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Landeshauptstadt: „Halb und halb is och eener“

Willi Frohwein wurde als Deutscher geboren. Mit 12 wurde er zum Juden erklärt. Er kam nach Auschwitz.

Willi Frohwein wurde als Deutscher geboren. Mit 12 wurde er zum Juden erklärt. Er kam nach Auschwitz. Von Katharina Schuler Willi Frohwein ist ein vielgefragter Mann. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass der 80-jährige Potsdamer nicht irgendwo auftritt. Bei Gedenkveranstaltungen, vor Schulklassen und anderen Interessierten. Nicht selten hat er 400 Zuhörer. Nie hat er einen vorbereiteten Text. „Ich erzähle von den Bildern, die ich sehe, sobald ich die Augen schließe“, sagt er. Frohwein ist der Überlebende eines Massenmordens, das nun 59 Jahre zurückliegt. Zwei Jahre lang, von April 1943 bis Januar 1945, war er Häftling in Auschwitz. Mit einer gewissen Routine krempelt er den Ärmel seines grauen Hemdes hoch. Kurz lässt er, wie zum Beweis, die kleine schwarze Nummer sehen, die man ihm eintätowiert hat. Es ist die 122785. Heute lebt Frohwein in einem kleinen, gemütlichen Haus unter hohen Kiefern in Potsdam-Babelsberg. Doch geboren ist er in Spandau. „Ich habe eigentlich eine ganz normale Kindheit gehabt“, erinnert sich Frohwein. Ein schwarz-weiß Foto aus dieser Zeit zeigt einen fröhlich lachenden Jungen mit seitengescheiteltem braunem Haar und leicht abstehenden Ohren. In seiner Klasse war er beliebt, seine Freizeit verbrachte er bei den Pfandfindern. Das änderte sich, als 1935 die Lehrer die Herkunft der Schüler feststellen mussten. Plötzlich spielte es eine Rolle, dass Willis Vater, katholisch getauft wie sein Sohn, jüdischer Abstammung war. „Halb und halb is och eener“, riefen die Kinder Willi auf dem Schulhof nach. Was ein Jude war, wusste der 12-Jährige Willi nicht. In den folgenden Jahren merkte er aber, dass die Welt komplizierter wurde, wenn man Jude war, auch gefährlicher und einsamer. Freunde und Verwandte zogen sich zurück und eine Nachbarin hetzte den Frohweins mehrfach die Gestapo auf den Hals. In der Familie selbst sprach man nicht darüber, warum alles plötzlich so anders war. „Meine Mutter hat alles dafür getan, das Familienleben so normal wie möglich weitergehen zu lassen“, sagt Frohwein. Im Sommer “42 unternahm er einen Fluchtversuch. Doch statt in die Schweiz kam Frohwein in ein Gestapo-Lager in der Wuhlheide. Im April 1943 verließ er in einem überfüllten Gefängniswagen als Sträfling Berlin Richtung Osten. Es war in diesem Zug, dass Willi Frohwein zum ersten Mal das Wort Auschwitz hörte. „Ihr Juden braucht euch nicht einzubilden, dass ihr in Auschwitz älter werdet als 14 Tage“, sagte ein Häftling, der bessere Kleidung trug als die anderen, und sich in dem Waggon frei bewegen konnte. Doch der Satz ergab für den 20-Jährigen keinen Sinn. „Auschwitz“ – was war das? Irgendwann hielt der Zug. „Ich habe etwa vier Monate gebraucht, um herauszufinden “, sagt Frohwein. Von „Vergasen“ wurde nicht gesprochen. „Wenn Transporte gingen, hieß es nur: Wieder ein Transport. Man wusste es, aber keiner hat es ausgesprochen". Auch Willis Mutter hörte in dieser Zeit zum ersten Mal das Wort „Auschwitz“. Seit man ihren Sohn aus der Wuhlheide weggebracht hatte, wusste sie nicht, wo er war. Da machte sie sich den Umstand zunutze, dass ihr älterer Sohn Heinz zu einem Strafbataillon eingezogen worden war. Man setzte ihn dort als Minensucher ein. Dennoch war er „im Felde“ und Willis Mutter konnte bei der Gestapo als Soldatenmutter auftreten. Einer ihrer Söhne sei nun im Krieg und von dem anderen wisse sie gar nichts, möglicherweise sei er ja schon tot, sagte sie zu dem Gestapo-Mann. „Ach“, erwiderte der ungerührt, „das glaube ich kaum, da hätten sie von Auschwitz schon Nachricht“. Auschwitz also. Willis Mutter hatte nie von diesem Ort gehört, aber es war ein Anhaltspunkt. Willis Mutter schrieb einen Brief an die Kommandantur von Auschwitz, wieder