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Landeshauptstadt: Hommage an den „Ideenturbo“

Video-Dokumentation über den Potsdamer Astrophysiker und Bürgerrechtler Rudolf Tschäpe

1988 war es. Da dachte Carola Stabe für einen kurzen Moment, Rudolf Tschäpe sei möglicherweise verrückt geworden. Hatte sie der Potsdamer Astrophysiker wirklich gerade gefragt, ob sie mitmachen will, eine Sozialdemokratische Partei zu gründen? Verrückt. Ein Jahr später gab es diese SDP wirklich, doch Rudolf Tschäpe gehörte längst zusammen mit Bärbel Bohley zu den Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufs des Neuen Forums, ein entscheidendes Initial der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989. Eine Plattform für die Breite der Bevölkerung, das war soviel wichtiger als eine Partei, erinnert sich Carola Stabe. Dass der Potsdamer Tschäpe sie 1988 in aller Vorsicht ansprach, daran erinnerte sich Carola Stabe nun erst wieder während mehrerer Interviews, die sie zusammen mit dem Maler und Filmemacher Stefan Roloff mit Weggefährten Rudolf Tschäpes geführt hat, etwa Günther Rüdiger, Bob Bahra oder Reinhard Meinel. Entstanden ist die Videodokumentation „Rudolf Tschäpe – Ein Porträt“.

Der Streifen über den 2002 verstorbenen Bürgerrechtler, der „Ideenturbo“, wie ihn einer seiner Weggefährten nennt, wird am Freitag dieser Woche ab 19.30 Uhr öffentlich vorgestellt. Per Videobeamer wird das Tschäpe-Porträt auf die Außenwand der Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 projiziert. Der Gefahr, dass es vielleicht regnen wird und kaum Leute kommen, um das Video zu sehen, begegnet Carola Stabe so: Die Friedliche Revolution habe nicht im warmen Mai stattgefunden. 1989 sei es auch Anfang Dezember gewesen, als Bürgerrechtler das Stasigefängnis in der Lindenstraße in Besitz nahmen.

Finanziert wurde die 27-minütige Video-Dokumentation durch die Heinrich-Böll-Stiftung, das Land Brandenburg, aber auch der Ubin AG des Unternehmers Uwe Braun. Tschäpe hatte in der DDR Kunstprojekte organisiert, wie etwa 1974 eine Ausstellung für den systemkritischen Künstler Wieland Förster auf dem Telegrafenberg. In einem der Interviews sagt der Tschäpe-Weggefährte und Maler Hendrik Grimmling: „Er hat Sachen losgetreten, die für viele im Gegenwartszustand schon wie legendär erschienen.“

Auf Initiative Tschäpes war im Innenhof der Lindenstraße 54 die Förster-Skulptur „Das Opfer“ und die Bronzefigur der griechischen Siegesgöttin Nike an der Glienicker Brücke aufgestellt worden. Tschäpe habe die Kunst als Mittel angesehen, die Lindenstraße 54 zu einer Gedenkstätte mit tiefgehenden Erlebnissen für die Besucher zu machen, so Stabe. Er organisierte Lesungen und Theateraufführungen, „um den Schrecken auf andere Weise darzustellen“. Carola Stabe und Stefan Roloff verbinden ihre Hommage an Tschäpe mit einer Kritik an der Art und Weise der Gedenkstätten-Sanierung. Es sei „eine Katastrophe“, erklärt Carola Stabe, dass die Fördergemeinschaft Lindenstraße 54, einst von Tschäpe gegründet, viel zu selten und meist erst hinterher bei Entscheidungen herangezogen werde. So sei der zunächst geplante und dann rückgängig gemachte Abbau der Fenstergitter an der Vorderfront des einstigen „Lindenhotels“ – der bundesweit für Schlagzeilen sorgte – „eine Perversion“ gewesen, kritisiert die einstige Bürgerrechtlerin. Roloff fühlt sich an den Umgang mit der Hinrichtungsstätte Plötzensee erinnert, in der die Wände weiß getüncht und die Guillotine abgebaut wurde. Roloff: Die Gedenkstätten werden hübsch gemacht, mit Blumenrabatten und Notausgängen.

Allerdings, erinnert sich Carola Stabe selbstkritisch, als 1990 die neugegründeten Parteien und Organisationen in den Ex-Stasi-Knast einzogen, da habe sie aus „Unwissenheit“ an der Zerstörung des Authentischen beigetragen: „Diese schmierigen Stasi-Tische, die vergilbten Tapeten – irgendwann habe ich selbst ein paar Eimer Farbe genommen“.

Videodokumentation im Internet: http://www.zersetzung.net/widerstand/tschaepe.html

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