

Auch das noch. Und Plattner kann man nur den Satz von Johannes Gross empfehlen: „Der Klügere gibt nach? Ja wo kämen wir denn da hin!“

Wird man auch außerhalb Potsdams darauf angesprochen, dass man als Potsdamer mit Hasso Plattner einfach Glück hat?

Ja, das wird natürlich auch überregional bemerkt und macht die Leute auch neugierig auf Potsdam.

Spürt man es denn auch außerhalb der Berliner Vorstadt als eigenem Kiez, dass es auch außerhalb eine bestimmte Art gibt, sich für die Stadt zu engagieren?

Ich muss dazu sagen, dass ich sehr wenig zu Hause bin und gar nicht die Chance habe, in meinem Kiez ein intensives Leben zu leben. Aber ich nutze auch die Chance, andere Teile Potsdams zu sehen, weil ich einfach gern durch die Stadt laufe, das ist für mich Entspannung. Und ja, ich habe schon das Gefühl, dass es ein Potsdamer Spezifikum ist, sich mit Leidenschaft für die Stadt zu engagieren. Aber meine Mutter hat immer gesagt: Kritik ist die höchste Form der Liebe. Und wenn man mit etwas sehr leidenschaftlich verbunden ist, dann ist man bestimmt sehr kritisch, wenn irgendwelche Dinge passieren, von denen man glaubt, dass sie nicht gut sind. Ich habe das eher positiv erlebt.

Während der Debatte um die Sanierung der Mangerstraße in der Berliner Vorstadt gab es mitten im letzten Oberbürgermeisterwahlkampf eine bemerkenswerte Szene: Hans-Jürgen Scharfenberg von den Linken stieg auf eine Kiste, redete im Sinne der Anwohner – die nicht zu seiner Klientel zählen – und bekam Applaus – auch von Ihrer Frau.

Sind sie sicher? Meine Frau stand da, applaudiert hat sie unserem Nachbarn. Aber egal. Scharfenberg hat den Satz geprägt: Wir müssen uns überlegen, ob wir Politik für die Staatsbürger oder für die Besitzbürger machen wollen. Das ist ein schrecklicher Satz, weil er im Grunde Bürger zweiter Klasse schafft. Das hieße, dass Besitzbürger nicht mehr im Besitz normaler Bürgerrechte wären. Potsdam in die Lager aus Berliner-Vorstadt-Potsdamern und Plattenbau-Potsdamern, also vermeintlich in Gewinner und Verlierer zu spalten, ist eine törichte Polarisierung. Das unterstellt allen, die nicht im „richtigen“ Kiez wohnen, dass sie nur eine zynische Agenda haben, und so ist die Wirklichkeit nicht. Und es legt nahe, dass Wohlhabende grundsätzlich nicht im Interesse der weniger Wohlhabenden handeln – aber das Gegenteil ist oft der Fall: Je mehr Leute wie Plattner in Potsdam angelockt werden und sich engagieren, desto mehr wird das auch zum Wohle derjenigen sein, die von Hartz IV leben. Dieses Ausspielen der einen gegen die anderen finde ich politisch gefährlich und es geht an der Realität vorbei.

Was einem hin und wieder begegnet, ist unter den alteingesessenen Potsdamern, dass man als Zugezogener über Potsdam gar nicht mitreden könne. Auch Plattner ist das so begegnet. Haben Sie das auch so erlebt?

Eine Schlüsselszene gab es vor vielen Jahren: Als ich mit meinem VW Golf aus unserer damaligen Einfahrt rausgefahren war und ausstieg um das Tor zuzumachen, stand das Fahrzeug ein Stück auf den Straßenbahnschienen – nur für ein paar Sekunden – ein Straßenbahnfahrer hielt an, stieg sofort aus und meinte: „Na, du Bonzenschwein, du denkst wohl, du bist etwas Besonderes?“. Der Golf konnte es nicht gewesen sein, also fragte ich mich, wo diese aggressive Energie herkäme. Aber Potsdam lebt doch traditionell von den Zugereisten, ob es nun die Hugenotten waren, die Holländer, die Russen – Potsdam war immer eine tolerante Stadt. Das ist doch friderizianischer Geist. Es wäre doch schade, wenn man diese Tradition der Weltoffenheit und der Aufgeschlossenheit gegenüber Zugereisten und Neulingen ändern würde.

Finden Sie, dass die Stadt genügend und richtig für sich wirbt?

Ich glaube schon, dass sie mit ihren Pfunden noch stärker wuchern könnte. Potsdam ist so eine Art Freilichtmuseum für die deutsche Geschichte in all ihren Facetten. Zum Weinen schrecklich. Zum Weinen schön. Das gibt’s nur einmal.

Das Interview führte Peter Tiede

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