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Gewalt gegen Frauen - der Lockdown macht die Lage bedrohter Frauen nicht einfacher.

© Maurizio Gambarini/dpa

Internationaler Tag zur Beseitigung von "Gewalt gegen Frauen": „Es geht immer um Macht und Kontrolle“

Am Tag zur Beseitigung der „Gewalt gegen Frauen“ soll auch in Brandenburg auf das Problem aufmerksam gemacht werden. Potsdams Frauenzentrum bietet Hilfe und Schutz. 

Von Carsten Holm

Potsdam - Die Diplom-Sozialarbeiterin Nadia Hübner, 43, hat im Potsdamer Frauenhaus oft in Abgründe geschaut. „Menschen, die sich einmal geliebt haben, trennen sich, der Mann erträgt das nicht und wird gewalttätig“, erzählt sie und erinnert sich an ein Beispiel: „Ein Ingenieur erniedrigt seine Frau, die sich nicht zur Wehr setzen kann, weil sie Immigrantin ist und kaum Deutsch spricht”. Hübner hält einen Moment inne, um über ihre Arbeit nachzudenken. Die Fälle, mit denen sie seit 2003 zu tun hat, ähneln sich: „Es geht immer um Macht und Kontrolle, und das geht durch alle Berufsgruppen.“ Ihr sei durch ihre Arbeit in dem Haus, in dem vier Mitarbeiterinnen und eine Hauswirtschaftskraft arbeiten, klar geworden, „dass Gewalt viele Gesichter hat“.

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Zu schaffen macht ihr, dass viele Frauen, die den Mut aufgebracht haben, nach teils brutalen Gewalterfahrungen allein oder mit Kindern ins Frauenhaus zu flüchten, wieder nach Hause zurückkehren, 2019 waren es 19 Prozent. „Man fühlt ja mit, wenn Kinder da sind und die Frauen ihnen den Vater nicht vorenthalten wollen“, sagt Hübner, „aber man fürchtet natürlich, dass dann alles wieder von vorn beginnt und die Kinder und die Frau geschlagen werden.“

Nur ein Zimmer im Frauenhaus ist derzeit frei

Am Dienstag lebten neun Frauen und zehn Kinder im Potsdamer Frauenhaus. In den zwölf Zimmern der vier Wohnungen versuchten sie, Abstand zu dem Leid zu gewinnen, das ihnen zugefügt worden war. Nur ein Zimmer war noch frei – mit einem Bett und einem Baby-Bett. Kann eine Frau den Tagessatz von sieben Euro für sich und drei für ein Kind nicht aufbringen, übernimmt das Jobcenter die Kosten.

Flaggen zum Zeichen gegen "Gewalt gegen Frauen"

Am Mittwoch, dem 25. November werden am Gesundheitsministerium, am Rathaus und vor dem Landtag Flaggen zum „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen” gehisst. Am Landtag soll mit 117 Paar roten Schuhen der 117 Frauen gedacht werden, die 2019 Opfer von Femiziden wurden – Tötungsdelikten an Frauen, weil sie Frauen waren. Die Statistik wirft ein schlechtes Licht auf Männer. Sie waren auch 2019 beim Deliktbereich „Häusliche Gewalt“ laut Polizeilicher Kriminalstatistik zum weit überwiegenden Teil Tatverdächtige. Insgesamt waren von 141.792 Opfern 114.903 weiblich und nur 26.889 männlich.

„Frauen können lernen, dass sie das alles nicht erdulden müssen, sondern sich Hilfe holen können”, sagt Heiderose Gerber, Geschäftsführerin im Frauenzentrum, das die Stadt und das Land in diesem Jahr mit 327.500 Euro am Leben erhalten. Frauen, die Hilfe suchen, bleiben manchmal ein paar Tage, andere ein paar Wochen, oder, wenn sie mit der Hilfe des Wohnungsamts oder der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ProPotsdam für sich und ihre Kinder eine neue Bleibe suchen, auch mal ein halbes Jahr. Ergibt die Gefährdungsanalyse, die vor jeder Neuaufnahme erfolgt, dass mit gewalttätigen Auftritten des früheren Partners zu rechnen ist, hilft das Zentrum über das bundesweite Netzwerk der Frauenhäuser auch, ein neues Leben fern von Potsdam aufzubauen.

Adresse des Potsdamer Frauenhauses ist hochgeheim

Bis 2011 residierten das Zentrum und das Frauenhaus in einem Gebäude an der Zeppelinstraße. Die Adresse war bekannt. „Männer lauerten Frauen, die sie verlassen hatten, dort auf“, sagt Gerber, „manche wollten nur mit ihnen reden, um sie zurückzugewinnen, andere wollten das unter Zwang tun. Das war uns zu gefährlich.“ Die Adresse des Frauenzentrums in der Schiffbauergasse ist öffentlich, die des Potsdamer Frauenhauses indes hochgeheim.

Lockdown verschlechtert Lage von Frauen

Manches, sagt die Geschäftsführerin, habe sich zum Besseren verändert hat: „Gerade das Thema sexuelle Gewalt war stark tabuisiert. Die MeToo-Bewegung hat hier 2017 Großes geleistet, Frauen fordern verstärkt ihre Rechte ein.“ Allerdings: Ihre Mitarbeiterin Michaela Burghard, eine 34 Jahre alte Politologin, erzählt, wie der Lockdown die Lage von Frauen verschlechtert hat. Viele Männer, sagt sie, seien zu Hause, ihre Frauen seien unter ständiger Beobachtung „und hatten kaum Gelegenheit, sich an uns zu wenden. Die Nachfrage brach bei uns ein.“

Ohne Lockdown funktioniert das System der Beobachtung hochproblematischer Familien und die verdeckte Benachrichtigung des Frauenzentrums. Über die Hälfte der Hinweise erhalte das Zentrum aus Schulen, vom Jobcenter, von Ärzten oder von der Polizei: „Die können sich vorstellen, wie es zu blutunterlaufenen Augen gekommen ist und regen diese Frauen dazu an, mit uns Kontakt aufzunehmen“. 

Der Hass enttäuschter Männer

Mitunter kennt der Hass enttäuschter Männer keine Grenze. Im Mai richtete ein damals 64-jähriger Mann seine 40 Jahre alte Ehefrau im Beisein ihrer drei Kinder in Glindow so zu, dass sie an den schweren Verletzungen starb. Mehrfach soll er sie bedroht haben, bevor sie ihn mit den Kindern verließ und in einem Ferienhaus von Freunden Unterschlupf suchte. Er wurde wegen Mordes angeklagt und wartet auf seinen Prozess.

Der Lockdown erleichtert den Männern, die ihre Frauen bedrohen, schlagen oder vergewaltigen, ihre Taten. Im Zeitraum vom 1. März bis zum 22. Juli dieses Jahres, antwortete die Landesregierung auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Bettina Fortunato, seien 1840 Fälle häuslicher Gewalt erfasst worden – 332 oder 22 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Landeshauptstadt ist, was die häusliche Gewalt betrifft, wie schon in der Vergangenheit unrühmlicher Spitzenreiter in Brandenburg. 2019 hat die Polizei in 299 solcher Fälle ermittelt, im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl um sechs Delikte nur minimal gefallen. In dieser Negativstatistik hat es Cottbus mit 229 Gewalttaten in Wohnungen, die sich fast immer Täter und Opfer teilten, auf Platz zwei gebracht, dicht gefolgt von Brandenburg an der Havel, wo Polizeibeamte 221 Mal ausrücken mussten, weil zumeist Männer ihre Frauen oder Lebenspartnerinnen geschlagen oder Kinder verprügelt hatten.

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