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Fliegend singen. Heuschrecken und nah verwandte Artengruppen zählen zu den Geradflüglern, den Orthoptera. Mehr als 60 Experten dieses Fachgebietes treffen sich ab heute im Naturkundemuseum Potsdam zu ihrer Jahrestagung.

© Andreas Klaer

Heuschrecken-Experten tagen in Potsdam: „Heuschrecken an der Straße müssen lauter singen“

Mehr als 60 Experten diskutieren in Potsdam über Grille & Co. Mit dabei der Potsdamer Biologe Dirk Berger vom Naturkundemuseum.

Herr Berger, Sie gehören zu den mehr als 60 Heuschreckenforschern, die sich ab heute in Potsdam zur 15. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie in Potsdam treffen (siehe Kasten). Wie sind Sie zu diesem speziellen Forschungsfeld gekommen?

Ich habe mich schon als Kind mit Insekten beschäftigt. Das Besondere bei Heuschrecken ist, dass sie singen und jede Art singt anders. Im Studium habe ich mich dann auf dieses Thema spezialisiert und habe auch meine Promotion zur Gesangsevolution bei Feldheuschrecken geschrieben.

Über welche Fragen werden Sie mit ihren Kollegen auf der Tagung in Potsdam diskutieren?

Es gibt da ganz verschiedene Themen, manche Kollegen arbeiten ökologisch und erstellen Rote Listen für bedrohte Arten, andere beschäftigen sich mit evolutionären Fragen. Die österreichischen Kollegen haben nach vielen Jahren ihren Heuschrecken-Atlas für Österreich fertiggestellt und werden ihn hier präsentieren.

Im Programm geht es auch um „Bioakustik“ – was verbirgt sich dahinter?

Da geht es darum, wie Heuschrecken eigene Töne erzeugen und miteinander kommunizieren. Heuschreckenarten erkennen sich an ihrem jeweiligen Gesang und die Weibchen paaren sich dann immer mit den besten „Sängern“ ihrer Art, deshalb ist der Gesang eine treibende Kraft bei der Artenbildung der Heuschrecken. Es wird auf der Tagung auch um den Einfluss der Urbanisierung auf die Gesangsaktivität gehen, denn Heuschrecken, die nahe an Straßen leben, müssen natürlich viel lauter singen, um gehört zu werden.

Im letzten Jahr wurde das Ausmaß des Insektensterbens in Deutschland klar, seit 1989 sind rund drei Viertel aller Insekten verschwunden. Trifft das auch auf Heuschrecken in Brandenburg zu?

Nein. In Brandenburg gibt es 65 Heuschreckenarten und einige davon sind sicherlich etwas seltener geworden, wie etwa der Warzenbeißer, aber so drastische Rückgänge wie bei den Fluginsekten lassen sich derzeit nicht belegen. Allerdings gibt es bei den Heuschrecken auch keine so großen Langzeitstudien, wie es sie bei den Fluginsekten gab. Es gibt auch Arten, die sich in Brandenburg aufgrund des Klimawandels und der steigenden Temperaturen stärker von Süden nach Norden ausbreiten, zum Beispiel die Sichelschrecke oder die italienische Schönschrecke. Der Arbeitskreis Heuschrecken des Naturschutzbund Brandenburg arbeitet derzeit an einer neuen Roten Liste und einem Verbreitungsatlas für das Land Brandenburg, der hoffentlich noch dieses Jahr fertig wird.

Müssen märkische Landwirte heute eigentlich noch Angst vor Heuschreckenschwärmen haben?

Nein, mit Wanderheuschrecken haben wir hier gar nichts zu tun, die letzten Einfälle in Deutschland gab es im 18. Jahrhundert. Diese Schwärme sind damals unter anderem in Südosteuropa entstanden, wenn es zwei oder drei Jahre hintereinander zu kalt und zu trocken für die Heuschrecken war. Die Weibchen haben dann zwar ihre Eier in den Boden gelegt, die sind aber nicht geschlüpft. Als die klimatischen Bedingungen dann wieder besser waren, sind auf einen Schlag die Gelege von mehreren Jahren auf einmal geschlüpft und haben dann diese großen Schwärme gebildet, die anschließend alles aufgefressen haben, was sie finden konnten. Aber so etwas passiert heute in Europa nicht mehr, da solche Bodengelege durch die intensivierte Landwirtschaft meist zerstört werden.

Heuschrecken haben ja nicht das beste Image – Stichwort Finanzkrise?

Na ja, das kommt wie gesagt eher von den Wanderheuschrecken, die ja schon als Plage in der Bibel auftauchen. Aber eigentlich haben Heuschrecken gar kein so schlechtes Image, denn wer sitzt nicht gern mit seiner Liebsten im Sommer auf der Wiese und hört es zirpen?

Ab wann kann man in Potsdam und Umgebung die ersten Heuschrecken hören?

Ab Mai kann man als Erstes die sogenannte Feldgrille hören, das ist eine der wenigen Heuschreckenarten, die hier überwintern.

Die Fragen stellte Erik Wenk

Dirk Berger, 44, ist Sammlungs- und Ausstellungskonservator der Landeshauptstadt Potsdam und betreut unter anderem die umfangreichen Insekten- sammlungen im Naturkundemuseum.

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