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Der wegen "Geiselnahme" angeklagte Mann am ersten Prozesstag im Landgericht Potsdam.

© Carsten Holm

Update

"Ich schäme mich": Angeklager legt im Geiselnahme-Prozess Geständnis ab

Ein Mann steht in Potsdam vor Gericht, weil er seine drei Stiefkinder gegenüber seiner Frau als Druckmittel benutzte. Am Dienstag legte er ein Geständnis ab. Seine Frau hält offenbar weiter zu ihm.

Potsdam - Vor dem Potsdamer Landgericht hat der 28 Jahre alte Vakha K. gestern in einer umfassenden Erklärung gestanden, am 14. Mai dieses Jahres seine drei minderjährigen Kinder in seine Gewalt gebracht zu haben, um seine von ihm getrennt lebende Ehefrau Vera Y. zur Rücknahme ihres Scheidungsantrags zu zwingen. Laut Anklage hatte er ihr unter anderem damit gedroht, die Kinder aus der ersten Ehe seiner Frau umzubringen. Etliche massive Drohungen, die er via Whatsapp an seine Frau sandte, sind durch Screenshots der Polizei dokumentiert. Die erste einer Kanonade von etlichen Nachrichten kam gegen 4 Uhr früh, K. bestritt sie nicht.

Mit tief gesenktem Kopf, das Gesicht hinter seiner rechten Hand verborgen, hörte der aus Russland stammende und nur gebrochen Deutsch sprechende Angeklagte zu, als die Berliner Strafverteidigerin Susanne Lange sein Geständnis verlas. Er sei in Russland gefoltert und der Planung von Terroranschlägen bezichtigt worden, 2014 nach Potsdam gekommen und mit seiner Familie in einem Flüchtlingsheim aufgenommen worden.

Vorgetäuschter Ausflug nach Berlin

K. sagte aus, dass er unter schweren Depressionen gelitten und Drogen genommen habe. Darüber sei es mit seiner Frau, einer strenggläubigen Muslima, wiederholt zum Streit gekommen. Sie sei mit den Kindern in ein anderes Flüchtlingsheim gezogen. Am 14. Mai, dem Tattag, habe er die drei Kinder früh am Morgen abgefangen, ihnen einen Ausflug nach Berlin vorgetäuscht und sie in ihrer Potsdamer Schule beurlauben lassen.

Er habe seiner Frau, als er mit ihnen zunächst in Babelsberg zu Fuß unterwegs war, ein aktuelles Foto von sich und den Kindern gesendet, um sie damit „umzustimmen“. Schon nach knapp zwei Stunden hatte die Polizei K. mit den Kindern auf der Großbeerenstraße ausfindig gemacht, er ließ sich widerstandslos festnehmen. Seither sitzt er im Untersuchungsgefängnis in Neuruppin. „Ich schäme mich“, sagte der gläubige Moslem, „Allah hat mich verlassen“. Aber er akzeptiere die Situation, „wie Allah das will“.

In der Beweisaufnahme gelang durch Zeugenaussagen eine detaillierte Rekonstruktion des Tatgeschehens. In einer seiner Text- und Sprachnachrichten hieß es, seine Frau solle ihn „dringend“ anrufen, sonst werde er ihre Kinder ertränken, in einer anderen, sie solle sich melden „wenn sie die Kinder lebend braucht“.

Aussage der Frau widersprüchlich

Im Zeugenstand sagte Vera Y. aus, sie habe zu keinem Zeitpunkt Angst um deren Leben gehabt, „weil ich weiß, wie er sie liebt“. Das sei „schwer nachvollziehbar“, so der Vorsitzende Richter Klaus Feldmann, zudem habe sie sich am Tattag während einer Aussage bei der Polizei völlig anders geäußert.

Feldmann hatte Vera Y. wie alle Zeugen vor Gericht belehrt: eine Falschaussage unter Eid sei ein Verbrechen, eine uneidliche immer noch eine schwere Straftat. Was Vera Y. nicht ahnte: es waren Zeugen geladen, die schon in Aussagen bei der Polizei exakt beschrieben hatten, wie groß die Angst war, die die Mutter nach den Drohungen hatte. Manche erzählten auch gestern, wie sie weinte, ein anderer, wie sie zitterte. Feldmann wusste also, dass Vera Y. dabei war, sich um Kopf und Kragen zu reden, um ihren Mann zu entlasten.

Plötzlich zog sich das Gericht zur Beratung zurück. Feldmann fragte Vera Y., ob sie nicht doch von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wolle. „Ich möchte verhindern, dass sich hier ein neues Strafverfahren entwickelt“, sagte er. Sie stimmte sofort zu.

Angeklagter bricht in Weinkrampf aus 

Zu dramatischen Szenen kam es, als eine Zeugenaussage der älteren Tochter bei der Polizei verlesen wurde, das Gericht wollte dem Mädchen auf diese Weise eine Vernehmung im Gerichtsaal ersparen. Vakha K. erlitt einen lang andauernden Weinkrampf, weil seine Stieftochter unter anderem beschrieb, dass ihre Mutter schon einmal einen Fleck im Gesicht hatte, als K. angeblich zugeschlagen hatte. Ihr Stiefvater sei psychisch krank, „seit ich ihn kenne“.

„Schicken Sie mich ins Gefängnis, ich will das nicht hören“, schrie K. völlig verzweifelt, „ich fühle mich sehr erniedrigt“. Nach einer längeren Verhandlungspause stand K. den Rest der Aussage durch. Seine Frau saß dabei unter den Zuschauern, seine drei Stiefkinder auf einer Bank vor dem Sitzungssaal. Seine Frau hat ihn mehrmals im Gefängnis besucht.

Am 3. Dezember sind die Plädoyers vorgesehen, am 13. Dezember soll das Urteil gesprochen werden. Geiselnahme wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, in minder schweren Fällen mit mindestens einem Jahr. Richter Feldmann hatte bereits am ersten Verhandlungstag darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Fall offensichtlich „nicht um eine klassische Geiselnahme“ handele.

Carsten Holm

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