als besorgte Soldatenmutter. Frohwein ist überzeugt, dass es dieser Brief war, der ihm gleich zweimal das Leben rettete. Zweimal wurde er „selektiert“, das heißt, als nicht mehr arbeitsfähig zum Sterben bestimmt. Doch beide Male wurde er von dem Transport wieder runter genommen. „Es ist der Brief gewesen“, glaubt Frohwein. Die SS sei verwirrt darüber gewesen, dass eine Mutter zwei Söhne hat, von denen der eine Soldat ist und der andere „als Jude herumläuft“. Da habe man ihn vorsichtshalber verschont. Und das Wunder setzte sich fort: Ein Arzt blickte auf Frohweins Karteikarte und war irritiert: „Was bist Du denn nun eigentlich, Jude oder Deutscher?“, fragte er. Frohwein zögerte. Die Frage war ihm schon einmal gestellt worden, ganz am Anfang. „Ich bin Deutscher“, hatte er geantwortet und sofort Schläge für diese Unverschämtheit kassiert. Diesmal entschied der Häftlingsschreiber. „Du bist Deutscher“, sagte der. Frohwein durfte den gelben Winkel, der ihn als Juden gekennzeichnet hatte, von seiner Jacke abtrennen. Deutscher zu sein, fühlte sich anders an. „Gib mal erst dem deutschen Muselmann da“, sagte ein SS-Mann und zeigte auf Frohwein, als es um die Verteilung des Nachschlags ging. Als Deutscher war es auch möglich, zu einem SS-Mann zu gehen und zu fragen, ob es nicht einen Arbeitsplatz in der Wäscherei gebe. „Als Jude hätte ich mich das nie getraut“, sagt Frohwein. Es klappte. Er kam in die neue Wäscherei. „Herrlich war das“, erinnert er sich. „Immer im Warmen und Trockenen, und außerdem konnte man dort organisieren.“ Wäschestücke wurden nach draußen geschmuggelt und gegen Essen und Zigaretten eingetauscht. Als Deutscher konnte Frohwein überleben, bis zum 18. Januar 1945, dann wurde das Lager geräumt. In offenen Waggons ging es nun zurück Richtung Westen. „Das hab ich ja nun auch noch überlebt“, sagt Frohwein. „Aber ich hab eben viele sterben sehen“. Das Unbegreifliche sei für ihn bis heute, wie diese Menschen gestorben seien. „Die saßen neben einem, und dann, ohne zu jammern oder zu klagen, sind sie einfach gestorben, einfach weggegangen“. Er selbst musste noch zwei Monate lang in Dora-Mittelbau an der Wunderwaffe V2 mitbauen, dann wurde er, ebenfalls wieder bis aufs Skelett abgemagert, nach Bergen-Belsen gebracht, wo er am 15. April von den Engländern befreit wurde. „Nein“, sagt Frohwein nachdenklich, mitleidlos sei man nicht geworden im Lager. „Man hat schon noch mitgefühlt, wenn man die anderen gesehen hat. Nur dass man selber genauso ausgesehen hat, auf die Idee ist man gar nicht gekommen. Ich habe die anderen gesehen und gedacht, wie kann man in so einem Zustand überhaupt noch laufen?" Nach dem Krieg hat er jahrzehntelang nicht über das gesprochen, was er erlebt hat, nicht mit seinen Eltern, auch nicht mit seiner Frau oder seinen Kindern. Es sei die Scheu gewesen, andere zu belasten, aber auch die Angst vor dem Mitleid. „Ich wollte für das anerkannt werden, was ich leiste, nicht für das, was ich mitgemacht habe“, sagt er. Schließlich war er noch jung, gerade mal 22, als er aus dem KZ kam, und das Leben fing eben erst an. Doch ganz verdrängen ließ sich das Geschehene nicht. „Ich hatte furchtbare Alpträume“, sagt er. „Was ich geträumt habe, war ja manchmal noch schlimmer, als das, was ich erlebt habe“. Im Alter ist die Vergangenheit wieder näher gerückt. Seit einiger Zeit kann er gar nicht mehr aufhören zu reden. Ich fühle mich dazu verpflichtet, als Überlebender, sagt er. Und noch etwas Gutes hat es: „Wenn ich rede, träume ich nicht“. „Gegen das Vergessen und Verdrängen. Auschwitz-Birkenau – die internationalste und größte aller Tötungsfabriken“ heißt eine Wanderausstelltung vom Verein zum Erhalt der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau e.V., die ab dem morgigen Dienstag in der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, gezeigt wird.

Katharina Schuler

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