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Landeshauptstadt: Gemeinsam betteln

Für barrierefreien Nahverkehr fehlt nicht nur Potsdam Geld. Jetzt schließen sich die Kommunen zusammen

Es klingt wie ein Hilfeschrei: Brandenburger Straßenbahnbetreiber und die dazugehörigen Kommunen schließen sich zusammen, um vom Land zusätzliche Investitionshilfen zur Modernisierung ihrer Straßenbahnen zu fordern. Es geht um einen Fehlbetrag in dreistelliger Millionenhöhe. Auch Potsdam ist dabei. Gemeinsam mit Frankfurt (Oder), Cottbus und Brandenburg/Havel sowie den Landkreisen Märkisch-Oderland und Oder-Spree wurde dazu in der vergangenen Woche eine Arbeitsgruppe gegründet.

Den Städten und ihren Verkehrsbetrieben fehlt das Geld, um Haltestellen und Fahrzeuge umzubauen. Hintergrund ist eine EU-Vorgabe, wonach alle öffentlichen Verkehrsmittel bis 2022 barrierefrei zu sein haben. So steht es seit 2013 auch im deutschen Personenbeförderungsgesetz. Um den Umbau kommt also niemand herum. Nach einer vorsichtigen Schätzung kämen dadurch auf die Kommunen Investitionskosten von bis zu 170 Millionen Euro zu, hieß es.

Diese Kosten kann aber keiner der Verkehrsbetriebe aus eigener Kraft stemmen: Schon allein der Betrieb des öffentlichen Nahverkehrs ist immer defizitär. Alle Betriebe erhalten Zuschüsse von den Kommunen oder aus Querverbünden – wie in Potsdam mit den Stadtwerken. Wenn investiert werden soll, muss das Geld von außen kommen. Allerdings sind in Potsdam alle zur Verfügung stehenden Zuschüsse der Stadt und Fördermittel vom Land bis 2019 bereits verplant. Für 50 Millionen Euro werden der Nordast der Tram zum Jungfernsee verlängert, das Leipziger Dreieck umgebaut, die Strecke durch die Heinrich-Mann-Allee saniert, die Tatra-Trams modernisiert sowie acht Niederflurtrams vom Typ Combino verlängert (PNN berichteten). Vom Land bekommt der Verkehrsbetrieb Potsdam jährlich etwa 1,9 Millionen Euro für Investitionen in die Infrastruktur. Wie es nach 2019 weitergeht, ist völlig offen, weil die gesetzliche Regelung für die Fördermittel dann ausläuft.

Im Potsdamer Rathaus stapelt man angesichts der Initiative mit den anderen Kommunen vorerst tief. Wie Druck auf die Landesregierung gemacht werden solle, beantwortete die Stadtverwaltung am Freitag auf PNN-Anfrage nicht. Die neue Zusammenarbeit mit den anderen Kommunen diene dem Erfahrungsaustausch im Hinblick auf die Bedarfe zur Realisierung der bis zum Jahr 2022 herzustellenden vollständigen Barrierefreiheit im ÖPNV, so ein Rathaussprecher.

Immerhin: Auf Landesebene gibt es erste Bewegung. Die Landesregierung hat im Doppelhaushalt 2017/18 erste Hilfen von bis zu zwölf Millionen Euro in Aussicht gestellt, wie das Infrastrukturministerium bestätigte. Ähnliche Hilfen hatten zuvor auch die oppositionellen Grünen und die CDU gefordert. Im Rathaus reagiert man zurückhaltend. Das Investitionsprogramm werde begrüßt. Dennoch seien bis 2022 enorme zusätzliche Anstrengungen nötig. Soll heißen: Das Programm ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wie viel von dem Geld am Ende überhaupt in Potsdam ankommt, ist völlig offen.

Denn Potsdam steht vergleichsweise gut da: Nur noch fünf von 127 Tramhaltestellen sind nicht barrierefrei. 18 hochflurige Tatra-Straßenbahn-Waggons gehören zum Bestand. Um sie zu ersetzen, sind neun moderne Niederflurtrams nötig. Allein Frankfurt müsse bis zu 13 neue Straßenbahnzüge mit einem Kostenvolumen von 32,5 Millionen Euro anschaffen. „Wir wollen versuchen, alles nach und nach zu bewerkstelligen“, sagt Andreas Rein von der Frankfurter Stadtverwaltung. Cottbus benötigt bis zu 20 neue Züge zum Stückpreis von zweieinhalb Millionen Euro.

Potsdams Beirat für Menschen mit Behinderung hatte zuletzt die alten Tatra-Trams als größtes Problem ausgemacht. Regelmäßig erreichten sie Hinweise und Klagen zu Barrieren im öffentlichen Nahverkehr, sagte die Vorsitzende Nicole Einbeck den PNN. Mehr als 20 000 Menschen mit Behinderung leben in Potsdam. Doch Niederflurtrams und barrierefreie Haltestellen wären auch ein Fortschritt für die wachsende Zahl von Senioren oder für Menschen, die mit einem Kinderwagen in eine Tram einsteigen wollen.

Wie viel der barrierefreie Umbau in Potsdam am Ende kosten könnte, ist indes unklar. Da noch keine abgestimmten Vorplanungen vorliegen, können zum derzeitigen Zeitpunkt auch keine verlässlichen Kosten genannt werden, heißt es auf Nachfrage aus dem Rathaus. „Die verbleibenden Haltestellen im Netz, die noch nicht barrierefrei ausgebaut sind, befinden sich in einem anspruchsvollen Umfeld“, so ein Stadtsprecher. So gehören auch die Haltestellen Brandenburger Straße und Nauener Tor in der historischen Innenstadt zu den nicht barrierefreien Haltestellen. Für den Umbau müssten Verwaltung, Verkehrsbetrieb und Potsdams Energieversorger EWP zusammenarbeiten – so wie es bereits beim Umbau der Haltestelle vor dem Rathaus gemacht wurde.

Ohnehin wird derzeit gemeinsam mit dem Verkehrsbetrieb ViP ein Zukunftskonzept für die Bewältigung der steigenden Fahrgastzahlen erarbeitet, wie Finanzdezernent Burkhard Exner (SPD) Ende Oktober am Rande des ersten Spatenstichs für die neue Tramstrecke zum Campus am Jungfernsee sagte. Die Investitionen seien so hoch, dass sie ohne Förderung nicht zu stemmen seien, sagten Exner und ViP-Geschäftsführer Glaser.

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